INV-BRU917 Müller-Haus, 1812-1815 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-BRU917
Signatur Archivplan:BRU917
Titel:Müller-Haus
Bezirk:Brugg
Gemeinde:Brugg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Innenstadt
Adresse:Schulthess-Allee 6
Versicherungs-Nr.:295
Parzellen-Nr.:658
Koordinate E:2657980
Koordinate N:1259588
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2657980&y=1259588

Chronologie

Entstehungszeitraum:1812 - 1815
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Wohn- und Geschäftshaus
Epoche / Baustil (Stufe 3):Spätbarock

Dokumentation

Würdigung:Behäbiger spätbarocker Mauerbau, der 1812-15 am unmittelbar zuvor zugeschütteten Stadtgraben errichtet wurde. Nach der späteren Besitzerfamilie heute als „Müller-Haus“ bekannt, wurde das Gebäude für den Hufschmied Johann Jakob Schilplin erbaut und war zu seiner Entstehungszeit erst das dritte Wohnhaus, das sich südlich ausserhalb der Brugger Stadtmauern erhob. Das im äusseren Erscheinungsbild intakt gebliebene Haus ist mit Gehrschilddach und Giebelründe als Landhaus bernischer Prägung gestaltet und weist sorgfältig gehauene, segmentbogige Muschelkalkgewände auf. Zusammen mit der anschliessenden Alten Schmitte (Bauinventarobjekt BRU918), der östlich davon gelegenen Scheune (Vers.-Nrn. 297, 473) und dem Sichtbacksteinbau von 1902 (Schulthess-Allee 4, Vers.-Nr. 638) bildet es ein ortsbildprägendes Element am heute noch ablesbaren Übergang von der Altstadt zur nach 1800 entstandenen Vorstadt.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Bereits 1811 begann man in Brugg, die Stadtgräben aufzufüllen, beliess den Bereich zunächst aber noch ohne eigentliche Gestaltung. Wohl 1843 wurde zwischen dem „Roten Haus“ und dem „Salzhaus“ die „Neue Promenade“ angelegt, die man gemäss einem „Plan für die Ausebnung und Renovation des verfüllten Stadtgrabens“ des Lehrers und Zeichners Charles Froelich mit einer doppelten Platanenreihe schmückte (vgl. Bilddokumentation) [1]. 1953 wurde die Anlage zum neunten Todestag des Brugger Bundesrats Edmund Schulthess (1868–1944) in Schulthess-Allee umbenannt [2].
Mit dem hier beschriebenen Haus setzte unmittelbar nach der Auffüllung des Grabens die Bebauung dieses vorstädtischen Bereichs ein [3]. Erbauer waren der Hufschmied Johann Jakob Schilplin (1753-1813), Sohn von Samuel Schilplin, ebenfalls Hufschmied, und seine Frau Margarita May, geborene Bürki, von Diesbach. Im Herbst 1812 begannen die Bauarbeiten für das Wohnhaus vor dem Oberen Tor am Grabenweg. Im Juni 1813 starb Schilplin. Seine Ehefrau (gest. 1816) konnte den Bau des Hauses erst 1815 fertigstellen, nachdem Klarheit in die ungeordneten Vermögensverhältnisse von Johann Jakob Schilplin gebracht und eine zeitweilige Vormundschaft aufgehoben worden war. Der 1815 vorgenommene Eintrag im Brandkataster lautet: „Nr. 225 ein zweistöckiges, gemauertes Hauss vor dem Oberen Thor. In der Länge 40 Schu, breit 26 Schu, hoch 26 dt.“ Daneben stand mit Vers.-Nr.220 eine 45 Schuh lange und 40 Schuh breite Scheune mit gewölbtem Keller, wohl der Vorgängerbau der später mit dem Haus verbundenen Alten Schmitte (Bauinventarobjekt BRU918).
Mit dem Bau eines stattlichen Wohnhauses vor den Toren der Stadt folgte Schilplin dem Vorbild des gleichnamigen, aber ungleich wohlhabenderen Metzgers, Rössli- und Rothauswirts, der sich bereits 1810 westlich des Eisi das heute sogenannte Schilplin-Haus (Kantonales Denkmalschutzobjekt BRU026) erbaut hatte [4]. Nach diesem und dem bereits 1748/49 entstandenen Palais Frölich (heute Stadthaus, Kantonales Denkmalschutzobjekt BRU014) war das Wohnhaus des Hufschmieds Schilplin damit erst das dritte seiner Art, das sich südlich ausserhalb der Brugger Stadtmauern erhob [5].
