INV-RUA901 Reformierte Pfarrkirche Rein, 1863-1864 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-RUA901
Signatur Archivplan:RUA901
Titel:Reformierte Pfarrkirche Rein
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Süden (2018)
Bezirk:Brugg
Gemeinde:Rüfenach
Ortsteil / Weiler / Flurname:Vorderrein
Adresse:Kirchweg
Versicherungs-Nr.:85
Parzellen-Nr.:463
Koordinate E:2659568
Koordinate N:1262160

Chronologie

Entstehungszeitraum:1863 - 1864
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:Ref. Pfarrhaus, Pfarrscheune und Waschhaus (RUA902, RUA903 und RUA904)
Nutzung (Stufe 1):Sakrale Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Kirche (ev.-ref.)

Dokumentation

Autorschaft:Johann Caspar Wolff (1818-1891), Zürich; Robert Moser (1833-1901), Baden
Inschriften:Grabinschrift einer in die Fassade eingemauerten Grabplatte des 17. Jh.
Würdigung:1863-64 als Ersatz für den damals abgetragenen mittelalterlichen Vorgängerbau errichtete Kirche in neuromanischen und neugotischen Formen. Der nach Plänen des Zürcher Staatsbauinspektors Johann Caspar Wolff und des Badener Architekten Robert Moser gestaltete Historismusbau bewahrt sein äusseres Erscheinungsbild mit eingezogenem Polygonalchor und fialengeschmücktem Frontturm, während der flachgedeckte Saal im Zeitgeschmack der 1960er Jahre umgestaltet ist. Auf einem Sporn des Reinerbergs über dem Wasserschloss gelegen, entfaltet die Kirche eine landschaftsprägende Fernwirkung. Mit dem Pfarrhaus und der Pfarrscheune von 1788-89 sowie dem zugehörigen Waschhaus von 1791 (Bauinventarobjekte RUA902-904) bildet sie eine intakte Gebäudegruppe mit hohem Situationswert im Ortsteil Vorderrein.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Eine Kirche mit dem Patrozinium St. Leodegar, ursprünglich eine murbachisch-luzernische Hofkirche, bestand in Rein wohl schon seit dem 9. Jh. [1]. Der wegen Baufälligkeit 1863 abgetragene mittelalterliche Vorgängerbau der heutigen Kirche ging gemäss überlieferter Zeichnungen im Turm und Schiff noch auf romanische Zeit zurück, während der Chor und möglicherweise der östliche Teil des Schiffs spätgotisch waren [2]. Von 1715 stammte eine Verlängerung des Schiffs nach Westen. Als Ersatz entschied man sich für ein historisierendes Neubauprojekt nach dem Vorbild der Kirche Töss im Kanton Zürich (siehe Abb. Bilddokumentation). Die Pläne wurden bereits 1858 vom Zürcher Staatsbauinspektor Johann Caspar Wolff (1818-1891) gezeichnet. Der bekannte Architekt Robert Moser (1833-1901) aus Baden lieferte 1862 die Detailpläne für Portale, Türblätter, Kanzel und Altar [3]. Die Bauausführung lag beim Villiger Baumeister Heinrich Baumann, der dafür 82‘500 Franken erhielt [4]. Zu der erhaltenen Witticher Glocke von 1439 wurden 1863 drei weitere Glocken (Umgüsse) von Rüetschi, Aarau, hergestellt. Samuel Meyer von Rüfenach, Baumwollhändler in Brugg, stiftete nebst 1000 Franken die grösste der Kirchenglocken, Isaak Schwarz von Villigen und Rüfenach, Kaufmann in Triest, die kleinste. Die Glasmalereien wurden durch Samuel Hirt aus Lauffohr, Kaufmann in Alexandrien, finanziert. Am Auffahrtstag 1864 wurde der neue Kirchenbau geweiht. Mit dem Einbau einer Orgel durch Friedrich Goll musste aus finanziellen Gründen noch bis 1898 zugewartet werden (1961 durch eine neue Orgel mit 20 Registern ersetzt).
