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Kantonale Schutzobjekte

340 Jahre Geschichte unter einem Dach

Im Zopf in Birrwil entstanden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Reihe Hochstudbauten unter mächtigen Dächern, von welchen sich bis heute ein paar hervorragende Vertreter erhalten haben. Sie bilden damit ein Bau-Ensemble von überregionaler Bedeutung. Das Haus im Zopf 26 entstand um 1683/84 und wurde 2021 aufgrund seiner situativen, geschichtlichen und baukünstlerischen Bedeutung unter kantonalen Schutz gestellt. Eine denkmalgerechte Gesamtsanierung ist aktuell in Ausführung.

Birrwil, Hochstudhaus Zopf 26, Blick von Norden. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Die ursprüngliche landwirtschaftliche Bauweise im schweizerischen Mittelland ist das Hochstudhaus. Doch nur noch selten begegnen wir heute dem gedrungenen, steilgiebligen Firstständerbau mit seinen mächtigen Dachflächen, der bis in die Zwischenkriegszeit das Gesicht der Ackerbaudörfer im Aargau geprägt hat. Wie Fremdlinge stehen die wenigen noch erhaltenen Zeugen in der sich immer schneller verändernden Siedlungslandschaft und die bis heute anhaltende bauliche Verdichtung stellt eine Gefahr für die letzten Vertreter diese Bautypologie dar. Die grosse Anzahl abgegangener Bauten täuscht darüber hinweg, dass viele Ortsbilder mehrheitlich von strohgedeckten Bauten geprägt wurden. Nur noch an wenigen Orten im Kantonsgebiet ist die Auf- und Aneinanderreihung dieser archaisch anmutenden Bauten noch erlebbar – eine dieser ortsbaulichen Situationen findet sich im Birrwiler Zopf.

Zopf Birrwil – ein Spezialfall

Im Zopf in Birrwil haben sich beidseits der einst wichtigen Verbindungstrasse, die von Lenzburg zum Dorfplatz Birrwil und dann weiter nach Beinwil am See führt, mehrere alte Hochstudbauten erhalten, die eine ausgeprägte, verengte Gassensituation bilden. Die Gebäude stehen mit ihren Schmalseiten zur Strasse und orientieren sich mit ihrer Hauptseite nach Süden, um maximal von der Sonneneinstrahlung profitieren zu können – eine ortsbauliche Disposition wie sie in den von Nord nach Süd orientierten Dörfern im Seetal früher oft anzutreffen war.

Birrwil, Zopf, Situation um 1840 auf der Michaeliskarte (blaue Markierung: Zopf 26)
Birrwil, Ortsansicht im Zopf um 1900 von Norden mit strohgeckten Hochstudbauten. Quelle: Archiv Schweizerische Bauernhausforschung, abgedruckt in: Pius Räber, Bauernhäuser der Kantons Aargau, 2002, S. 76.

Gut Gerüst(et) für ein langes Leben

Das tägliche Leben auf dem Land war bis in das ausgehende 19. und bis ins das frühe 20. Jahrhundert mehrheitlich durch die Landwirtschaft und durch Heimarbeit geprägt und fand tagsüber zu grossen Teilen ausserhalb der eigentlichen (Wohn)Bauten statt. Diese mussten nebst zweckmässigen Wohnräumen über grosse Lager- und Stauflächen verfügen. Kaum ein Bautyp erfüllt diese Anforderungen so gut wie das Hochstudhaus, wo sich über den zwei Wohngeschossen ein riesig anmutender Dachraum bildet. Im Fall des Hochstudhaus Zopf 26 stützt sich das charakteristisch Walmdach auf eine intakt erhaltene Holz-Konstruktion, die auf drei mächtigen, russgeschwärzten Ständern ruht, die vom Boden bis zum Dachfirst reichen. Sie bilden das architektonische und strukturelle Rückgrat, das eigentliche Gerüst des Gebäudes und sind Namensgeber für die Bautypologie (Hochstud). Sämtliche Konstruktionshölzer und auch die fächerförmig verlegten, über den First hängenden Rafen sind noch im Originalzustand erhalten und sind durchgehend rauchgeschwärzt.

Birrwil, Hochstudhaus Zopf 26, Hochstudkonstruktion von 1683, Blick zum Firstbereich, 2016. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Erste Eindrücke am Aussenbau

Das Gebäude im Zopf 26 unterscheidet sich in seinem Äusseren auf den ersten Blick nur wenig von den zeitgleichen landwirtschaftlich geprägten Kleinbauernhäusern. Wer sich hingegen ein wenig Zeit nimmt, um das Gebäude genauer zu betrachten, der erkennt, dass das Hochstudhaus von Beginn an als Wohngebäude für mehrere Parteien gedient hat und somit nicht ganz dem Bild des unter einem Dach vereinten Vielzweckgebäudes entspricht. Diese besondere Disposition am Haus Zopf 26 ist an seinem Aussenbau erkennbar. Wo Vielzweckbauten die klar erkennbare Abfolge von Wohnteil, Tenne, Stall aufweisen, zeigt das Haus im Zopf 26 die Abfolge mehrerer Wohneinheiten, die insbesondere auf der Südseite noch gut ablesbar sind. Im Gegensatz zu der mehrfach überprägten Nordseite hat sich am westlichen, zur Strasse gerichteten Hausteil eine Stubenfront erhalten, die mit durchlaufendem profiliertem Brustriegel und reihenartig angeordnete Fenstern weitgehend den ursprünglichen Verhältnissen entspricht. Gegen Osten ist eine bauliche Erweiterungsphase erkennbar.

