Werke zweier renommierter Kirchenbauer in Rudolfstetten-Friedlisberg
In Rudolfstetten-Friedlisberg wurde Mitte Februar 2023 die Aktualisierung des Bauinventars abgeschlossen, welche die Kantonale Denkmalpflege im Rahmen der Nutzungsplanungsrevision durchführte. Das Bauinventar der kleinen Freiämter Doppelgemeinde unmittelbar östlich des Mutschellen an der Grenze zum Kanton Zürich enthält neben vorwiegend ländlichen Bauten mit der römisch-katholischen Kapelle St. Josef in Friedlisberg von Adolf Gaudy aus dem Jahr 1934 und der römisch-katholische Pfarrkirche Christkönig in Rudolfstetten von Hermann Baur, errichtet von 1962–64, auch zwei kommunal schutzwürdige Sakralbauten.
Trotz des zeitlichen Abstandes ihrer Baujahre, durch den sich zudem als Bruch der Zweite Weltkrieg zieht, und ihrer architektonisch sehr unterschiedlichen Gestaltung weisen die beiden Kirchen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: 1) beide besassen einen Vorgängerbau, 2) beide wurden von Architekten entworfen, von denen in der ganzen Schweiz zahlreiche Kirchen stammen, 3) beide zeugen von einer Suche nach neuen Formen für den Kirchenbau im 20. Jahrhundert, 4) beide sind reich an künstlerischer Ausstattung.
Von den Vorgängern zu den heutigen Bauten
In Friedlisberg ist eine erste Kapelle um 1370 erstmals urkundlich bezeugt. Diese war Jakobus d. Ä. geweiht und musste im 15. und 17. Jh. aufgrund von Bränden erneuert werden. Beim Dorfbrand von 1868 wurde sie komplett zerstört und vorerst nicht wiederhergestellt. Erst 1933 gründete sich der röm.-kath. Kapellenverein Friedlisberg mit dem Ziel, eine neue Kapelle zu errichten. 1934 begannen die Bauarbeiten für die heutige Kapelle nach Plänen von Adolf Gaudy, die am 21. Oktober 1934 geweiht wurde. Als Schutzpatron fungierte nun aber der Hl. Josef, da sein Gedenktag am 19. März im Gegensatz zum Jakobustag am 25. Juli nicht in der für die Bauersleute arbeitsreichen Erntezeit liegt. An den früheren Patron erinnert noch das Rundfenster an der Südwand des Chors.
In Rudolfstetten bestand seit dem 18. Jh. eine Wendelinskapelle, die 1960 aufgrund des Ausbaus der Bernstrasse als Hauptverbindung zwischen den Städten Bern und Zürich abgebrochen wurde. Im selben Jahr schrieb der katholische Kirchenbauverein einen Wettbewerb für einen Neubau aus, den Hermann Baur gewann. Im Jahr 1962 am Christkönigsfest, dem letzten Sonntag des Kirchenjahres, erfolgte der erste Spatenstich. Am 12. Mai 1963 segnete Bischof Franziskus von Streng auf dem Bauplatz den Grundstein ein. Am 23. August weihte er den fertiggestellten Kirchenbau Christus dem König und dem Hl. Wendelin. Gleichzeitig wurde Rudolfstetten zusammen mit Bergdietikon zu einer eigenständigen Pfarrei erhoben. Von der abgebrochenen Wendelinskapelle blieben zwei Glocken und eine Marienstatue erhalten. Die Glocken sind heute über dem Eingang zum Pfarrhaus angebracht; die Marienstatue ist in der Tauf- und Werktagskapelle der heutigen Kirche aufgestellt.
Adolf Gaudy und Hermann Baur
Der Architekt der Josefskapelle in Friedlisberg Adolf Gaudy (1872–1956) wurde in Rapperswil geboren und studierte von 1892–1895 an der ETH Zürich Architektur. Nach diversen Auslandaufenthalten arbeitete er ab 1898 in einer Architektengemeinschaft in Rapperswil. Ab 1904 führte er ein eigenes Büro in Rorschach, zu dem ab 1935 ein Zweigbüro in Luzern hinzukam. Hinsichtlich seiner Kirchenentwürfen erfuhr er Unterstützung des einflussreichen Einsiedler Benediktinerpaters Albert Kuhn (1839–1929). Zusätzlich engagierte sich Gaudy in der praktischen und wissenschaftlichen Denkmalpflege. Als Vorreiter der Kunstdenkmälerinventarisation in der Ostschweiz publizierte er das zweibändiges Werk "Die kirchlichen Baudenkmäler der Schweiz" (1921/23), das die Grundlage für seine Dissertation in Kunstgeschichte an der Universität Freiburg i. Ü. bildete. Obwohl er auch im Profanbau sehr aktiv war, trat er insbesondere mit seinen Sakralbauten hervor, so dass sein Name mit rund hundert Kirchen in der ganzen Schweiz verbunden ist.