Nach nicht weniger als sechs Handänderungen gelangte die Liegenschaft im Jahr 1840 an Gottlieb Frei, Bäcker und Badwirt, der hier eine Bäckerei und eine Eigengewächswirtschaft betrieb. 1862 kaufte Dr.med. Rudolf Urech (1815-1872), der vormalige Direktor der Krankenanstalt in Königsfelden, der wenig später zum Regierungsrat gewählt wurde, das Haus und eröffnete hier seine eigene Praxis in Brugg. 1902 erwarb der Kaufmann Carl Anderes das Haus, in dem er eine Tuchhandlung für Damen- und Herrenkleider führte. Noch im gleichen Jahr liess er von Baumeister Paul Huldi das westliche Nachbarhaus Schulthess-Allee 4 (Vers.-Nr. 638) errichten, das zunächst als einstöckiger Magazinbau geplant war, nach Interventionen der Stadt gegen das als unpassend empfundene Projekt aber in den heutigen Abmessungen ausgeführt wurde. 1920 übernahm der Notar Hermann Müller die Liegenschaft, dessen Nachkommen sie bis vor einigen Jahren gehörte und dem das Haus seinen heute noch gebräuchlichen Namen verdankt.
Im Erdgeschoss, das früher Büros beherbergte, wurden um 1980 zwei Wohnungen eingerichtet, eine weitere in der Westhälfte des Dachgeschosses.
Beschreibung:Zusammen mit der Alten Schmitte und dem östlich anschliessenden Ökonomiebau (Vers.-Nrn. 297, 473), mit denen das Gebäude zu einer durchgehenden Zeile verbunden ist, sowie dem jüngeren Sichtbacksteinbau von 1902 (Schulthess-Allee 4, Vers.-Nr. 638) bildet das Haus Müller die südliche Randbebauung der Schulthess-Allee. Städtebaulich markiert es damit den Übergang von der mittelalterlichen Altstadt zu der hier seit der Zuschüttung des Grabens im frühen 19. Jh. entstandenen Vorstadtbebauung. Mit der von zwei Platanenreihen geschmückten, früher als „Neue Promenade“ bekannten Schulthess-Allee bildet diese ein Ensemble, an dem sich noch heute die städtebauliche Entwicklung von Brugg im frühen 19. Jh. nachvollziehen lässt.
Das Wohnhaus orientiert sich mit Gerschilddach und Giebelründe am Typus des spätbarocken, bernischen Landhauses. Der gedrungene, breitgelagerte Baukörper, der traufständig den ehemaligen Stadtgraben begleitet, ist zweigeschossig aus verputzten Bruchsteinmauern aufgeführt. Er zeigt eine lebendig rhythmisierte Befensterung mit drei giebelseitigen und sechs traufseitigen Achsen, wobei die letzteren im Bereich der beiden Hauseingänge etwas weiter gestellt sind. Die westliche Haushälfte verfügt über einen eigenen giebelseitigen Zugang, der heute als Gartenausgang der Erdgeschosswohnung genutzt wird. Fenster und Türen sitzen in gefalzten segmentbogigen Muschelkalkgewänden mit sorgfältig profilierten Simsen. Die Rückfront, die sich im abfallenden Terrain der ehemaligen Stadtbefestigung über einem geschosshoch freiliegenden Kellersockel erhebt, ist im westlichen Hausteil analog zur Strassenseite mit drei Achsen von Einzelfenstern versehen, während die östliche Hälfte zwei Achsen von Doppelfenstern zeigt; dazwischen liegen die kleinformatigeren, gleichfalls stichbogigen Treppenhausfensterchen. Eine sorgfältig gestaltete Zutat des späteren 19. Jh. ist die an der Trauf- und Giebellinie des Daches angebrachte Sägezier in den Formen des Schweizer Holzstils, die bereits auf einer Aufnahme von 1893 erscheint (vgl. Bilddokumentation). Aus derselben Zeit stammt das Türblatt des Hauseingangs, das ursprünglich mit einem filigraneren Gusseisengitter verschlossen war. Das Dach ist mit Biberschwanzziegeln eingedeckt.