Birrwil, Hochstudhaus Zopf 26, Stubenfront der Südfassade (Westen) mit profiliertem Brustriegel und historischer Fenstereinteilung. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Bauarchäologische Forschung

Birrwil, Hochstudhaus Zopf 26, Bauphasenplan mit Kernbau von 1683 (gelb) und ostseitiger Erweiterung (grün). © Kantonsarchäologie Aargau.

Das Wissen über die Baugeschichte des Hochstudhauses Zopf 26 konnte durch den Bereich Bauforschung der Kantonsarchäologie Aargau im Herbst 2017 komplettiert werden, indem das Haus bauarchäologisch untersucht und dokumentiert wurde. Die damit einhergehende Auseinandersetzung mit dem Hochstudhaus führte zu vielen Erkenntnissen zu seiner reichen Bau- und Nutzungsgeschichte und erhärtete die bereits erkannte hohe kulturgeschichtliche Bedeutung des Gebäudes. Mit der Festlegung des wesentlichen schutzwürdigen Bestandes konnten wichtige Erkenntnisse für das aktuelle Umbauprojekt gewonnen werden. Der Ursprungsbau mit seiner zweiteiligen Hochstudkonstruktion konnte mittels Altersbestimmung der Bauhölzer (Dendrochronologie) auf die Jahre 1683/84 datiert werden. Die ursprünglichen Konstruktionshölzer unterscheiden sich in ihrer Dimensionierung nur leicht von der bereits am Aussenbau erkennbaren Erweiterung um einen Firstständer auf der Ostseite. Diese Bauphase entstand wohl im frühen 18. Jahrhundert, als das Gebäude in drei Wohneinheiten aufgeteilt wurde.

Rauchgeschwärzte Vergangenheit mit viel Substanz

Die Untersuchung durch die Kantonsarchäologie Aargau hat aufgezeigt, dass der bauzeitliche Bestand fast vollständig erhalten geblieben ist, und dass bei Umbauten bis ins 20. Jahrhundert hauptsächlich additiv gearbeitet wurde. Auf diese Weise blieb nicht nur das tragende Ständergerüst weitgehend erhalten, sondern sind auch die Wandfüllungen, Böden sowie die Renovationen beziehungsweise die Umbauten des 18. und 19. Jahrhunderts substantiell gut fassbar. Diese grosse materielle Überlieferung ist wesentlicher Bestandteil des Schutzwerts des Gebäudes. Das Hausinnere zeigt eine für kleinbäuerliche Verhältnisse typische Anlage mit kleinteiligen, verwinkelten und ineinander verschachtelten Wohneinheiten. Durch die bauarchäologische Untersuchung konnte die sich im Verlauf der letzten dreihundert Jahre mehrfach veränderte Grundrisseinteilung nachvollzogen werden. Auf diese Weise sind Rückschlüsse auf die ursprünglichen Nutzungsverhältnisse möglich und das Hochstudhaus Zopf 26 wird zu einer äusserst wichtigen und aussagekräftigen Quelle für sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragen im ehemaligen Berner Aargau.

An den Aussenwänden haben sich die Ständerkonstruktionen erhalten, die mit breiten, gefasten Kopfhölzern ausgesteift sind. Die Wandfüllungen bestehen aus kräftigen, liegend eingefüllten Bohlen. Diese werden im Zuge der aktuellen Baumassnahmen erhalten und – wo notwendig und denkmalverträglich möglich – wieder freigelegt und sichtbar gemacht.

Birrwil, Hochstudhaus Zopf 26, Südkammer im Obergeschoss mit originalen Bohlenwänden. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Als überregional bedeutender Einzelfall kann der gut erhaltene westliche Gebäudeteil des Hochstudhaus Zopf 26 angesprochen werden. Hier ermöglicht sich dem Besucher ein ungeschminkter Blick in die Lebensrealität und Lebensweise der Menschen im frühen 19. Jahrhundert. In unverändertem Zustand hat sich eine zweigeschossige offene Küche mit gewölbtem Rauchfang ("Chemihurd") erhalten. Eine Raumstruktur, die im Aargau in solch unverfälschter Weise wohl kaum ein zweites Mal anzutreffen ist.

Birrwil, Hochstudhaus Zopf 26, originale Rauchküche im westlichen Gebäudeteil. © Kantonale Denkmalpflege Aargau.

Gesamthaft ist das Hochstudhaus Zopf 26 ein prägender Bestandteil der frühen Siedlungserweiterung des 17. Jahrhunderts im Birrwiler Zopf, die zu der charakteristischen Aufreihung von stirnseitig zur Strasse gestellten Bauten geführt hat. Als freistehender Wohnbau gehört das Gebäude zu den wenigen erhaltenen Vertretern dieser Typologie in unserer Region und dient mit seinen mehrfachen Erweiterungsphasen und Umprägungen als reiche Quelle für wirtschafts- und sozialgeschichtliche Fragestellungen. Seine eindeutig feststellbare überregionale Bedeutung wird durch den zu grossen Teilen überlieferten Baubestand aus dem 17. und 18. Jahrhunderts erhärtet. Der Eigentümer ist sich des hohen kulturgeschichtlichen Werts seiner Liegenschaft wohl bewusst, was sich darin zeigt, dass er den Antrag zur kantonalen Unterschutzstellung des Gebäudes gestellt hat. Das reiche Innenleben des Baus wird im Zuge des laufenden Umbauprojekts mehrheitlich erhalten und das Hochstudhaus wird wieder einer Wohnnutzung zugeführt, die – geplant durch das Architekturbüro Moser und Colombo, Aarau und fachlich begleitet durch die Kantonale Denkmalpflege – zu einem spannenden und respektvollen Gegenüber von alter Bausubstanz und neuen Ergänzungen führen wird.