Die Wandmalereien gaben ursprünglich die äussere Gliederung und Verzierung des Kirchenschiffs wieder, indem die Joche durch aufgemalte Lisenen voneinander geschieden waren und unterhalb des Kranzgesimses der Decke ein illusionistischer Bogenfries verlief. Die Decke war in grosse Felder unterteilt, mit Mittel- und Eckmotiven aus vegetabilen Ornamenten (vgl. historische Aufnahme vor 1909, Bilddokumentation). Die grösstenteils architektonisch aufgefassten, illusionistischen Wand- und Deckenmalereien wurden 1909 anlässlich einer Innenrenovation erneuert, wobei Ornamentik und Farbigkeit den Einfluss des Reformstils zeigten (vgl. Originalpläne und historische Aufnahmen nach 1909, Bilddokumentation). Gleichzeitig erhielt das Kirchenschiff in Anlehnung an den Chor, welcher mit einem Chorgestühl samt hölzerner Rückwand ausgestattet war, ein fensterhohes Täfer. Bei winterlicher Kälte wurden die Gottesdienste teilweise in den 1912 eingerichteten, beheizbaren Unterrichtsraum in der Pfarrscheune verlegt. Erst 1927 erfolgte in der Kirche die Installation einer elektrischen Heizung. 1937/38 führte Architekt Carl Froelich, Brugg, eine Renovation von Turm und Kirchendach durch.
Unter der Leitung von W. Hunziker, Brugg, fand 1961 die noch heute den Kirchenraum bestimmende eingreifende Innenrenovation statt, bei welcher der Saal komplett umgestaltet und eine akustische Verbesserung angestrebt wurde. Verloren gingen dabei neben den Seitenportalen auch fast sämtliche Teile der Ausstattung, insbesondere der Wanddekor und das Täfer, während unter der herabgehängten Decke die Malereien von 1909 erhalten geblieben sind.
Die neue, grössere Kirche von 1863-64 war etwas weiter nordwestlich zu stehen gekommen als der mittelalterliche Vorgängerbau, weshalb für die Gräber im Kirchhof weniger Platz blieb. Aus diesem Grund wurde das alte Sigristenhaus (der ehemalige Wohnsitz der Familie Lauterburg) 1865 abgebrochen und der Friedhof auf das Areal ausserhalb der Mauern nordwestlich der Kirche verlegt.
Beschreibung:Wie schon der mittelalterliche Vorgängerbau ragt die Kirche weithin sichtbar auf dem Sporn des Reinerbergs über dem Wasserschloss auf, wodurch sie in der Landschaft einen prägenden Fixpunkt bildet. Der eingezogene Polygonalchor ist – in Umkehrung der ursprünglichen Anlage - nach Südwesten zum Dorf hin orientiert, während die von einem markanten Frontturm überhöhte Schmalseite mit dem Hauptportal nach Nordosten zur Hangkante hin ausgerichtet ist. Langhaus und Chor bilden einen kompakten, langgezogenen Baukörper. Die Fassaden sind mit einem hell gestrichenen Grobputz (Wormser Besenwurf) versehen, von dem sich die in warmen Grautönen gehaltenen Hausteinelemente kontrastierend abheben. Das Kirchenschiff ist unter einem fassadenbündigen Satteldach geborgen, das an den Giebeln nur mit einem schmalen, gekehlten Ortganggesims in Erscheinung tritt. Jeweils in Fortführung desselben werden die Stirnfronten auf Traufhöhe von giebelförmig abschliessenden Kragsteinen akzentuiert. Die Traufen begleitet ein zierlicher Rundbogenfries, der in regelmässigen Abständen zu glatt verputzten Lisenen überleitet, an welche in den unteren zwei Dritteln zierliche Strebepfeiler aus grob behauenen Jurakalksteinen ansetzen. Dazwischen sind je Längsseite fünf Fensterachsen mit hohen Rundbogenöffnungen gesetzt (frühere Seiteneingänge verschlossen bzw. versetzt). Die halbkreisförmige Rundung wird jeweils von drei doppelt so breiten Werkstücken gebildet, welche auf diese Weise eine Bekrönung des gotisierend gekehlten Gewändes bilden. Die Sockelzone besteht am ganzen Gebäude aus grossen Muschelkalkblöcken. Dreiachsig ausgebildet ist die Nordostfassade, welche in der Mittelachse das Hauptportal mit dem gleichartig gestalteten, etwas reicher profilierten Gewände aufnimmt und flankierende Rundbogenfenster aufweist. Dabei tritt die Nordostmauer des glatt verputzten Frontturms, der wie ein überdimensionierter Dachreiter über dem First aufragt, als Mittelrisalit mit radial ausgerichteten Strebepfeilern an den Ecken hervor. Darin eingelassen befinden sich über dem Portal ein weiteres Rundbogenfenster und ein Okulus. Der mit schlanken Fialen verzierte Turm ist mit einem spitzen kupfernen Helm versehen, der einen Aufsatz mit pfeilartiger Wetterfahne trägt. Ein Bogenfries bildet das Traufgesims, ein kräftiges, kantig profiliertes Band das Sohlbankgesims zu den rundbogenförmigen, mit Lamellen verschlossenen Schallöffnungen des Glockenraums. Dazwischen wird die Fläche auf allen vier Seiten vom grossen, ringförmigen Zifferblatt der Kirchturmuhr ausgefüllt.