Der mittige Hauseingang der Strassenfassade erschliesst einen Quergang mit Treppenhaus, der ursprünglich wohl bis zur Rückfront reichte und später auf halbe Haustiefe reduziert wurde. Die wohl bauzeitliche Holztreppe zeigt Rechteckstaketen und einen schön gearbeiteten Handlauf in zeittypisch schlichten Biedermeierformen. Zu beiden Seiten des Treppenhauses lagen in den beiden Wohngeschossen je zwei Wohnungen (Erdgeschosswohnungen nicht gesehen). Das erste Obergeschoss ist heute zu einer einzigen Wohnung zusammengefasst und wird über einen längs unter dem First gelegenen Mittelgang erschlossen.
Stube, Nebenstube, Studierzimmer und Schlafzimmer blicken nach Süden, während das Esszimmer, die Küche und zwei weitere Zimmer nach Norden zur Schulthess-Alle hin orientiert sind. Verschiedene Räume zeigen Knie- und Brusttäfer, gestemmte Fensternischen und Türen aus der Zeit um 1900. Erhalten hat sich aus dieser Zeit auch der Wohnungsabschluss der damals abgetrennten östlichen Haushälfte. Unter den jüngeren Bodenbelägen sind die älteren möglicherweise noch erhalten. Das neben dem Treppenhaus zur Schulthess-Allee gerichtete Zimmer der östlichen Haushälfte, das heute als Bad genutzt wird und ursprünglich vielleicht die Küche enthielt, verfügt über einen diagonal verlegten Boden aus quadratischen Steinplatten. Zu diesem Raum weist auch die Seitenwand eines biedermeierlichen Kastenofens mit hellblauen Füllkacheln, der in der östlich anstossenden ehemaligen Stube steht und vom Gang her eingefeuert wird. Das Dach wurde um 1980 zweigeschossig zu einer Wohnung ausgebaut und über neue Dachlukarnen belichtet. Intakt erhalten ist noch die originale Dachkonstruktion, ein Sparrendach mit Aufschieblingen auf liegendem Stuhl.
Über einen Innenabgang sind insgesamt drei tonnengewölbte Keller zugänglich, wovon zwei in Längsrichtung unter der westlichen Haushälfte liegen. Am strassenseitigen Keller hat sich ein biedermeierliches Türblatt erhalten, das offensichtlich nachträglich hierher versetzt wurde und ursprünglich wohl als Hintereingang am rückwärtig freiliegenden Kellersockel diente.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
- ICOMOS. Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Brugg 4095-1.
Anmerkungen:[1] Baumann / Steigmeier 2005, S. 191f.; Stettler / Maurer Kdm AG II 1953, S. 266f. Der bei Baumann / Steigmeier 2005, S. 192 abgebildete, undatierte Plan muss nach dem Namen Frei, der als Eigentümer des hier beschriebenen Hauses angegeben ist, nach 1840 entstanden sein; eine nicht näher bestimmte Anlage einer Promenade, die wohl mit dem Plan identifiziert werden kann, ist bei Stettler / Maurer Kdm AG II 1953, S. 267 auf 1843 datiert.
[2] Baumann et al. 2005, Bd. 1, S. 191.
[3] Bau- und Besitzergeschichte hier wie auch im folgenden nach der ausführlicheren Darstellung bei Banholzer 1994.
[4] Zum Rothauswirt Johann Jakob Schilplin vgl. Baumann et al. 2005, Bd. 1, S. 182, 187, 204 sowie Bd. 2, S. 414, 419, 421.
[5] Banholzer 1994; Baumann et al. 2005, Bd. 1, 2005, S. 419.
Literatur:- Max Banholzer / Peter Bieger, Alt Brugg, 1984, S. 40 (histor. Fotografie).
- Max Baumann et al., Brugg erleben, 2 Bde., Baden 2005, Bd. 1, S. 182, 187, 191f., 204; Bd. 2, S. 414, 419, 421 (städtebaugeschichtlicher Kontext und Vergleichsbeispiele).
- Michael Stettler / Emil Maurer, Die Bezirke Lenzburg und Brugg (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Band II), Basel 1953, S. 266f. (städtebaugeschichtlicher Kontext).
- Max Banholzer, Aus der Geschichte des Hauses Müller an der Schulthessallee, Typoskript, 1994 (Kantonale Denkmalpflege Aargau, Kurzinventar Brugg 1996, Anhang).
Quellen:- Max Banholzer, Aus der Geschichte des Hauses Müller an der Schulthessallee, Typoskript 1994 (Kantonale Denkmalpflege Aargau).
 

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