INV-BRG917 Zürcherstrasse 2, 1838 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-BRG917
Signatur Archivplan:BRG917
Titel:Zürcherstrasse 2
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Bremgarten (AG)
Ortsteil / Weiler / Flurname:Obere Vorstadt
Hist. Name Objekt:Kleiderfabrik Meyer, KuZeB
Adresse:Zürcherstrasse 2
Versicherungs-Nr.:31, 30
Parzellen-Nr.:2154
Koordinate E:2668448
Koordinate N:1244829

Chronologie

Entstehungszeitraum:1838
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:BRG918
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa
Epoche / Baustil (Stufe 3):Biedermeier

Dokumentation

Autorschaft:Fidel Leimbacher (1788-1848), Baumeister, Sins
Würdigung:1838 durch den Sinser Baumeister Fidel Leimbacher auf eigene Rechnung errichtetes Wohnhaus, das im Lauf des 19. Jahrhunderts mit Regierungsrat Franz Waller und Arzt Joseph Ducrey von zwei illustren Persönlichkeiten bewohnt wurde und später zum Ausgangspunkt eines gewerblichen Ensembles wurde. Der zweigeschossige Biedermeierbau fällt durch sein für die Entstehungszeit typisches Attikageschoss auf, welches die kompakte Erscheinung des Gebäudes verstärkt. Rückwärtig wurde das Wohnhaus um zwei Fabrikgebäude erweitert, die mit ihrer sukzessiven Entstehung einen gerade bei kleineren Betrieben typischen Prozess dokumentieren und von denen der zweite (Bauinventarobjekt BRG918) ein wichtiges Beispiel für das Neue Bauen darstellt. Der Gebäudekomplex, der seit den 1970er Jahren praktisch leerstand und seit 1991 als alternatives «Kulturzentrum Bremgarten» (KuZeB) genutzt wird, präsentiert sich heute in einem uneinheitlichen Erhaltungszustand. Er dokumentiert ein Stück Kulturgeschichte von Bremgarten und nimmt eine städtebaulich prominente Stellung unmittelbar gegenüber der Altstadt ein.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Der Kernbau wurde gemäss Angabe im Brandkataster 1838 auf eigene Rechnung durch den Sinser Baumeister Fidel Leimbacher (1788-1848) errichtet, der 1817-19 auch das Bremgarter Rathaus neu erbaut hatte [1]. Ob Leimbacher das Haus, bei dem es sich um eines der ersten ausserhalb der Altstadt handelte, selbst bewohnte oder lediglich als Unternehmer erstellte, ist nicht bekannt. 1843 ging die Liegenschaft an Jakob Baumgartner und Martin Burkard und von diesen bereits 1844 an Regierungsrat Franz Waller (1803-1879) über, der als Vertreter der Radikal-Liberalen vor allem für seine Rolle in der Klosteraufhebung von 1841 und für seinen Beitrag zur aargauischen Zivilgesetzgebung bekannt ist [2]. Bereits 1847 gelangte das Haus an Jakob und Josef Fuhrer. Nach einer nicht dokumentierten Lücke wird es 1876 als Eigentum des Arztes, Geschäftsmanns und Grossrats Joseph Ducrey (1811-1892) erwähnt, der das Gebäude wohl auch bewohnte; an ihn erinnert eine Metallplakette an der Wettersäule am Obertorplatz (Bauinventarobjekt BRG923) [3]. 1880 folgte als Eigentümer Josef Hausherr-Isler, der gemäss Handelsamtsblatt-Einträgen bis zu seinem Tod im Jahr 1892 eine Strohwarenmanufaktur führte [4]. Ein im Brandkataster erwähnter «wesentlicher Umbau» des rückwärtigen Anbaus (heute Vers.-Nr. 30) diente wohl dazu, das vormalige einfache Oekonomiegebäude zu einem Fabrikationslokal herzurichten. 1896 gelangte die Liegenschaft an Architekt Johannes Scheck (oder Scherk), Zürich und von diesem im selben Jahr an die Gebrüder Max und Simon Meyer, die 1893 – vielleicht bereits in diesen Gebäuden – eine Kleiderfabrik (später Meyer & Cie.) gegründet hatten [5]. Mit einer «Bauverbesserung» in den Jahren 1896 und 1898 erhielt die westliche Hälfte des rückwärtigen Anbaus wohl im wesentlichen seine heutige Gestalt. 1911/12 wurde dieser Gebäudetrakt nach Plänen von Architekt A. Schenker, Aarau, in südöstlicher Richtung verlängert [6]. 1928/29 erweiterte man die Anlage wiederum auf der Nordseite um einen modernen Fabrikbau nach Plänen des Zürcher Architekten Johann Emil Ganz (Bauinventarobjekt BRG918) [7].