Neben dem Eingangsportal in die Fassade eingemauert ist die Grabplatte von Johann Märki (1628-1664), Pfarrer in Rein. Die mit dem Wappen Märki und darüber einer lateinischen Inschrift in Majuskeln versehene Muschelkalkplatte ziert als Einfassung eine gereimte Umschrift: „FÜR JACOBS TREU WAR LABANS LOHN UF DER ERDEN MEINE CRON ABER IEZ IST MIR BEREIT LEBENFREÜD UND SELIGKEIT“ [5].
Durch das hohe Rundbogentor mit reich profiliertem Gewände gelangt man in das von einem Kreuzgratgewölbe überspannte, ehemals offene Erdgeschoss des Turms mit seitlichen Türöffnungen zum Treppenhaus und einem Nebenraum (heute Toiletten). Die ersten beiden Fensterachsen nimmt heute eine vom übrigen Kirchenschiff abgetrennte Eingangshalle mit darüber liegendem Gemeindesaal ein. Die Orgelempore ist seit dem Umbau 1961 entsprechend nach vorne gerückt. Der Kirchensaal ist nach oben von einer flachen Decke mit einfachem Holzgitter abgeschlossen. Den Boden belegen rote Tonplatten. Ein grosser Rundbogen vermittelt heute anstelle des ursprünglichen Stichbogens zum ebenfalls flach gedeckten Chorraum. Einen farblichen Kontrast zu den weissen Wänden bilden die fünf Chorfenster mit qualitätvollen Glasmalereien von Werner Sommer, Wohlen, aus dem Jahr 1981 (Ausführung Atelier Rajsek). Thematisiert sind die Schöpfungsgeschichte, der Turmbau zu Babel, das Pfingstwunder, die Passion und das Abendmahl sowie die Rettung des Petrus aus dem See Genezareth. Im Übrigen wird der Predigtraum vom hellen Holz der Ausstattungsteile von 1961 bestimmt (Orgelprospekt, Empore, Täfer, Kirchbänke, Kanzel, Wandkreuz, Felderdecke).
Der in Form eines achteckigen Kelches gestaltete ehemalige Taufstein aus der alten Kirche, der zwischenzeitlich als Brunnentrog im Friedhof stand, ist wieder in der Kirche aufgestellt. Er ist mit einer Verzierung aus Blendarkaden und Kleeblattbogen aus Kalkstein gehauen und dürfte aus der Zeit um 1500 stammen [6].
Anmerkungen:[1] Zu den Verhältnissen vom Mittelalter bis um 1800 siehe Stettler/Maurer 1953, S. 386-387; Baumann 1998, S. 77-104.
[2] Zeichnungen, die der Baumeister Heinrich Baumann, Villigen, vor dem Abbruch 1863 anfertigte, sind abgedruckt in: Baumann 1998, S. 96-97, 112-113.
[3] Die Originalpläne befinden sich im Pfarrarchiv von Rüfenach.
[4] Wohl der Vater von Hans Baumann, nach dessen Plänen später die ähnlich konzipierten Pfarrkirchen von Stetten (1881-84, Bauinventarobjekt STE901) und Gansingen (1896-99, Bauinventarobjekt GAN901) errichtet wurden.
[5] Die lateinische Inschrift lautet: „D.O.M.S. / HIC RESUR EXPECTAT / DN JOHANN MARIKIUS / QUI POST EAQ / CORD CASTITATE / DOCTA SINCERITATE / VITAE Q INTEGRITATE / ANNOS XXXVI ME VII / HANC ECCL PAVISSET / VITAE TAND SATUR / PLACIDE EXPIRAVIT / D XX OCT MDCLXIV / AN AET LXVI M XI“.
[6] Stettler/Maurer 1953, S. 388.
Erwähnung in anderen Inventaren:- ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Rüfenach, 4112-05.
Literatur:- Michael Stettler, Emil Maurer, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 2, Basel 1953, S. 386-389.
- Max Baumann, Rein und Rüfenach. Die Geschichte zweier Gemeinden und ihrer unfreiwilligen Vereinigung, Baden 1998, S. 77-104 (Mittelalter bis 1800), 105-121 (19.-20. Jh.).
- Kunstführer durch die Schweiz, Bern 2005, S. 72.
Quellen:- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Fotoarchiv.
- Pfarrarchiv Rüfenach (Originalpläne von 1858 und 1862).
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=134022
 

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