INV-BRG902 Eisenbahnbrücke über die Reuss, 1911 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
1/2

Identifikation

Signatur:INV-BRG902
Signatur Archivplan:BRG902
Titel:Eisenbahnbrücke über die Reuss
Bezirk:Bremgarten
Gemeinde:Bremgarten (AG)
Adresse:zwischen Obertorplatz und Unterer Vorstadt
Parzellen-Nr.:2325-2329, 4308
Koordinate E:2668290
Koordinate N:1244716

Chronologie

Entstehungszeitraum:1911
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Verkehrs- und Infrastrukturbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Brücke
Epoche / Baustil (Stufe 3):Heimatstil

Dokumentation

Autorschaft:Locher & Cie., Bauunternehmung und Ingenieurbüro, Zürich; Gustav Gull (1885-1942), Architekt, Zürich
Würdigung:Eisenbahnbrücke der Bremgarten-Dietikon-Bahn, die 1911 durch die Zürcher Bauunternehmung Locher & Cie. unter Beizug des Architekten Gustav Gull realisiert wurde. Die in starkem Gefälle vom rechtsufrigen Obertorplatz zum flachen linken Reussufer gespannte Bogenbrücke bildet mit ihren drei unterschiedlich hohen Hauptöffnungen, dem in Rundbögen aufgelösten Oberbau sowie den anschliessenden Vorbrücken einen ausgesprochenen markanten Blickfang, der vor der Flussfront der Altstadt heute einen integralen Bestandteil des Bremgarter Stadtbilds darstellt. Konstruktiv stellt das eindrucksvolle Bauwerk mit den Bogengewölben aus vorgefertigten Betonsteinen und dem aus Stampfbeton realisierten und mit leichtem Schlackebeton gefüllten Oberbau ein bemerkenswertes Zeugnis für die Frühzeit des Betonbaus vor dem Durchbruch des armierten Eisenbetons dar. 2011 wurde die Brücke fachgerecht saniert.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Der Anschluss der Stadt Bremgarten ans Eisenbahnnetz war Resultat verschiedener, teilweise gegenläufiger Planungen [1]. Nachdem sich Projekte für eine Reusstalbahn als Anschluss an die Gotthardbahn zerschlagen hatten, entstand zusammen mit der Aargauischen Südbahn eine 1876 eröffnete normalspurige Zweigstrecke von Wohlen nach Bremgarten, die allerdings im «Hammer» am heutigen Bahnhof Bremgarten West endete. Für den Anschluss Richtung Zürich entschied man sich nach verschiedenen Studien und nach Auseinandersetzungen mit einem weiteren Konzessionsbewerber für das damals neue Verkehrsmittel einer elektrischen Strassenbahn, die von Bremgarten über den Mutschellen zum Bahnhof Dietikon führte und schon aufgrund der Topografie als Schmalspurbahn realisiert wurde. Nach der Betriebseröffnung der Bremgarten-Dietikon-Bahn (BDB, später BD und BDWM, heute Aargau Verkehr) im Jahr 1902 endete diese Strecke in Bremgarten vorerst allerdings am Obertor.
Für die fehlende Verbindung zwischen den beiden Endstationen am Obertor und im Hammer und für den Reussübergang wurden in der Folge unterschiedliche Varianten studiert [2]. Ein bereits 1902 vorgelegtes Projekt der Zürcher Baufirma Locher & Cie. für einen deutlich oberhalb des Städtchens gelegenen Viadukt wurde aus Kostengründen verworfen; mehrere ernstlich erwogene Strassenbahn-Varianten versuchten die Linie entweder durch die Altstadt oder um die Altstadt herum zum alten Reussübergang an der gedeckten Brücke zu führen. Erst nachdem sich diese Varianten wegen der Steigungsverhältnisse und der engen Bebauung als untauglich erwiesen hatten, verlegte man sich auf einen direkten Reussübergangs in gerader Fortsetzung des bestehenden Trassees. Gleichzeitig konnte die Bremgarten-Dietikon mit den SBB dank einer Intervention des aus Bremgarten stammenden Generaldirektors Placid Weissenbach eine vorerst befristete Vereinbarung zur Übernahme der Strecke Wohlen-Bremgarten West treffen. Mit dem so ermöglichten durchgehenden Zugsverkehr zwischen Dietikon und Wohlen war eine wichtige wirtschaftliche Voraussetzungen für den Brückenbau gegeben. Die Strecke nach Wohlen wurde dazu mit einer dritten Schiene für den Schmalspurbetrieb ausgerüstet und elektrifiziert. Das Dreischienengleis bestand noch bis 2016, als die Strecke anlässlich einer Erneuerung durchgehend auf Meterspur umgebaut wurde.
