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Bauberatung

Geschossen wird nicht mehr, treffen kann man sich trotzdem

Vergangenen Oktober öffnete das Schützenhaus im Scheibenschachen in Aarau seine Türen. Nach einer umfassenden Restaurierungs- und Umbauphase wurde das Schützenhaus als Quartiercafé am Eingang zur Wohnsiedlung Aarenau in Betrieb genommen. Nach dem Rückbau der eigentlichen Schiessstände haben die im Hauptbau befindlichen Schützenstuben ihre angestammte historische Funktion zurückerhalten: ein geselliger Ort, wo man sich trifft. Ernst Niklaus Fausch Partner AG haben es verstanden, die weitgehend bauzeitlich erhaltene Bausubstanz sorgfältig zu restaurieren und um einen architektonisch zeitgenössischen Barbetrieb zu erweitern.

Schützenhaus nach der Renovation. © Hannes Henz, Architekturfotograf, Zürich

Im Jahr 1824 wurde in Aarau die erste moderne Schützengesellschaft gegründet. Das Ziel des damals noch jungen Vereins war, die Eidgenossen zu vereinen und das Scharfschiessen als wichtige Kunst der Verteidigung der damaligen Eidgenossenschaft zu fördern. Bereits im 19. Jahrhundert wurde das nordseitige Ufer der Aare für Schiessübungen genutzt, worauf auch der Flurname Scheibenschachen beruht. Der Bau des Schützenhauses selber wurde jedoch erst 1924 im Rahmen des glanzvollen, in Aarau abgehaltenen eidgenössischen Schützenfests initiiert, als der Schweizerische Schützenverband sein 100-jähriges Gründungsjubiläum feierte. Als Architekt fungierte wohl Karl Schneider (1884–1959), der mit sämtlichen Arbeiten für die temporären Festbauten des Schützenfestes betraut war. Er schuf ein typologisch beeindruckendes Werk zwischen spätem Heimatstil und den expressionistischen Gestaltungselementen für die Bauaufgabe "Schützenhaus", dessen historische und gesellschaftliche Bedeutung zwischenzeitlich beinahe vergessen ging.

Zwischennutzung und das Projekt Aarenau

Durch den zunehmenden Siedlungsdruck im Scheibenschachen wurde 1994 der Schiessbetrieb eingestellt und das Areal von der Ortsbürgergemeinde Aarau übernommen. Das Schützenhaus diente indessen verschiedenen Zwischennutzungen. Die Ortsbürgergemeinde Aarau betrieb im Gebiet Scheibenschachen sukzessive Landzukäufe und lancierte im Jahr 2005 das Projekt Aarenau als neues Wohnquartier. Die Zukunft des Schützenhauses war zunächst ungewiss. An der Ortsbürgerversammlung vom 9. Juni 2008 wurde beschlossen, das Schützenhaus zugunsten einer Grünfläche abzubrechen. Die Umsetzung dieses Beschlusses konnte durch ein Referendum des Quartiervereins verhindert werden und führte mit der darauffolgenden Schutzabklärung durch die Kantonale Denkmalpflege im Jahr 2011 zur Unterschutzstellung des Objekts.

Schützenstube im Erdgeschoss nach der Renovation. © Hannes Henz, Architekturfotograf, Zürich

Restaurierung und Umbau

In der annähernd hundertjährigen Baugeschichte des Schützenhauses wurde, ausgenommen von einigen farblichen Anpassungen, nur wenig verändert. Abgesehen vom Rückbau des hölzernen Schiessstandes zielte daher auch die aktuelle Renovation auf den Erhalt der bestehenden Struktur und Ausstattung. An der Anschlussstelle des früheren Schiessstandes wurde die Fassade mit einer grossflächigen Verglasung mit vorgelagertem Holzlamellenschirm ergänzt, welcher das für Schützenhäuser typische schwarz-weisse Rautenmotiv der Fensterläden aufnimmt. In diesem Gebäudeteil befinden sich heute die neue Küche und eine Bar. Die Farbgebung am Gebäudeäussern ist eng an den historischen Befund angelehnt. Eine besondere Herausforderung bildete der prägende, kupferne Spitzhelm des sogenannten Heiniger-Stübli, dessen Blech ersetzt werden musste.

Neu gestalteter Barbetrieb im Anschlussbereich des abgebrochenen Schiessstandes. © Werner Rolli

Da aufgrund der heutigen Umweltbedingungen das Kupfer nicht mehr in derselben Weise oxidiert wie früher, musste dieser chemische Prozess künstlich in Gang gesetzt werden. So wurde das neue Kupferdach mit Pferdeurin übergossen, durch dessen chemische Einwirkung wieder die unregelmässig grüne Patina eines historischen Kupferblechs erzielt wurde. Ein pragmatisch bewährtes Vorgehen, das jedoch kurzzeitig die Nase des Ausführenden unangenehm berührt.

Im Innern blieben die historischen Raumschalen der Schützenstuben samt Interieur erhalten und konnten restauriert werden, wobei Decken und Wände ihre ursprüngliche Farbgebung zurückerhielten. Originale Holzriemenböden, Wandtäfer, Einbauschränke und der Terrazzoboden im Entrée wurden aufgefrischt. Im Obergeschoss befindet sich das Turmzimmer, das Heiniger-Stübli, das sich durch Schriftmalereien und Dekorationen auszeichnet. Die neuen Pächter Christian Senn und Raoul Niederreuther bemühten sich aktiv, teilweise verloren gegangenes Interieur wieder aufzutreiben und an den ursprünglichen Standort zurückzuführen. So konnten sie den zum Sitzbank passenden runden Tisch mit rund zwei Metern Durchmesser ausfindig machen und am originalen Standort platzieren.

Die heutige Nutzung und Gestaltung des Schützenhauses als Quartierbistro kann als besonders gelungenes Beispiel gelten, welches historische Substanz, neue Nutzung und zeitgenössische architektonische Interventionen unter einen Hut bringt. Dass mit dem Quartierbistro das gesellschaftliche Leben im neuen Stadtquartier gefördert wird, steht dabei in guter Tradition der Schützengesellschaft Aarau.

Das Heiniger-Stübli nach der Restaurierung im 1. Obergeschoss mit dem zurückgeführten originalen Rundtisch. © Werner Rolli