Ortsbild
Hier finden Gemeinden und Planungsbüros die raumplanerischen Grundlagen des Kantons, die es bei der bevorstehenden Ortsplanungsrevision im Bereich Ortsbild zu berücksichtigen gilt.
1. Ausgangslage und strategischer Rahmen
Mit dem Begriff Ortsbild wird die visuelle Erscheinung und räumliche Wahrnehmung eines Orts angesprochen. Wie Menschen einen Ort wahrnehmen oder wie die Gestalt eines Orts wirkt, hat unmittelbar Auswirkungen auf ihre Beziehung dazu. Das Ortsbild beeinflusst die Bewegungsmuster und entscheidet über die Verweildauer im Raum. Ein stimmiges Ortsbild schafft eine gute Orientierung, begünstigt das Wohlbefinden und die Identifikation der Bevölkerung mit dem Ort. Das Bestreben, wichtige historische Zeugnisse und damit die bedeutenden Elemente und Substanz des Orts- oder Quartierbilds auch für kommende Generationen zu erhalten, ist nicht zuletzt auch Ausdruck des Grundbedürfnisses des Menschen nach Erinnerung. Darüber hinaus erbringen Ortsbilder – insbesondere deren engeren, historischen Bereiche – noch weitere wichtige gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Leistungen. Sie stärken beispielsweise die Standortattraktivität, tragen zu hochwertigen Freiräumen bei und können einen positiven Einfluss auf die Biodiversität haben (vgl. Fachbericht Ortsbildschutz des Bundesamts für Kultur). Diese auch volkswirtschaftlich relevanten Leistungen werden dabei von einem Gebäudebestand erbracht, der lediglich 12 % des totalen Gebäudebestands umfasst. Entsprechend umsichtig ist mit dieser Ressource umzugehen.
Die räumliche Wahrnehmung und Wirkung werden gleichsam vom bebauten und vom unbebauten Raum geprägt. Die Gesamtwirkung resultiert aus der Qualität der einzelnen Bestandteile (Gebäude, Freiräume, Bäume etc.) sowie der Ordnung und der Beziehungen der Elemente zu- und untereinander (Gebäudeabstand, Gebäudestellung, Firstrichtung, Materialisierung, Farbgebung etc.). Zu einem Ortsbild gehört entsprechend nicht nur das historische Zentrum eines Orts. Es umfasst die gesamtheitliche räumlich-visuelle Erscheinung mit seinen Gebieten und Quartieren und insbesondere auch die Siedlungsränder. Das innere Ortsbild beinhaltet die räumlichen, funktionalen und gestalterischen Beziehungen der Bauten und Aussenräume (Strassen, Plätze, Grünflächen mit ihrer Bepflanzung und Ausstattung etc.). Das äussere Ortsbild charakterisiert sich durch die Ausbildung des Siedlungsrands und durch die An- und Aufsicht der Siedlung, eine wesentliche Prägung erfolgt dabei durch die Form und Gestaltung der Dächer und der Dachlandschaft. Ausserdem beinhaltet es die Lage des Orts und die Einbettung in die Landschaft sowie deren Beziehung mit der umgebenden Landschaft von nah und fern.
Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS)
Durch raumwirksame Eingriffe wie Bauten, Anlagen und Infrastrukturen verändern sich Ortsbilder kontinuierlich. Auch deswegen hat der Bund alle Ortsbilder der Schweiz nach einheitlichen Kriterien analysiert und im ISOS inventarisiert. Diese Grundlagen fördern das Verständnis über den Ort. Sie unterstützen eine hohe Siedlungsqualität, denn die Berücksichtigung der Ortsbildaufnahmen in allen Planungsphasen begünstigt, dass Eingriffe in die Ortsbilder harmonisch oder wenigstens schonungsvoll erfolgen (siehe §§ 40 und 42 Gesetz über Raumentwicklung und Bauwesen [BauG] sowie § 15e Bauverordnung [BauV]). Die Vorgaben zu einem sensiblen und schonungsvollen Umgang mit Ortsbildern sind im Richtplankapitel S 1.5 hinterlegt.
