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Fritz Hertach, Freiwilliger von Bibliothek und Archiv Aargau: Sammlung sichtbar machen
Die Kadettenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert spielte im Aargau eine prägende Rolle in der Erziehung der Jugend. Als Teil der vormilitärischen Ausbildung stand sie für körperliche Ertüchtigung, Disziplin, Gemeinschaft und nationale Identität.
Seit Ende des 18. Jahrhunderts wurden in Schweizer Städten Kadettenkorps nach französischem Vorbild gegründet. Das Wort "Kadett" kommt von französisch "cadet", in Adelskreisen den jüngsten Sohn bezeichnend. Das erste Kadettenkorps der Schweiz wurde 1787 vom Zürcher Oberst Johann (Hans) Conrad Escher (1767–1823) in Zürich gegründet. Zunächst waren die Kadettenkorps für Jugendliche ab 15 Jahren gedacht.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Kadettenwesen reorganisiert. 10- bis 15-jährige Knaben durften mitmachen. 1936 wurde der Eidgenössische Kadettenverband gegründet, mit bis zu 48 Korps und 7000 Kadetten.
Das "Schulgesetz von 1835" brachte dem aargauischen Kadettenwesen Aufschwung. Im Kanton Aargau waren Bezirksschüler verpflichtet, am Kadettenkorps teilzunehmen. Für Sekundar- und Oberstufenschüler war die Mitwirkung freiwillig.
In der Folge sollen vier Städte stellvertretend für die unzähligen Aargauischen Kadettenkorps näher betrachtet werden.
Als 1788 in Aarau 76 Offiziere der Helvetisch-Militärischen Gesellschaft tagten, war der Zürcher Oberst Hans Conrad Escher dabei. Er berichtete über das von ihm im Vorjahr in Zürich gegründete Kadettenkorps. Die Aarauer griffen die Idee auf und gründeten 1789 in Aarau das erste Korps im Aargau. Vom privaten Korps wurde es ab 1795 in eine öffentliche Institution der Stadt Aarau umgewandelt. Aarau und Umgebung war in den 1950er und 1960er-Jahren eine Hochburg der Kadettenbewegung.
Die Kadetten waren die erste in Brugg tätige Jugendorganisation. Das Korps wurde 1804, als zweites Korps nach Aarau, gegründet. Schon 1805 begleitete die Formation erstmals den "Rutenzug" (Jugendfest). 1807 wurde Georg Jakob Belart von Brugg (1776–1860) als Bezirkskommandant und Exerziermeister gewählt. Er "sey ein Tyrann und Schülerschreck gewesen". Das Korps war zuerst der Schulpflege und ab 1861 der aargauischen Militärdirektion unterstellt. 1974 wurde das Kadettenkorps aufgelöst und es fand erstmals ein "Rutenzug" ohne Kadetten statt. 1975 marschierte eine kleine, freiwillige Kadettengruppe mit.
Die Stadt Lenzburg gründete 1805 eine Kadettenabteilung. Alle zwei Jahre wurde ein sogenanntes Freischarenmanöver veranstaltet, bei dem Kadetten gegen Freischaren antreten. 1973 standen die Kadetten in Uniform zum letzten Mal Spalier am Umzug. Schweizweit einzigartig ist die Tradition des Freischarenmanövers, das noch heute alle zwei Jahre im Rahmen des Lenzburger Jugenfests durchgeführt wird.
Das Kadettenkorps Zofingen wurde 1825 gegründet und besteht seither ohne Unterbruch. Schon 1852 war die Mitwirkung von Freischaren am Jugendfest nachweisbar. Das Korps gehört zum Kinderfest. Auf dem Heiternplatz mitten in der Stadt wird dabei ein historisches Gefecht vorgeführt.
Die Alte Kantonsschule Aarau an der Bahnhofstrasse wurde 1802 eröffnet und die Schüler in bestehende Korps eingegliedert. 1853/54 trennte man die Korps nach Alter. Diese blieben bis zur Abschaffung des Obligatoriums 1920 bestehen.