Für die Brücke veranstaltete man 1910 einen Wettbewerb unter zehn eingeladenen Firmen, aus dem der Beitrag der bekannten Zürcher Baufirma Locher & Cie. und des Architekten Gustav Gull – Erbauer des Landesmuseums und der damals in Ausführung begriffenen Amtshäuser der Stadt Zürich – als Siegerprojekt hervorging [3]. Dem Preisgericht gehörte u.a. der SBB-Oberingenieur Robert Moser an. Für die von der Firma Locher berechnete Konstruktion wurde eine Verbindung von Betongusssteinen und Stampfbeton gewählt; Eisenbetonkonstruktionen waren ausdrücklich ausgeschlossen worden, zumal sie vom eidg. Eisenbahndepartement damals noch nicht für den Bahnverkehr zugelassen waren [4]. Nachdem die Brücke bereits 1911 im wesentlichen ausgeführt war, nahm man am 8. Februar 1912 den durchgehenden Betrieb nach Wohlen auf. Das Bauwerk wurde bald zu einem Wahrzeichen der Stadt Bremgarten, wie historische Darstellungen zeigen (vgl. Bilddokumentation).
Aufgrund einer Zustandsanalyse im Jahr 1998 wurde eine Sanierung der statisch immer noch weitgehend einwandfreien Brücke unter Begleitung durch die Kantonale Denkmalpflege vorbereitet und 2011 ausgeführt [5]. Durch Injektionen mit Zementsuspension konnte die Tragfähigkeit des Stampfbetons zusätzlich erhöht werden. Die Betonoberflächen wurden gereinigt, instandgesetzt und die drei Hauptbögen mit einer Hydrophobierung behandelt. Ein neuer Schottertrog wurde als Ersatz für Brüstungen, Seitenmauern und Schotterbett als vorfabriziertes Betonelement auf die bestehende Brückenkonstruktion aufgesetzt. Die Pfeilerfundationen waren noch intakt.
Beschreibung:Die Brücke spannt sich mit einem markanten Gefälle von 45 Promille von dem hoch über dem Reussufer gelegenen Obertorplatz an das flache linksseitige Ufer und tritt mit ihrer Lage unmittelbar vor der Flussfront der Altstadt ausgesprochen prominent in Erscheinung. Es handelt sich um eine mehrteilige Bogenbrücke, deren Gewölbe aus gegossenen Betonsteinen aufgemauert sind und einen Oberbau aus – nicht armiertem – Stampfbeton tragen. Gestalterisch orientiert sich das Bauwerk an alten Steinbrücken, wie dies insbesondere von dem auch am Bremgarter Wettbewerb beteiligten SBB-Oberingenieur Robert Moser mit Verweis auf das Landschaftsbild wie auch auf die Dauerhaftigkeit des Materials allgemein gefordert wurde und wie es auch den Positionen der der damals aufkommenden Heimatschutzbewegung entsprach. Konstruktiv hingegen dokumentiert die Brücke die Frühzeit des Betonbaus vor dem Durchbruch des armierten Eisenbetons [6].
Den Flusslauf überwinden drei Hauptbögen, deren Spannweiten 28.2, 30 sowie 32.2 Meter betragen und deren zunehmende Pfeilhöhen (Distanz vom Kämpfer zum Scheitel) von 7.41, 8.77 und 10.22 von einer gleichbleibenden Kämpferhöhe ausgehen. Geometrisch nähern sie sich damit von einem flachen Segmentbogen am linken Ufer über das Mitteljoch einer Rundbogenform am rechten Ufer an. Auf das zu den Auflagern hin massiver ausgebildete Bogengewölbe stützt sich der in Pfeiler und Rundbögen aufgelöste Oberbau, der sich auf dem linken Ufer in einem zweijochigen, auf dem rechten Ufer in einem dreijochigen Rundbogenviadukt fortsetzt. Zusammen mit diesen Vorbrücken erreicht das Bauwerk eine Gesamtlänge von 156 Metern.