Gemäss dem ISOS weist der Kanton Aargau aktuell 61 Ortsbilder von nationaler Bedeutung in 49 Gemeinden auf.
136 Ortsbilder in 104 Gemeinden sind von regionaler (sprich: kantonaler) Bedeutung (siehe Online-Karte Schützenswerte Ortsbilder im Geoportal). Die jüngere Rechtsprechung hat indessen die hohe Bedeutung der regional (sprich: kantonal) bedeutsamen Ortsbilder, nebst den nationalen, bekräftigt.
Die Ortsbildaufnahmen mit lokaler Einstufung sind von kommunaler Bedeutung und im Richtplan nicht festgesetzt. Sie erhalten dennoch wertvolle Informationen zur Siedlungsentwicklung und zu den Qualitäten des Orts und können als Grundlage für Planungen und Projekte beigezogen werden.
Das ISOS bei Erfüllung einer Bundesaufgabe
Gemäss Art. 6 Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG) wird durch die Aufnahme eines Objekts von nationaler Bedeutung in ein Inventar des Bundes dargetan, dass es in besonderem Masse die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber unter Einbezug von Wiederherstellungs- oder angemessenen Ersatzmassnahmen die grösstmögliche Schonung verdient. Ein Abweichen von der ungeschmälerten Erhaltung im Sinne der Inventare darf bei Erfüllung einer Bundesaufgabe nur in Erwägung gezogen werden, wenn ihr bestimmte gleich- oder höherwertige (Eingriffs-)Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen.
Bei der Erfüllung einer Bundesaufgabe durch den Kanton oder die Gemeinde gemäss Art. 2 NHG kommt bei den Bundesinventarobjekten nach Art. 5 NHG eine unmittelbare Geltung zum Tragen. Die Interessenabwägung nach Art. 3 Raumplanungsverordnung (RPV) ist sodann zweistufig vorstrukturiert. Bei nicht lediglich geringfügigen Eingriffen oder bei Unsicherheiten beziehungsweise wenn sich grundsätzliche Fragen stellen, ist ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) erforderlich. Hat die ENHK oder eine andere Kommission bei einem Vorhaben mitgewirkt, so hat die zuständige Behörde die entsprechende Verfügung mitzuteilen (siehe auch Video Anwendung des ISOS).
2. Handlungsspielräume für Gemeinden
Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen ISOS-Gebieten und ihren Erhaltungszielen sowie die angemessene Umsetzung der ISOS-Ziele ist gemäss Richtplankapitel S 1.5 im Bereich von national und regional (sprich: kantonal) bedeutenden Ortsbildern unabdingbar. Zugunsten der Rechtssicherheit ist gebietsweise eine umfassende Interessenabwägung unter Einbezug des ISOS vorzunehmen und im Planungsbericht transparent darzulegen. Dabei ist aufzuzeigen, wo Differenzen zwischen den Schutzzielen des ISOS (insbesondere in Gebieten mit den Erhaltungszielen A, B und a sowie für spezielle Hinweise wie Einzelelemente mit Erhaltungsziel A; siehe Erläuterungen ISOS) und der Planung oder dem Planungsvorhaben bestehen. Die ISOS-Erhaltungsziele sind mit Bestimmungen in der Bau- und Nutzungsordnung (BNO) oder allfälligen Sondernutzungsvorschriften (SNV) umzusetzen.
