Ein Paramentenschatz auf Tour
Textilien erfordern besondere Lagerungsbedingungen. Die Paramente der Stiftskirche St. Martin in Rheinfelden litten in den letzten Jahren immer wieder unter Schimmelbefall. Nun ist ein neuer Ort extra für sie geschaffen worden. Die Kantonale Denkmalpflege hat den Umzug in den klimatisch regulierbaren Raum aus Holz auf dem Dachboden des Kirchgemeindehauses Martinum und die Reinigung des historischen Kulturgüterschatzes begleitet.
Das Stift Rheinfelden wurde 1870 aufgehoben und der Stiftsprobst trat zusammen mit der ganzen Gemeinde zum christkatholischen Glauben über. Noch im gleichen Jahr wurde der erste christkatholische Bischof geweiht. Durch diesen nahtlosen Übergang von der Stiftszeit in die nachstiftliche Zeit ist in Rheinfelden sehr viel an wertvollen Schätzen erhalten geblieben; so eine grosse Bibliothek, eine Musikaliensammlung, historische liturgische Gefässe und Geräte sowie ein grosser Paramentenschatz.
Auf den ausserordentlichen Wert des Paramentenschatzes aufmerksam geworden ist man bei der Innenrestaurierung der Stadtkirche St. Martin in den Jahren 1986 bis 1992. Von den rund dreihundert Paramenten stammen manche aus dem 18. Jahrhundert, einige darunter sind sogar noch älter. 1997 erarbeitete die Kunsthistorikerin Carmela Kuonen zusammen mit der Textilrestauratorin Ina von Woyski ein umfassendes wissenschaftliches Inventar und seit 2003 steht der Paramentenschatz unter kantonalem Denkmalschutz. Viel Wertschätzung wird den Paramenten seit 1930 von den Mitgliedern des Christkatholischen Frauenvereins Rheinfelden entgegengebracht. Seit 2014 trifft sich die ehrenamtliche Arbeitsgruppe monatlich. Sie widmet sich mit viel Engagement der Pflege, Kontrolle und Reinigung der Paramente.
Nachdem der liturgische Schatz über längere Zeit hinter dem Altar aufbewahrt worden ist, erfuhr die Hälfte der Paramente in den 1990er-Jahren einen Standortwechsel und wurde seither in drei Korpussen aus Holz mit Schubladen auf der Chorbühne neben der Orgel gelagert, während die andere Hälfte in den Gottesdiensten in Gebrauch ist. An der nordwestlichen Aussenwand der Kirche waren die Textilien einer hohen Luftfeuchtigkeit ausgesetzt. Was der Orgel sehr zusagt, hat bei den Paramenten nachweislich für Schimmelbefall gesorgt. Diesem misslichen Umstand musste zwangsläufig entgegengewirkt werden, um den einzigartigen und grossen Bestand von liturgischen Textilien nachhaltig bewahren zu können.
Zuerst musste allerdings ein geeigneter Raum gefunden werden, in welchem sich das Klima regulieren lässt. Mit der Errichtung der Holzbox auf dem Dachboden des Kirchgemeindehauses Martinum wurde der ideale, kontrollierbare Lagerraum für die Paramente geschaffen.
Jolanda Capomolla, Karin Persy und Johanna Holer haben unter Begleitung von Regina Manger, Restauratorin, und der freiberuflichen Textilkonservatorin/-restauratorin Ina von Woyski die Paramente nach dem Umzug gereinigt, die Inventarisationsnummern überprüft und Stolen, Manipel, Kaseln und Velen fachkundig und sorgfältig in den Schubladen am neuen Ort, dem Kulturgüterraum im Kirchgemeindehaus Martinum, versorgt.
Die Kantonale Denkmalpflege hat den Umzug der Paramente, der in der KW 15 (12.-16. April 2021) erfolgte, begleitet und den fleissigen Helferinnen Fragen gestellt:
Weshalb zieht einer der wundervollsten und reichsten Paramentenschätze des Kantons Aargau innerhalb von Rheinfelden von der Stadtkirche St. Martin in den Kulturgüterraum Martinum um?