Die Fundation der Pfeiler, die auf zahlreichen, in den Untergrund gerammten Holzpfählen von ca. 6 Metern Länge ruht, erfolgte mithilfe von Druckluftcaissons. Die vor Ort gefertigten Betonquader des Bogengewölbes wurden auf einem Lehrgerüst montiert und darüber mit einer Bretterschalung der Oberbau aus Stampfbeton errichtet. Das Innere des Oberbaus füllte man mit leichterem Schlackebeton [7]. Eine Metallplakette an einem der linksufrigen Pfeiler trägt die Inschrift: «PROJEKTIERT & AUSGEFÜHRT 1910-11 / DURCH DIE FIRMA / LOCHER & CIE, ZÜRICH / INGENIEURBUREAU & BAUUNTERNEHMUNG / FÜR HOCH- & TIEFBAU».
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Anmerkungen:[1] Zur Eisenbahngeschichte Bremgartens vgl. Reto Jäger, Der Bahnpionier Plazid Weissenbach über Bremgartens Leidensgeschichte mit der Eisenbahn und das ‚dritte Gleis‘, in: Bremgarter Neujahrsblätter, 2017, S. 109-118, mit weiterführender Literatur; Florian Inäbnit / Jürg Aeschlimann, Bremgarten-Dietikon-Bahn, Leissigen 2002.
[2] Geschichtliches zur Brücke nach Kurmann 2013.
[3] Zu Gustav Gull (1885-1942) vgl. Allgemeines Künstlerlexikon (AKL), Berlin 1992ff., Bd. LXV (2009), S. 439, Art. ‚Gustav Gull‘ (Cristina Gutbrod); Isabelle Rucki / Dorothee Huber (Hg.), Architektenlexikon der Schweiz. 19./20. Jahrhundert, Basel 1998, S. 237-239, Art. ‚Gustav Gull‘ (Cornelia Bauer). In seiner Funktion als «zweiter Stadtbaumeister»w der Stadt Zürich war Gull, dort in Zusammenarbeit mit dem später sehr bekannten Ingenieur Robert Maillart, für die Gestaltung der Stauffacherbrücke (1899/1900) sowie der Sihlbrücke an der Sihlporte (1902/03) verantwortlich.
[4] Kurmann 2013, S. 29; vgl. auch Jürg Conzett / Jean-Jacques Reber / Ruedi Weidmann, Ein Einblick in die Geschichte der SBB-Brücken, in: Schweizer Bahnbrücken, Hg.: SBB, Fachstelle für Denkmalpflege u. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK (Architektur- und Technikgeschichte der Eisenbahnen in der Schweiz, Bd. 5), Zürich 2013, S. 13-31, hier S. 25f.
[5] Sanierung nach Oettli 2013.
[6] Vgl. allgemein Conzett / Reber / Weidmann 2013, insbes. S. 16f. u. 25f.
[7] Konstruktion sowie Massangaben nach: Festschrift Locher 1930, Tff. 149-151, 250; Meyer 1982; Oettli 2013.
Literatur:- Walter Oettli, Nach 100 Jahren wie neu. Instandsetzung der 100-jähirgen Reussbrücke der BDWM, in: Bremgarter Neujahrsblätter, 2013, S. 11-20.
- Fridolin Kurmann, Der lange Weg vom Obertor zum Hammer. Zur Vorgeschichte der Bremgarter Eisenbahnbrücke, in: Bremgarter Neujahrsblätter, 2013, S. 21-38.
- Florian Inäbnit / Jürg Aeschlimann, Bremgarten-Dietikon-Bahn, Leissigen 2002, S. 20f.
- Bruno Lehner, Bremgarten an der Reuss in alten Ansichten, Zaltbommel (NL) 1994, Abb. 18f. (histor. Ansicht).
- W.M. [Walter Meyer], Vor 70 Jahren wurde die Reussbrücke erstellt, in: Freiämter Kalender 1982, S. 51.
- Hundert Jahre Technik 1830-1930. Die Baufirma Locher & Cie. in Zürich, Zürich [1930] (zit. als Festschrift Locher 1930), Tff. 149-151, 250.
Quellen:- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Denkmalschutzakten.
- Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung (http://www.emuseum.ch): Plakate Bremgarten-Dietikon-Bahn von Plinio Colombi, 1911 (Archivnr. 04-0037) sowie Otto Morach, 1928 (Archivnr. 10-0810).
 

URL for this unit of description

URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=31368
 

Social Media

Share
 
Home|Login|de en fr it
Online queries in archival fonds