1990 wurden die Gebäude, die seit Mitte der 1970er Jahre weitgehend leergestanden hatten, besetzt. 1991 konstituierte sich aus der Gruppe der Hausbesetzer der Verein «Kulturzentrum Bremgarten» (KuZeB), welcher die ehemalige Kleiderfabrik Meyer seither als linksalternativen Szenetreffpunkt mit Veranstaltungslokal betreibt [8]. Die jahrelang kaum unterhaltenen Gebäude wurden durch die Benutzer im Inneren sukzessive umgebaut und umgestaltet; in den letzten Jahren erfolgten im Eigenbau insbesondere Ausbesserungsarbeiten am Dach des alten Wohnhauses (Vers.-Nr. 31) [9]. Heute präsentiert sich der Gebäudekomplex in einem eher uneinheitlichen Erhaltungszustand.
Beschreibung:Das 1838 errichtete biedermeierliche Wohnhaus von 1838 (Vers.-Nr. 31), das heute den Kopfbau der ehemaligen Kleiderfabrik Meyer bildet, nimmt auf der Ostseite des Obertorplatzes eine städtebaulich wichtige Stellung zwischen den beiden wichtigen Ausfallstrassen zum Mutschellen sowie nach Zug ein und steht damit in einer für das frühere 19. Jh. durchaus charakteristischen Vorstadtlage. Der zweigeschossige verputzte Mauerbau erhebt sich auf einem hohen Kellersockel. Er wird über einem umlaufenden Vordach durch einen als Attika mit Mezzaninfenstern gestalteten Kniestock sowie ein ausgesprochen knappes, flaches Walmdach abgeschlossen, was den klassizistisch-biedermeierlichen Charakter des Gebäudes wesentlich bestimmt. Der kompakte Baukörper ist mit vier auf zwei Fensterachsen besetzt. Die nach Südwesten auf die Zugerstrasse gerichtete Schaufassade zeichnet sich durch eine axialsymmetrische Gliederung aus, welche die eigentlich exzentrische Anordnung des Hauseingangs überspielt: Zwischen die leicht vorspringenden einachsigen Seitenrisalite ist eine zweiachsige Mittelpartie gespannt, die im Obergeschoss durch zeittypische Rundbogenlichter (eines als Balkontür dienend) und einen Balkonvorbau über dem alten Hauseingang akzentuiert ist (Balkonvorbau durch neue Stahlkonstruktion ersetzt). Der Hauseingang wird über eine mittig angelegte doppelläufige Aussentreppe mit hübschem Eisengeländer sowie Muschelkalkstufen erreicht und besitzt noch das wohl bauzeitliche Türblatt. Ansonsten ist der Bau mit schlanken Einzelfenstern besetzt, die von profilierten rechteckigen Muschelkalkgewänden gerahmt werden und hölzerne Jalousieläden besitzen. Vorhanden sind auch noch die alten Fensterprofile mit Espagnolettenverschlüssen sowie Vorfenster. Die Untersicht des umlaufenden Vordachs ist durch Konsolen akzentuiert, das Dach noch mit alten Biberschwanzziegeln eingedeckt. Verschiedene Teile des Hauses wurden seit der Nutzung als alternatives Kulturzentrum in grellem Schwarz-Rot gestrichen. Das umlaufende Vordach wurde in Chromstahlblech mit eigenwilligen Ornamenten erneuert.
Das Innere des Wohnhauses, das heute vom rückwärtigen Zwischentrakt aus betreten wird, ist durch einen aus der Mitte gerückten Quergang erschlossenk, dem die Lage des Vordereingangs entspricht. Nennenswerte Ausstattung ist nicht mehr vorhanden. In der Längsachse erstrecken sich parallel zwei Gewölbekeller unter dem Haus. Das Dachgerüst des zuvor stark gefährdeten Daches wurde mit der Aufdoppelung von Holzbrettern verstärkt.