Zonenbestimmungen
Insbesondere in Gebieten oder Baugruppen mit ISOS-Erhaltungsziel A (ursprüngliche Substanz vorhanden; Erhalten der Substanz) kann der Abbruch von Bauten und Anlagen höchstens ausnahmsweise und ausschliesslich basierend auf einem kommunalen Fachgutachten zulässig sein (zum Beispiel sofern ein Gebäude für das Ortsbild unwichtig oder die Erhaltung der Bausubstanz tatsächlich unzumutbar ist; siehe Werkzeugkasten W4c > Absatz 4.5_F.2_2 [Seite 11]). Für ein schützenswertes Einzelelement mit Erhaltungsziel A gilt, dass die Substanz integral zu erhalten ist. Diese Gebäude sind grundsätzlich unter Substanzschutz zu stellen. Eine möglichst umfassende Umsetzung des Bauinventars trägt wesentlich zum Erhalt des Ortsbilds bei (siehe Modul Denkmalpflege).
Für im ISOS eingetragene Umgebungszonen und -richtungen sowie Freiflächen mit Erhaltungsziel a (unerlässlicher Teil des Ortsbilds; Erhalten der Beschaffenheit als Freifläche), die heute noch mehrheitlich unüberbaut sind, soll deren Erhalt geprüft werden. Insbesondere im Rahmen von Gestaltungsplänen oder Arealüberbauungen gilt es sodann, rechtssichere und adäquate Antworten im Spannungsfeld zwischen Freihaltung und baulicher Entwicklung zu finden. Solche Flächen können im Ortszentrum beispielsweise als belebter Frei- oder Grünraum gefördert werden. Umgebungszonen beinhalten oft auch die Siedlung umgebende Freiflächen und stehen in Beziehung zum Ortskern (Ortsbildteile mit Beziehungswert). Häufig sind diese bereits der Bauzone zugewiesen oder bebaut und bilden den neuen Siedlungsrand. Dies kann unter anderem bei Hanglagen problematisch sein und benötigt eine Auseinandersetzung mit der Dorfsilhouette und der Einbettung in die Landschaft. Die Auszonung oder ein Bauzonenabtausch solcher Flächen soll thematisiert werden.
Darüber hinaus ist mit Blick auf das gesamte Ortsbild das ablesbare und prägende (ursprüngliche) Gefüge der Räume und Bauten durch adäquate, die Struktur bewahrende Bestimmungen weiterzuentwickeln. Bei Aufzonungen ist dafür zumeist eine räumliche Überprüfung notwendig. Zudem sind durch zweckmässige Vorgaben hinsichtlich der Anordnung und der Gestaltung von Bauten und Freiräumen die wesentlichen Elemente und Merkmale zu erhalten (Baulinien, Gebäude mit Strukturerhalt, Nutzweise, Fassadenhöhe, Geschosszahl etc.; siehe auch Werkzeugkasten W4c > Absatz 4.5_F.2_2 [Seite 11]).
Gebiete mit Gestaltungsplanpflicht
In der allgemeinen Nutzungsplanung sind für Gebiete mit Gestaltungsplanpflicht massgeschneiderte Zielvorgaben kontextbezogen vorzugeben. Eine besonders gute Einpassung ins Ortsbild oder eine ebensolche Ergänzung desselben sowie ein guter Übergang ins Kulturland bei Lagen am Dorfeingang und am Siedlungsrand sollen sowohl für Bauten als auch für Freiräume und Bepflanzung geprüft werden. Gestützt auf das öffentliche Interesse können dabei höhere Anforderungen an die Qualität der Bauten sowie Frei- und Grünräume gestellt werden.
Die Verträglichkeit der zulässigen Ausnützung soll insbesondere in Gebieten mit Gestaltungsplanpflicht in Bezug auf den Kontext und unter Berücksichtigung der ISOS-Erhaltungsziele bewusst überprüft werden. Dabei ist qualifiziert zu hinterfragen, ob das gemäss § 8 Abs. 2 BauV quasi automatisch zulässige zusätzliche Vollgeschoss überhaupt verträglich ist (dies gilt gleichermassen für Arealüberbauungen).
Wichtige weiterführende Hinweise zur integralen Freiraum-, Aussenraum- und Strassenraumgestaltung finden sich im Modul Siedlungsqualität.
