Staufberg revisited: 30 Jahre nach der letzten Innenrestaurierung – ein fix & fertig der anderen Art
Denkmalpflegerische Arbeit ist nicht nur, aber immer wieder die Beschäftigung mit Sakralarchitektur. Mitte der 1990er Jahre wurde die Kirche auf dem Staufberg bei Lenzburg in Zusammenarbeit mit der Kantonalen Denkmalpflege im Innern restauriert.
Anlässlich einer Führung für die Volkshochschule Wettingen hatte der kantonale Denkmalpfleger Reto Nussbaumer die Möglichkeit, sich mit der Restaurierung unter seinem Vorvorvorgänger – Alexander Schlatter – zu beschäftigen. Mitte der 1990er Jahre traf die Baukommission bestehend aus Mitgliedern der ev.-ref. Kirchgemeinde Staufberg, der Kantonalen Denkmalpflege und dem Badener Architekten Castor Huser einen Innenraum an, der sich nach verschiedenen Interventionen Ende des 19. und im Laufe des 20. Jahrhunderts uneinheitlich zeigte und zudem in einem unterhaltsbedürftigen Zustand war. Im Restaurierungsbericht von Castor Huser von 1997 steht dazu: "Die gesamte Putzoberfläche wirkt düster und renovationsbedürftig."
Das Restaurierungskonzept hatte zum Ziel, einen stimmigen Innenraum zu schaffen, der sämtliche Oberflächen und Ausstattungsteile aus den verschiedenen Jahrhunderten zu einem harmonischen Ganzen zusammenbringt. Auch galt es, aus heutiger, bzw. damaliger Sicht, verfehlte Eingriffe zu korrigieren oder gar rückgängig zu machen – ein aus denkmalpflegerischer Sicht nicht immer einfacher Prozess.
Aber schauen wir uns an, was damals beschlossen wurde und wie aus heutiger Sicht diese Eingriffe beurteilt werden können. Wichtig für diese Einschätzung ist zudem, dass im Zuge der Recherche zur Führung verschiedene Zeitungsartikel gefunden worden sind, welche die Beurteilung der 1990er Jahre in ein etwas anderes Licht rücken lassen.
Die Rekonstruktion der Decke
Die grösste räumliche Veränderung hat sich durch die Rekonstruktion der barocken Decke ergeben. Aus einem Zeitungsbericht aus dem Aargauer Tagblatt vom 12. Oktober 1967 geht hervor, dass über den Rückbau der Decke, die 1897 erneuert wurde, schon damals nachgedacht wurde: "Auch mit dem Vorschlag über eine Erneuerung der Decke in Chor und Schiff hatte die Kirchenpflege wenig Glück, obschon jedermann überzeugt war, dass die heutige Deckenverkleidung schlecht in das gotische Gotteshaus passt."
Die damalige Ablehnung der Rekonstruktion hatte durchaus finanzielle Gründe, wie einem Leserbrief vor der Abstimmung im Aargauer Tagblatt vom 5. Oktober 1967 zu entnehmen ist: "Das Geld ist teuer und zudem rar geworden. Warum eine neue, kostspielige Decke in der Kirche wenn die alte noch gut und ganz ist?"
Und ebenda in einem anderen Leserbrief: "Die bestehende [Kirchendecke] ist kein Prunkstück, und sie wird früher oder später durch eine stilgerechtere ersetzt werden müssen, darüber besteht kein Zweifel, aber warum gerade jetzt?"
Fast 30 Jahre später wurde die Idee dann endlich in die Tat umgesetzt. Im Estrich fand man die Reste der früheren barocken Decke anhand derer die exakte Rekonstruktion möglich war, inklusive der Farbgebung, der genauen Masse und Profile sowie der Dekorationsmalerei. Betreten wir heute den Staufberger Kircheninnenraum ist die Decke ein überzeugender Teil nicht nur der räumlichen Wirkung, sondern auch der Innenausstattung als Ganzes.