Tambouren, Pfeifer und Blasmusiker begleiteten die Korps, vor allem bei Umzügen. Brugg gründete zum Beispiel 1930 eine Kadettenmusik. Als beliebte Formationen gaben sie Schülern die Gelegenheit, ein Blasinstrument spielen zu lernen oder sich als Tambour ausbilden zu lassen. An Jugendfestumzügen waren sie eine willkommene Bereicherung. Die Musikkorps bildeten auch fehlenden Nachwuchs in den Musikvereinen aus. Einige Kadettenmusiken wurden später in Jugendmusik oder Jugendspiel umbenannt, die in der Folge auch Mädchen aufnahmen.
Die Kadetten waren eine Jugendorganisation, die im Zeichen ihrer Zeit gestaltet war. Die gemeinsamen Aktivitäten sollten einen Gruppenzusammenhang bilden sowie die jungen Männer auf eine militärische Laufbahn vorbereiten. Es wurden daher verschiedene Diszipline gepflegt, wie sie auch aus dem militärischen Kontext bekannt sind. Dies waren zum Beispiel Schiessübungen, Märsche an Jugendfesten, Klettern, Staffettenlauf, Weitsprung oder Handelheben. Die Kadetten übten sich zudem in Kartenlesen, Kompasskunde, Knotentechnik oder Abseilen.
Auch die Bekleidung der Kadetten war militärisch gestaltet. Sie musste teilweise von den Kadetten selbst organisiert werden und war bei jeder regionalen Gruppierung unterschiedlich. Es gab Sommer- und Winteruniformen.
Da die Kadettenkorps um eine militärische Ausbildung der männlichen Jugend bemüht waren, gehörte zur Ausrüstung auch ein Gewehr, welches für Schiessübungen benutzt wurde. Kadettengewehre waren stets verkleinerte Ausführungen der Armeewaffen. Ab 1899 wurde das Kadettengewehr "Modell 1897" benutzt. 1974 erklärte der Bund diese Gewehre als "juristisch schiessuntauglich" und die Fabrikation der Munition wurde eingestellt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat der militärische Charakter weitgehend in den Hintergrund. Sport und Musizieren wurden wichtiger. 1949 fand das Eidgenössische Kadettentreffen mit 4300 Kadetten in Aarau statt, mit einem Orientierungslauf anstelle eines Manövers. 1958 fand das Treffen in Brugg statt.
Die Abschaffung des Kadettenwesens im Aargau erfolgte durch eine Teilrevision des Schulgesetzes, das am 3. Dezember 1972 in einer Volksabstimmung angenommen wurde. Die Teilnahme an einem Kadettenkorps war für Bezirksschüler nun nicht mehr obligatorisch. An den Bezirksschulen im Aargau wurden die Kadettenkorps 1973/74 aufgehoben. Da der Aargau zwei Drittel der Mitglieder im Eidgenössischen Verband stellte, schmälerten die Austritte der aargauischen Mitglieder auch den Eidgenössischen Kadettenverband. Mit dem "Bundesgesetz über J+S Jugend + Sport" von 1972 wurden den Kadettenverbänden die staatliche Unterstützung entzogen. Die Kadetten standen in Konkurrenz zu anderen Jugendverbänden wie den Pfadfindern oder Turnvereinen.
Die Kadettenbewegung im Aargau kann so als Spiegel gesellschaftlicher Werte ihrer Zeit gesehen werden. Mit deren Ende ging eine über 180 Jahre lange Tradition zu Ende. In einigen Aargauer Gemeinden werden Erinnerungen an das Kadettenwesen durch private Initiative gepflegt, wie zum Beispiel in Brugg.
Fritz Hertach, Freiwilliger von Bibliothek und Archiv Aargau: Sammlung sichtbar machen