Qualitätssicherung
Hochwertige Planungen und Bestimmungen können die Siedlungsqualität fördern und begünstigen. Die eigentliche Qualitätssicherung erfolgt jedoch im Vollzug bei der Umsetzung samt der Bemusterung und der Realisierung der Vorhaben. Fachpersonen, Gutachterinnen und Gutachter oder Fachkommissionen und Gremien können die Baubewilligungsbehörden bei ihren Entscheidungen fachlich wirkungsvoll unterstützen und darüber hinaus begleiten (Werkzeugkasten W4c > Absätze 4.2_7, 4.2_8 und 4.2_9 [Seite 3] sowie Absätze 4.5_B.1_1 und 4.5_B.2_1 [Seite 5]). Dies gewährleistet eine fachlich einwandfreie und einheitliche Auslegung von qualitativen und/oder unbestimmten Anforderungen (siehe § 42 BauG sowie § 15e BauV). Sie erhöhen dadurch die Berechenbarkeit der Entscheide, was für Rechtssicherheit und insbesondere auch für Gleichbehandlung sorgt.
3. Planungsinstrumente
Zur Umsetzung der Ortsbildanliegen stehen die klassischen Instrumente der (Sonder-)Nutzungsplanung zur Verfügung. Diese gilt es im Sinne einer hochwertigen Siedlungsentwicklung nach innen massgeschneidert und qualitätsfördernd auszugestalten (siehe 2. Handlungsspielräume für Gemeinden obenstehend sowie Planungswegweiser, Kapitel 4 (Unterkapitel 4.2 und 4.5, ab Seite 5 bzw. Seite 12).
In besonderen Fällen (wie Dorfkernzonen, Altstadtzonen und Weilerzonen), wo räumlich relevante, strukturgebende Gebäude, Elemente und Flächen besonders bezeichnet werden sollen, bewährt sich die Erstellung eines den allgemeinen Nutzungsplan konkretisierenden Ergänzungsplans.
Eine gesamtheitliche Vorstellung über den Raum und dessen Entwicklung ist jedenfalls Voraussetzung für zielführende Festlegungen. Gebietsbezogene Vertiefungsstudien leisten einen wesentlichen Beitrag daran (siehe Planungswegweiser, Kapitel 3 > 3.5 Thematische Vertiefungen [Seite 18]). Sie können gestützt auf § 2a Dekret über die Beiträge an die Raumplanung auf Gesuch hin finanziell unterstützt werden (siehe Dekretsbeiträge).
Für die nutzungsplanerische Umsetzung der Weiler sowie zur fachlichen und finanziellen Unterstützung stehen eine Arbeitshilfe zur Weilerplanung und ein Mustergesuch für Beiträge an Weilerkonzepte zur Verfügung:
- Die Arbeitshilfe Weilerplanung zeigt anschaulich auf, wie das erforderliche Gleichgewicht zwischen Erhalt und Umnutzung situativ gefunden und begründet werden kann.
- Das Mustergesuch Weilerkonzepte ermöglicht Gemeinden mit festgesetzten Weilern gemäss Richtplankapitel S 1.6, unbürokratisch finanzielle Beiträge bei der ARE zu beantragen.
In der Publikation Zukunft bauen – Geschichte weiterbauen finden sich gelungene Aargauer Beispiele zum Umgang mit historischen Ortsbildern. Empfehlungen zur Farb- und Materialwahl für Bauten im ländlichen Raum gibt zudem gibt das Merkblatt des Departements Bau, Verkehr und Umwelt (BVU).
3.1 Umsetzungsbeispiele für die BNO
Der Werkzeugkasten bietet ortsbauliche Vorgaben für einen massgeschneiderten Umgang mit dem Ortsbild (Werkzeugkasten W4c > Absatz 4.5_F.2_2 [Seite 11]).