Die Position und Gestaltung der Orgel
Allein zur Orgel in der Kirche Staufberg gäbe es einen ganzen Artikel zu schreiben. 1967/68 wurde eine neue Orgel angeschafft und da entbrannte ein Streit, wie die Orgel auf der Empore zu positionieren sei. Da das Kirchenschiff und der Chor in der Staufberger Kirche nicht in derselben Achse liegen, gab es die Variante "Orgel in der Mitte der Empore" oder "Orgel seitlich versetzt", in der Mittelachse des Chors liegend. Vor der Kirchgemeindeversammlung im Oktober 1967 erschien ein grösserer Leserbrief, der sich der Orgelposition annahm: "Da stellt sich die Frage: Wie kommt man auf die Idee, eine Orgel mit Rückpositiv nicht in die Mitte der Empore zu stellen? Dem Schreibenden ist wenigstens keine keine Kirche bekannt, in der dies der Fall wäre, und es ist kaum glaubhaft, dass die Denkmalpflege, die doch auf dem Staufberg einiges mitzureden haben wird, zu einer solchen Stilwidrigkeit ihre Einwilligung gibt."
Tatsächlich hat sich die Denkmalpflege dazu geäussert und wollte die Position der Orgel in der Mitte der Empore beibehalten. Sie hat aber gemeinsam mit der beauftragten Orgelbaufirma beide Varianten ausarbeiten lassen und der Kirchgemeinde die Schlussbeurteilung überlassen. Wenn auch klar festzuhalten ist, dass die Orgelbaufirma Kuhn AG in Männedorf die Positionierung seitlich versetzt auf der Empor bevorzugte, da die mittige Positionierung ihrer Meinung nach klare Nachteile geboten hätte. So äussert sich die Orgelbaufirma in einem Brief vom 18. Januar 1967: "Uneinheitlichkeit von Rückpositiv und Hauptwerk; deutlich gestauchte Proportionen des HW-Gehäuses, infolge ungenügender Raumhöhe; ungünstige, ja prekäre Platzverhältnisse im Zusammenmusizieren von Orgel mit Chor und Instrumentalisten; Fehlen jeglichen Altbestandes."
Die Kirchgemeindeversammlung entschied dann gegen den Antrag der Kirchenpflege und Orgelbaufirma – die Orgel wurde in der Mitte der Empore neu aufgebaut. Die Farbigkeit des Orgelgehäuses wurde damals den Grüntönen der Kanzel angepasst. Im Zuge der Innenrestaurierung der 1990er Jahre wurde das Orgelgehäuse neu gefasst, den Blautönen der nachgebauten barocken Decke entsprechend.
Die Farbigkeit der Kanzel
Nicht nur das Orgelgehäuse wechselte sein farbiges Kleid, speziell die Kanzel hatte mehrfach eine andere Farbigkeit. 1720 erstellt, wurde sie 1963 fachmännisch untersucht. Der restauratorische Farbuntersuch vom 29. August 1963 gab folgendes Bild: "Leider wurde das reichgeschnitzte, barocke Ausstattungsstück im vorigen Jahrhundert mit einer schokoladenbraunen Farbe vollständig übermalt. Wie nun erfreulicherweise sorgfältige Abdeckproben ergeben haben, hat sich unter dieser hässlichen Tünche die originale Polychromierung tadellos erhalten. Die kräftig gewundenen Trag- und Gliederungssäulen sind schwarz, die Korpusfelder grün, die Friese blau und die vorgesetzten, von Palmzweigen und Voluten umschlossenen Kartuschen grau gehalten."