Erstes Fabrikgebäude um 1880:
An der Rückseite des alten Wohnhauses vermittelt ein Zwischentrakt mit dem heutigen Hauseingang sowie dem Treppenhaus zum ersten Fabrikgebäude (Vers.-Nr. 30), das wohl mit der Gründung der Strohwarenmanufaktur um 1880 entstand und 1911/12 verlängert wurde. Es präsentiert sich als zweigeschossiger Mauerbau mit hohem, gewerblich nutzbaren Kellersockel sowie voll ausgebautem Kniestock und wird von einem mittelsteilen Krüppelwalmdach abgeschlossen. Grossformatige hochrechteckige Einzelfenster, die trotz der Fabriknutzung erstaunlicherweise Jalousieläden tragen, dienten zur Belichtung der Arbeitssäle. Südostseitig ragt der 1911/12 verlängerte Gebäudeteil über die Seitenfassade des Wohnhauses hinaus und ist im Kniestock mit einem grossen Quergiebel versehen. Wiederum auf der Nordseite des ersten Fabrikgebäudes schliesst, östlich zurückversetzt, der zweite Anbau von 1928/29 an, ein für Bremgarten wichtiges Beispiel des Neuen Bauens (Bauinventarobjekt BRG918). Die sukzessiven Erweiterungen zu einer mehr agglomerativen als geplanten Anlage sind dabei gerade für einen kleineren Fabrikbetrieb durchaus typisch.
Der Zwischenbau ist im Inneren als Treppenhaus eingerichtet, das auch zur Erschliessung des gleichzeitig entstandenen ersten Fabrikgebäudes (Vers.-Nr. 30) diente. In dem um 1911/12 verlängerten Bereich des Gebäudes ist ein zweites Treppenhaus angeordnet [10]. Das erste Fabrikgebäude ist im Inneren zumindest teilweise mit Gusseisensäulen konstruiert.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Anmerkungen:[1] Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938 (Vers.-Nr. im Jahr 1838: 308); zum Rathaus vgl. Peter Felder, Der Bezirk Bremgarten (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. IV), Basel 1967, S. 115f.
[2] Ebd. Waller wird auch bei Lehner 1994, Legende zu Abb. 52 genannt, wobei er gemäss Angaben im Brandkataster nur zwischenzeitlicher Eigentümer und Bewohner, nicht Erbauer des Hauses war. Das politische Wirken von Franz Waller (Regierungsrat von 1838-1850, Landammann 1841 sowie 1848) im Zusammenhang mit der Klosteraufhebung 1841 ist ausführlich geschildert in: Biographisches Lexikon des Aargaus, 1803-1957 (Argovia, Bd. 68/69), Aarau 1958, S. 814-816; kurze Hinweise zur Person in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Art. ‚Franz Waller‘ (2012): http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D3803.php.
[3] Vgl. Heinrich Butz, Joseph Ducrey. Bürger von Bremgarten, 1811-1892, in: Bremgarter Neujahrsblätter, 1974, S. 5-40.
[4] Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938 (hier als «Hausheer-Isler» bezeichnet); SHAB, 1883, S. 176; SHAB, 1892, S. 270.
[5] Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938; zur Firmengeschichte Strebel 1946, S. 30f.
[6] Pläne im Baugesuchsarchiv.
[7] Pläne im Baugesuchsarchiv.
[8] Zur Geschichte vgl. KulturZentrum Bremgarten KuZeB in der Alten Kleiderfabrik. Geschichte: https://www.kuzeb.ch/geschich.htm (Zugriff 23.11.2018).
[9] Freundl. Auskunft der heutigen Benutzer (2018).
[10] Die Lage des Treppenhauses unterscheidet sich von den Baueingabeplänen von 1911; wahrscheinlich wurde der Bau schon ursprünglich anders ausgeführt.
Literatur:- Bruno Lehner, Bremgarten an der Reuss in alten Ansichten, Zaltbommel (NL) 1994, Abb. 18.
- Karl Strebel, Das Freiamt. Heimatgeschichte und Wirtschaft (Bezirkschroniken des Kantons Aargau, Bd. II), Zürich 1946, S. 30f.
Quellen:- Stadtarchiv Bremgarten: 12/4, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1805-1850 u. 1876-1897; Staatsarchiv Aargau: CA.0001/0081, Brandkataster Gemeinde Bremgarten, 1899-1938.
- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
- Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich: Sammelbestand Fotografie, F Fd-0002-46ff., F Fd-0003-01ff.
 

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