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Kantonale Schutzobjekte

Spurensuche im Hochstudhaus

Das Hochstudhaus an der Hardstrasse 5 in Hirschthal wurde im 16. Jahrhundert erbaut und bis zum 19. Jahrhundert unter Erhaltung des 1563 datierten Kernbaus erweitert. Es zählt zu den wenigen so umfassend mit Substanz des 16. Jahrhunderts erhaltenen Hochstudhäusern im Kanton Aargau. Ursprünglich als reiner Wohnbau am Rande des Hardwalds und am bedeutenden Verkehrsweg erbaut, diente es möglicherweise auch als Schankstube für Reisende und Händler.

Hirschthal, Hochstudhaus Hardstrasse 5, Ansicht von Nordwesten 2019. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Foto Martin Hoffmann.
Hirschthal, Hochstudhaus Hardstrasse 5, Westfassade, Brustriegel mit Würfelfries aus Nadelholz und aus Eichenholz. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Foto Martin Hoffmann.

Die Unterschutzstellung im Jahr 2021 würdigt die sehr grosse historische, gesellschaftliche und handwerkliche Bedeutung und den hohen Situationswert des Hochstudhauses. Im Vergleich mit anderen erhaltenen Hochstudbauten aus dem 16. Jahrhundert, darunter das kommunal geschützte Haus an der Seestrasse 13 in Rupperswil (RUP911), dendrodatiert auf 1539/40 (d) und das kantonal geschützte Haus am Kirchrain 175a (GON009), erbaut ab 1569/70 (d), kommt auch dem Hirschthaler Hochstudhaus eine kantonale Bedeutung zu.

Bereits seit 1992 war der Bau als Kurzinventarobjekt erfasst und die Schutzwürdigkeit 2014 mit der Überarbeitung des Inventars bestätigt. Im Jahr 2019 untersuchte die Kantonsarchäologie Aargau das Haus. Der Bericht enthält die Ergebnisse der dendrochronologischen Untersuchung, eine Beschreibung der Konstruktion sowie Details der Bau- und Nutzungsgeschichte, die sich aus Archivalien wie der Brandassekuranz nachvollziehen lassen. Dank der Bauernhausforschung und bauarchäologischen Untersuchungen anderer Bauten lässt sich der viergeteilte Grundriss als zeit- und regionaltypisch einordnen. Abweichungen vom Grundschema sind demnach Besonderheiten, so ist zum Beispiel ist die Lage der Hauptstube, erkennbar an der Grösse und der grosszügigen Befensterung sowie äusserlich verhältnismässig reichem Bauschmuck, in diesem Bau südwestseitig, zur Strasse hin angeordnet. Der Brustriegel mit Würfelfries am Fenster der Hauptstube ist – anders als die weiteren Brustriegel aus Nadelholz – aus Eichenholz gefertigt und zeichnet die Hauptstube besonders aus. Am Fenster befinden sich ausserdem noch Abnutzungsspuren vom Seilzug der Klappläden. Die Tiefe dieser Einkerbungen lässt darauf schliessen, dass der Laden dieses Fensters häufiger geöffnet und geschlossen wurde.

Das Tagebuch des Holzbauers

Nach einem Eigentümerwechsel wurde parallel zum laufenden Unterschutzstellungsverfahren ab 2021 mit denkmalpflegerischer Begleitung durch Dr. Jonas Kallenbach mit Instandsetzungsarbeiten begonnen. Es ist ein Glücksfall, wenn Bauherrschaften und Fachpersonen Interesse haben, Wissen über den Bau zusammenzutragen und den Bauablauf wenn nötig wieder und wieder an die gewonnenen Erkenntnisse anpassen. Besonders wertvoll ist es, wenn die Beobachtungen auch dokumentiert werden. Der Zimmermann und im Umgang mit Baudenkmälern versierte Holzhandwerker Martin Hoffmann aus Reinach schreibt Arbeitsberichte, mit denen Entscheidungen und vorgenommene Baumassnahmen nachvollziehbar sind und die wertvolle Informationen zur Bau- und Nutzungsgeschichte liefern.