Was hier ausser Acht gelassen wurde, ist der Umstand, dass die in den Unterlagen auf 1893 datierte Innenrestaurierung mit dem Einbau der neuen Decke nicht der letzte Eingriff im Innern der Kirche war. 1923 fand eine malerische Auffrischung des Innern statt. In der illustrierten schweizerischen Handwerker-Zeitung vom 3. Januar 1924 steht: "[…] Vor allem war ein neuer Verputz und Neuanstrich der Innenwände nötig, ferner Reparaturen von Seitengetäfer, sowie ein Neuanstrich der Vorhallendecke und Pfosten. […] Mit gut gewählter Farbenmischung und einfachen Dekorationen haben Künstler und Arbeiter es verstanden, die wohltuenden Wirkungen der gothischen Bauart, sowie die kostbaren und einzig schönen alten Glasmalereien recht eindrucksvoll zu gestalten." In diesem Artikel ist weiterzulesen, dass für diese Arbeiten der Basler Kunstmaler Burkhardt beigezogen wurde und dass dieser auch die neuen Beleuchtungskörper ausgesucht habe, welche in den 1990er Jahren ausgetauscht wurden. Es ist also gut denkbar, dass die Holzmaserierungsmalerei der Kanzel, welche der Restauratorenbericht in die 1893er Restaurierung verortet hat, erst 1924 dazugekommen ist.
Aber wie auch immer – ganz offensichtlich wurden 1963 die vom Restaurator gefundenen Farbigkeiten nicht wiederhergestellt, sondern es wurden die bereits oben erwähnten Grüntöne appliziert – was aber durchaus auf Anklang stiess. So wird im Aargauer Tagblatt vom 26. März 1964 stolz verkündet: "Im Jahre 1963 wurde die einzigartig schöne Barockkanzel in der Staufbergkirche, die aus dem Jahre 1720 stammt, unter der Assistenz der Aargauischen Denkmalpflege restauriert. Seither ist dieses Bijou barocker Kunst zu einem Anziehungspunkt zahlreicher Kunst- und Heimatfreunde geworden."
In den 1990er Jahren wurde die Kanzel erneut zum Gegenstand von Farbdiskussionen. Hier gab es offensichtlich Missverständnisse bezüglich der früheren Farbfassungen. So schreibt der Architekt Castor Huser in seinem Restaurierungsbericht: "Unter der Bemalung von 1963 ist eine ältere Fassung erhalten in grau und schwarz. Eine Neufassung in Schwarz und Grau stand jedoch nicht zur Diskussion. Man entschied sich dazu, die bestehende Farbfassung von 1963, ausgenommen die Vergoldungen und Schriftzüge, neu zu überfassen in farblicher Anlehnung an die neue Decke." Er übte dann im Fazit seines Berichts selber Kritik am Vorgehen: "Die Restaurierung der Kanzel war nicht vorgesehen. Ihre willkürliche Fassung der letzten Renovation passte indessen nicht mehr ins neue Farbkonzept. Deshalb entschlossen wir uns, sie in den Tönen der Decke neu zu fassen, ohne eine Freilegung zu versuchen. Dies dürfte allerdings ein denkmalpflegerischer Fehler gewesen sein. […] Es ist einer künftigen Erneuerung vorbehalten, diesen prachtvollen Kanzelkorb wirklich restaurativ zu behandeln!"
Fazit
Wie hatte doch Alexander Schlatter, damals noch Adjunkt des kantonalen Denkmalpflegers Peter Felder im Vorfeld der Restaurierung der 1990er Jahre geschrieben: "Zu oft schon wurde an dieser Kirche im Einzelnen gewirkt, sodass nun der schöne Raum fast als Brockenhaus erscheint, in dem jede Generation zufällig etwas hinterlassen hat – mal etwas besseres, mal etwas schlechteres. Darein müsste Ordnung gebracht werden, ohne dass dabei die Spuren der Generationen ausgetilgt werden – in einer Gesamtsicht des Vorhandenen und des künftig Notwendigen." (Aktennotiz vom 2. September 1985).
Diese Ordnung in den Innenraum wurde geschaffen – und auch 30 Jahre nach der letzten grossen Restaurierung kann man den Innenraum der Kirche auf dem Staufberg als geglücktes Projekt bezeichnen – er ist ein Erlebnis und auf jeden Fall einen Besuch wert! (Reto Nussbaumer)