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Benedikt Hellweger, Freiwilliger von Bibliothek und Archiv Aargau: Sammlung sichtbar machen
Im eidgenössischen Staatsverständnis des 19. Jahrhunderts sind Frauen nicht als partizipierende Staatsbürgerinnen vorgesehen. Der Lehrberuf ist für Frauen in der Schweiz noch kaum üblich. Elisabeth Flühmann (1851–1929) gilt als Pionierin der Lehrerinnenbildung und Wegbereiterin der Frauenrechte im Aargau. Sie setzt sich für zahlreiche Projekte im Bereich Frauenrechte und Gleichstellung ein.
Im 19. Jahrhundert etablierte sich in der Schweiz die republikanische Staatsform. In dieser wurde angenommen, dass "der Bürger", die Mündigkeit und das intellektuelle Vermögen zum Verständnis von Verfassung und Gesetzesvorlagen mitbringt. Doch, das Wort "Bürger" verrät schon vieles: Der weiblichen Bevölkerung wurden diese "Qualitäten" grundsätzlich abgesprochen.
Auswirkungen hatte dies beispielweise in der Ausbildung. Während die Knaben zu "partizipierenden Staatsbürgern (Citoyens)" erzogen wurden, waren Frauen als ausführende Staatsbürgerinnen nicht vorgesehen. Sie sollten sich vielmehr der ihnen zugewiesenen Rolle der Mutter und Hausfrau widmen.
Für junge Frauen war eine Anstellung als ungelernte Lohn- oder Hausangestellte toleriert. Der Lehrberuf war für Frauen in der Schweiz jedoch kaum üblich. Einige Lehrerinnen gingen daher als Gouvernanten zu vermögenden Familien ins Ausland.
In höheren Klassenstufen war eine akademische Ausbildung Voraussetzung. Da Frauen keine offizielle Zulassung zu einer universitären Ausbildung hatten, war ihnen dieser Berufsweg verschlossen. Ein grosses Hindernis für Frauen war zudem, dass sie als Lehrerinnen unverheiratet sein mussten. Gleichzeitig Mutter und Berufstätige sein zu können, war also praktisch unmöglich.
Josephine (Zehnder-)Stadlin (1806–1875) gründet den Verein Schweizerischer Erzieherinnen und eröffnet ein Jahr später in Zürich ein privates Lehrerinnenseminar. Dieses besteht jedoch nur während dreier Jahre.
An der Handelsabteilung der Aargauischen Kantonsschule werden auch Mädchen zugelassen.
In Zürich studieren erstmals zwei russische Studentinnen an der Medizinischen Fakultät der Universität.
Marie (Heim-)Vögtlin (1845–1916) studiert als erste Schweizerin Medizin an der Universität Zürich. 1872 macht sie das Staatsexamen. Sie absolviert ihre Assistenzzeit in Deutschland, da kein Schweizer Spital Ärztinnen anstellt.
Das Töchterinstitut in Aarau wird zum aargauischen Seminar für Lehrerinnen.
Marie (Heim-)Vögtlin eröffnet als erste Schweizer Ärztin eine gynäkologische Praxis in Zürich.
Elisabeth Flühmann wird 1851 bei Krattigen am Thunersee BE geboren. Im Alter von wenigen Monaten wandert sie mit ihrer Familie nach Amerika aus. Später kehrt sie in die Schweiz zurück.
Sie absolviert eine Ausbildung zur Primar- und später Sekundarlehrerin. 1877 unterrichtet sie Deutsch in einer neu gegründeten Schule in Serres (damals osmanisches Mazedonien) und lernt Alt- und Neugriechisch.
1880 wird Elisabeth Flühmann in Aarau als Lehrerin für Geschichte, Kirchengeschichte, Geografie, Turnen und Italienisch am Aarauer Lehrerinnenseminar angestellt. Ausschlaggebend ist wohl nicht nur ihre Qualifikation, sondern auch, dass sie als Frau nur 2800 Franken Jahreslohn verdienen wird, anstelle von 3500 Franken, wie es für einen Mann üblich gewesen wäre.
1890 gründet Elisabeth Flühmann den Verein Aargauer Lehrerinnen und ist Mitinitiantin des schweizerischen Lehrerinnenheims in Bern.
Ihre Anstellung am Lehrerinnenseminar in Aarau bleibt für mehrere Jahre befristet, erst als sie sich offensichtlich nach einer neuen Stelle umsieht, erhält sie eine Festanstellung. Elisabeth Flühmann ist 35 Jahre in Aarau tätig und scheint auch vom Rektor geschätzt zu werden. Dies können wir seinem Schreiben zu ihrem Austritt entnehmen.
Neben ihrem Beruf setzt sie sich für zahlreiche Projekte im Bereich Frauenrechte und Gleichstellung ein. Sie schreibt für die "Schweizerische Lehrerinnenzeitung" und das "Schweizer Frauenblatt", ist bei der Gründung des "Vereins aargauischer Lehrerinnen" 1888 dabei und publiziert 1919 zur Frage des Frauenstimmrechts.
Sie veröffentlicht mehrere Aufsätze in verschiedenen Zeitungen. Im Artikel "Über Bedeutung und Wert der Geschichte auch für Frauen", erschienen im "Schweizer Frauenblatt" im Jahre 1919 schreibt sie darüber, dass Frauen auf keinen Fall weniger geschichtsinteressiert seien als Männer.
Elisabeth Flühmann führt auch Korrespondenz mit anderen Frauenrechtlerinnen wie Emma Pieczynska-Reichenbach oder Pauline Chaponnière-Chaix.
Offenbar befragt Elisabeth Flühmann auch ihre Schülerinnen zu aktuellen Themen. 1918 führt der "Bund Schweizerischer Frauenvereine" eine Umfrage bei Frauen zwischen 16 und 22 Jahren durch. Gefragt wird zum Beispiel: "Was für Gedanken habe ich, wenn ich Vater und Bruder zur Urne gehen sehe?"
Eine wegweisende Rolle hat Elisabeth Flühmann aber in der Frauenstimmrechtskampagne im Aargau von 1919. Die Petition eines (vorerst eingeschränkten) Frauenstimmrechts lehnt der Grosse Rat mit der folgenden Begründung ab: "Politik ist eine Frage des Intellektes, des Verstandes und nicht des Herzens. Hierzu aber fehlt der Frau die Kraft und die Beständigkeit. Die aufregende Politik würde dem zarten weiblichen Nervensystem nur schaden."
Elisabeth Flühmann war eine gebildete und unerschrockene Pionierin und Wegbereiterin der Frauenrechte im Aargau. 1929 verstarb Elisabeth Flühmann in Aarau.
Benedikt Hellweger, Freiwilliger von Bibliothek und Archiv Aargau: Sammlung sichtbar machen