Sorgfältige Eingriffe

Hirschthal, Hochstudhaus Hardstrasse 5, gebrochener First. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Foto Martin Hoffmann.

Ganz wesentlich für die Erhaltung der Denkmaleigenschaften des Baus ist, nur so viel zu ersetzen, wie notwendig und Reparaturen und Ersatz so auszuführen, dass die Ablesbarkeit der Geschichte bewahrt wird. Während Hölzer und Ziegel untersucht, teilweise ausgebaut, teilweise ersetzt oder ertüchtigt werden, hält der Holzbauer seine Beobachtungen fest und gewinnt in Zusammenarbeit mit der Kantonsarchäologie und Denkmalpflege neue Erkenntnisse zur Bau- und Nutzungsgeschichte. Die Spuren am Bau, die er entdeckt und interpretiert, sind das, was im Bericht zur Unterschutzstellung als Zeugnisse der Handwerkskunst gewürdigt werden. Dazu zählen nicht nur die dekorativen Würfelfriese, sondern auch die Technik der Holzverbindungen mit Zapfen, Schwellschlössern, Blattverbindungen und auch die Spuren der Holzbearbeitung mit Beil oder Säge.

Jeder Eingriff wird im Zuge der aktuellen sanften Sanierung einzeln abgewogen und je nach Erhaltungszustand und Informationsgehalt individuell vorgenommen. Im Bereich des Daches musste relativ viel ausgetauscht werden. Die Konstruktion war bei der Umdeckung von Stroh auf Ziegel teilweise ertüchtigt worden. Die grosse Last der Ziegel war jedoch an manchen Stellen zu einem statischen Problem geworden und so waren Balken verschoben, Holzverbindungen nicht mehr in Takt und der First gebrochen.

Vom Stroh zum Ziegel

Das Dach bestand zuletzt aus vielen verschiedenen Flächen mit unterschiedlichen Ziegeln unterschiedlicher zeitlicher Herkunft und Produktion. Der Ziegel aus der Kölliker Ziegelei Hilfiker "Modell Altkirch" wurde bereits ab 1890 hergestellt und Martin Hoffmann schreibt von seiner hervorragenden Tonqualität. "Die Oberflächen sind nach über hundert Jahren noch immer weitestgehend makelloss, es gibt keine Frostschäden." An anderen Teilen lagen Doppelfalzziegel, die ab 1881 mit einer halbindustriellen Herstellungstechnik eine Neuerung darstellten. Die verschiedenen Ziegel stellen auch verschiedene Herausforderungen. Für ein dauerhaft gut eingedecktes Dach braucht es daher einzelne moderne Massnahmen für die Wiedereindeckung, so werden als Spliesse zum Abdichten der Fugen zwischen den Tonschindeln Holz- und Aluschindeln verwendet und die Breiten der historischen Ziegel teilweise durch Anschliff gleichmässiger gemacht. Bei der Neueindeckung des Daches werden ca. 1/3 der Ziegel austauscht. Der Ersatz wird von mehreren Orten zusammengetragen, es sind Flachfalzziegeln und auch alte Biberschwanzziegel. Die wiederverwendeten Ziegel legen so "ein gefälliges und wertvolles Zeugnis von der Entwicklung der Tonziegelbedachungen ab."

Hirschthal, Hochstudhaus Hardstrasse 5, Ansicht von Südosten 2019. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Foto Martin Hoffmann.

Dem Arbeitsbericht aus März 2021 entnehmen wir: "Durch die Erweiterung der Scheune Richtung Norden und auch der immer in kleineren Etappen erfolgten Ablösung des Strohdaches mit (allerlei) Ziegeltypen, ist eine Situation entstanden, die Staunen lässt. Staunen darüber, wie das alles gehalten hat, mit ganz wenig "Konstruktion", das allermeiste sicherlich aus der Not heraus zusammengestiefelt, sogar die Bohnenstecken mussten herhalten. Und sie haben es getan! Rund 80 bis 100 lange Jahre lang trugen historische Laubholzdachlatten aus dem 17. Jahrhundert mit den erwähnten Stecken sich überkreuzend, ein schweres Ziegeldach; Quadratmetergewichte möchte man gar nicht so genau wissen wollen."