Die zu hohe Luftfeuchtigkeit an der Nordwestwand in der Kirche St. Martin hat den textilen Paramenten an ihrem letzten Lagerort zugesetzt. Als Schimmel auf einigen Paramenten festgestellt wurde, hat man angefangen die Luftfeuchtigkeit zu messen und hat vermehrt den Zustand der Paramente überprüft, um Massnahmen dagegen ergreifen zu können. Die klimatischen Bedingungen waren irgendwann nicht mehr tragbar. Der Aufwand, die Paramente regelmässig auf neuen Schimmelbefall zu überprüfen, hat zugenommen. Seit 2014 treffen wir uns als Arbeitsgruppe monatlich, um die Paramente zu überprüfen. Es musste ein klimatisch regulierbarer Lagerraum für die Paramente gefunden werden, damit sie den äusseren klimatischen Bedingungen nicht mehr ausgeliefert sind. Da sie relativ eng in den Schubladen liegen, ist die Durchlüftung ein wesentlicher Aspekt.
War die Suche nach einem idealeren Standort schwierig?
Als wir schon beim zweiten Kontrollgang Schimmelbefall entdeckten, wollten wir Abklärungen treffen, in welchem Raum die Paramente besser gelagert werden könnten. Eine Zeit lang war die Auslagerung der Paramente ins Stadtarchiv ein Thema. Dagegen sprach, dass sie dann nicht öffentlich hätten besucht werden können. Sie wären eingeschlossen worden, fernab von jeglicher Besuchsmöglichkeit.
Wie ist die Stadtkirche St. Martin überhaupt zu diesem reichen Kulturgüterschatz gekommen und welches Handwerk verbirgt sich hinter den Paramenten?
Die meisten Paramente wurden im spätbarocken Stil geschaffen. Einige der bemerkenswertesten Arbeiten konnten der Nonne Maria Scholastica An der Allmend zugeordnet werden, die von 1647 bis 1722 im Kloster "Hortus Dei" in Olsberg lebte. Viele Leute sind sich gar nicht bewusst, welches Handwerk hinter den Paramenten steckt. Diese Präzision und Genauigkeit in der handwerklichen Arbeit des Nähens und Stickens ist verblüffend. Während die Webarbeiten mehrheitlich von Männern ausgeführt wurden, insbesondere die Anfertigung von französischem Seidengewebe, wurden die Näh- und Stickereiarbeiten hauptsächlich von Frauen in Paramentenwerkstätten ausgeübt.
Wie erfolgt die Reinigung der Paramente, um sie vom Schimmel zu befreien?
In einem ersten Schritt werden die Paramente abgesaugt, weil Schmutz und Dreck ein guter Nährboden für Mikroorganismen sind. Beim Absaugen kann der Dreck eliminiert werden und Stellen mit Pilzsporen können in einem zweiten Schritt mit Sprit behandelt werden. Hochprozentiger Alkohol wirkt antiseptisch und entzieht dem Schimmelpilz das lebensnotwendige Wasser. Die mit Pilzsporen befallenen Paramente wurden jeweils bei den Kontrollgängen, die zwischen 2014 und 2020 erfolgten, mit Brennsprit behandelt.
Wurden auch die Holzkorpusse vor dem Umzug einer speziellen Reinigung unterzogen?
Die beauftragten Schreiner haben die Holzkorpusse auseinandergenommen und alle Holzelemente mit Sprit behandelt. Auch die Bespannungsbänder, welche für die Durchlüftung in der Schublade sorgen, wurden mit Alkohol eingesprüht. Die Baumwollbespannungen wurden aus den Schubladen herausgeschnitten, da sie besonders von Schimmelbefall betroffen waren. Als Ersatz dafür wurden die Schubladen mit säurefreiem Karton und rutschfestem Vlies ausgestattet, um die künftige Handhabung zu erleichtern.
Wie würden Sie den Zustand der Paramente beschreiben?
Grundsätzlich ist der Zustand der Paramentensammlung sehr heterogen, was schon bei der Inventarisierung aufgefallen ist. Es gibt solche, die wurden in den Gottesdiensten extrem viel getragen und sind entsprechend lädiert. Es gibt andere, die wurden ebenfalls oft getragen und waren dann so abgenutzt, dass sie restauriert werden mussten. Teilweise wurde ein neuer Stoff über grössere Flächen genäht oder aus zwei Kaseln wurde eine gefertigt. Und dann gibt es Kaseln, wohlgemerkt aus dem 18. Jahrhundert, welche wie neu aussehen. Bei Letzteren gehen wir davon aus, dass sie nicht gefallen haben, vielleicht aufgrund der Farbe oder weil sie am Hals womöglich gekratzt haben. Man sieht den Paramenten an, wie stark ihr Gebrauch war. Neben aufgerauten Stellen, wie etwa bei der Schulterpartie oder vorne beim Bauch, haben wir auch Wachsflecken von Kerzen oder Weinflecken entdeckt. Erfreulicherweise weisen sie keine verblichenen Stellen auf, was bedeutet, dass sie vor Licht stets geschützt wurden. Entweder hingen sie in den Schränken der Sakristei oder dann hinter dem Hochaltar.