"Die sprichwörtliche Gewohnheit hat wohl alles vor dem Zusammenbruch bewahrt" fasst Hoffmann zusammen, denn die Schäden sind teilweise gross.

Die Schäden am Dach durch die Last der Umdeckung von Stroh auf Ziegel haben auch im unteren Bereich Auswirkungen. Im Februar 2022 heisst es im Arbeitsbericht: "Von diesem die Stallfront prägendem Element, das der Abstützung der weit vorspringenden [..] Rafenlage dient, konnten bei der Demontage nur wenige Bauteile gerettet werden. Das schon sehr lange und flächig eindringende Regenwasser und sein tierischer Begleiter, der feuchtes Holz liebende Hausbock, haben die einstigen Balken ziemlich zu Humus umgewandelt. Und doch, das wirklich wichtige[..] das hat überlebt, respektive, konnte durch Reparieren erhalten werden."

Die Baugeschichte hält auch verschiedene Überraschungen bereit, die nicht Ersatz, sondern ein additives Bauteil benötigen. Die Verschiebungen im Dachbereich und Umbauten zu früherer Zeit und Holzfäule haben im Bereich des Stalls zu einem Schaden geführt.

Martin Hoffmann schreibt im Mai 2022: " Dieser Verdrehung lässt sich so ohne weiteres nichts entgegenstellen: es gibt kein stabiles Fundament darunter [..] und der Lehmboden [..] ist höchst erhaltenswert. Tja, wie soll das gehen? [..] Ein Eisenfuss, gestützt auf die (noch zu unterfütternde) Bodenplatte des Stalls [..] wird zur Eierlegenden Wollmilchsau." Eine Lösung ist gefunden, die nicht nur möglichst viel historische Substanz erhält, sondern auch weiterhin die Baugeschichte ablesbar behält und sogar den Boden, auf dem das Haus steht, als Teil des Baudenkmals berücksichtigt und erhält.

Hungrige Esel und sicher verwahrtes Getreide

Hirschthal, Hochstudhaus Hardstrasse 5, nördlicher Teil der Westfassade mit Speichertür. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Foto Martin Hoffmann.

Von Martin Hoffmann erfahren wir auch etwas zur Nutzungsgeschichte. Er erklärt, an welcher Stelle offenbar schlecht genährte Esel die Bohlenwand angenagt haben und er beschreibt ein sehr aufwändig ausgeführtes Wandgefüge, das einen nur von aussen mit einem schmiedeeisernen Schloss verschliessbaren Speicherraum bildet. Hoffmann stellt fest "viele Details lassen Fragen aufkommen, die das ganze Haus, respektive seine ursprüngliche Nutzung, soweit vom Dorf weg, in möglicherweise Alleinlage, an diesem historischen, uralten Verbindungsweg, in eine ganz andere Bedeutung und Wichtigkeit bringen könnten. Diese Rückschlüsse entstehen rein nur aus der Betrachtung des Gebauten, Vorhandenen, mit dem Auge des erfahrenen Zimmermannes."

Dieses erfahrene Auge und ganz besonders die Berichte des Zimmermanns ergänzen die Beobachtungen der Bauforschung und der Denkmalpfleger und fügen sich im fachlichen Austausch aller Beteiligter zu einem Gesamtbild zusammen. Das spätmittelalterliche Hochstudhaus in Hirschthal an der Hardstrasse erfährt so eine Weiterführung der Nutzung und bewahrt dank wohl überlegter Eingriffe als wichtiges Baudenkmal seine Zeugenschaft aus über 450 Jahren. (Anne Lauer)