Kam während Ihrer Arbeit auch Überraschendes und Unvorhergesehenes zum Vorschein?
Wenn uns bei der Reinigung von bestimmten Stücken besonders viele Mottenlöcher aufgefallen sind, dann haben wir in der Karteikarte nachgeschaut, ob diese bei der Inventarisation bereits notiert wurden, oder ob es sich um neue Mottenbefälle handeln könnte. Zu unser aller Freude haben wir keine Motten gefunden.
Wurden anlässlich der Innenrestaurierung der Kirche St. Martin um 1990 auch die Paramente restauriert?
Immer, wenn der Frauenverein Geld gesammelt hat, durfte Ina von Woyski wieder etwas restaurieren. Sie ist seit der Inventarisierung im Jahr 1997 immer wieder aufgeboten worden. Die Schutzhüllen und Bügel hat sie zusammen mit dem Frauenverein angefertigt. Wir haben jeden einzelnen Bügel für die Paramente passend ausgepolstert. Ina von Woyski hat uns angeleitet und das Material organisiert, wir haben die Arbeiten ausgeführt. Ohne die "Frauenpower" des Frauenvereins wären die Arbeiten nicht stemmbar gewesen.
Welche Lagerungsbedingungen benötigen die wertvollen, historischen Textilien?
Eine konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind wesentlich, zudem sollten Textilien im Dunkeln und staubfrei aufbewahrt werden. Der Richtwert von 55% Luftfeuchtigkeit wäre für Textilien ideal, davon darf es bis zu 10 Prozent abweichen. Ständige Schwankungen setzen den Textilien zu. Für die Aufbewahrung gilt: so kühl wie möglich.
Wenn die Paramente begutachtet werden sollen, wird der Raum besser konstant auf 17-18 Grad reguliert, damit sich auch ein Mensch noch in aushaltbarer Raumtemperatur mit dem Objekt beschäftigen mag. In den meisten Depots herrschen 18-19 Grad und 55% Luftfeuchtigkeit. Die Textilien sollten so wenig wie nur möglich bewegt werden, dies gilt umso mehr für Textilien in schlechtem Zustand.
Was sind die grössten Herausforderungen für einen erfolgreichen Transport?
Wir haben uns etwas Sorgen wegen des Wetters gemacht. Der ganze Ablauf musste studiert und zeitlich genau geplant werden. Lange offen war auch die Fragestellung, ob und wie die Schreiner die Holzkorpusse auseinandernehmen können, um sie reinigen zu können. In Etappen hat uns die Schreinerei aus Rheinfelden jeweils auf Abruf zwölf Schubladen ins Martinum hinüber transportiert. Diese Zusammenarbeit hat wunderbar funktioniert.
Was wünschen Sie den Paramenten, jetzt wo sie sich in ihrem neuen Lagerraum, dem Kulturgüterraum Martinum, befinden?
Wir wünschen ihnen weiterhin eine gute Zuwendung und dass sie sich ab und zu auch einem interessierten Publikum präsentieren dürfen. Sie sollen die Wertschätzung erhalten, welche ihnen zusteht und Leute, die Freude daran haben, sollen sie zu Gesicht bekommen. Es sollte ein Vermittlungsangebot aufgegleist werden, damit sie in Zukunft in definierten Zeitabständen von der Öffentlichkeit besichtigt werden können. Nach vielen Überlegungen und viel investiertem Geld, hat man einen tollen neuen Lagerraum für den Paramentenschatz gefunden. Das Projekt ist nun jedoch nicht abgeschlossen, es ist eine permanente Aufgabe sich um die Beaufsichtigung, Kontrolle und Pflege zu kümmern. Am besten gewährleistet wird das, wenn dem Schatz Interesse entgegengebracht wird. Je mehr Leute diesen Schatz zu sehen bekommen haben, desto mehr schwindet die Gefahr, dass er in Vergessenheit gerät. Hoffentlich wird in einem nächsten Schritt ein Vermittlungsangebot aufgegleist!
Video zum Transport und zur Restaurierung der Paramente
- DSI-RHE040 Stiftskirche St. Martin, Paramentenschatz(öffnet in einem neuen Fenster)
- Paramente I, Merkblatt des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, Kulturgüterschutz (PDF, 4 Seiten, 293 KB)
- Paramente II, Fachbegriffe-Merkblatt des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, Kulturgüterschutz (PDF, 4 Seiten, 310 KB)