Der knapp eine Generation jüngere Basler Hermann Baur (1894–1980) studierte nach einer Hochbauzeichnerlehre ebenfalls an der ETH Zürich. Nachdem er sieben Jahre in Mulhouse gearbeitet hatte, eröffnete er 1927 ein eigenes Büro in Basel. Für seine Kirchenbauten lieferte insbesondere Le Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp (1950–1955) einen wichtigen Impuls, der sich am augenfälligsten an Baurs Bruder-Klaus-Kirche in Birsfelden von 1955–1959 manifestiert. Baur hat den Kirchenbau der Schweiz im 20. Jh. stark geprägt und sich sowohl praktisch als auch theoretisch für dessen Weiterentwicklung engagiert. Rund dreissig Kirchen hat er ausgeführt und ebenso viele projektiert.
Auf der Suche nach neuen Formen
Die Kapelle St. Josef ist ein längsrechteckiger Saalbau mit dreiseitigem Chorabschluss, der ein Satteldach mit Dachreiter trägt. Gestalterisches Leitmotiv ist die Parabel, welche die Form der Fenster, des Chorbogens, der Bogennischen unter der Chorkuppel sowie der hölzernen Decke vorgibt. In der Schweiz entstanden in den 1930er-Jahren einige Kirchenbauten, die mit der Form der Parabel experimentierten. Bei deren Schöpfern handelte es sich um Architekten, die sich nicht der Architekturströmung des Neuen Bauens anschlossen, sondern eine gemässigte Weiterentwicklung der historischen Stile verfolgten. Der Einsatz der Parabel zeugt somit von einer alternativ zum Neuen Bauen verlaufenden Suche nach neuen Formen. Gaudy war mit seinen ersten Kirchenbauten, beispielsweise der röm.-kath. Pfarrkirche St. Nikolaus in Brugg von 1905–1907, noch stark dem Neobarock verpflichtet, den er später beispielsweise bei der röm.-kath. Pfarrkirche St. Agatha in Dietikon von 1926/27 mit Jugendstilelementen verband. Seine Friedlisberger Josefskapelle zeigt mit ihren feinen Anklängen an die bäuerlich-ländliche Architektur wie dem Fluggespärre und den zierbeschnitzten Bügen an der Eingangsfront eine Hinwendung zur Reformarchitektur.
In Rudolfstetten ist ein Beispiel für Baurs Experimentierfreudigkeit mit verschiedenen Grundrissvariationen zu sehen, die Rechtecke, Quadrate, Trapeze oder Ellipsen umfassen. Die in kubischen Formen gestaltete Christkönigkirche unter einem zum Chorraum aufsteigenden Pultdach erhebt sich über einem diagonal ausgerichtetes Quadrat und birgt im Innern einen grossen Einheitsraum. Mit ihrer präzisen Situierung in die Topographie, dem grosszügigen Vorplatz, den differenzierten Höhen und Lichtverhältnissen sowie der Integration von Kunst am Bau verkörpert sie exemplarisch Baurs Prinzipien des Kirchenbaus. Während ihrer Bauzeit fand das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) statt. Die dort beschlossene Liturgiereform umfasste einige Bestimmungen, die starke Auswirkungen auf den Kirchenbau mit sich brachten, wie beispielsweise die Position des zelebrierenden Priesters hinter dem Altar mit Ausrichtung zum Volk hin.
Die künstlerische Ausstattung
In der Friedlisberger Kapelle ist die bauzeitliche Ausstattung zum Grossteil erhalten. Im Chor über dem Altar befindet sich ein Wandbild des in Fislisbach geborenen Kirchenmalers und Restaurators Josef Heimgartner (1868–1939). Es zeigt Christus umringt von knienden Kindern, von denen der Junge rechts im Vordergrund eine Schreibtafel mit dem Datum der Kapellenweihe trägt. Am Scheitelpunkt der Chorkuppel ist die Heiliggeisttaube abgebildet. Die grossen Glasfenster stammen von der 1887 gegründeten Zürcher Glasmanufaktur Mäder & Cie. Dargestellt sind an der Nordseite der Hl. Aloisius von Gonzaga und der Hl. Fridolin sowie an der Südseite die Hl. Idda von Toggenburg und die Hl. Elisabeth von Thüringen. Die Gemälde mit den Kreuzwegstationen sind Werke des deutschen Kirchenmalers Kaspar Schleibner (1863–1931) und spätnazarenisch geprägt.
In der Christkönigkirche stammen die modernen Kunstwerke und Prinzipalien vom österreichischen Bildhauer Alfred Gruber (1931–1972) und der englischen Bildhauerin und Goldschmiedin Jacqueline Stieger Gruber (*1936), die in den 1960er-Jahren in Dittingen (BL) zusammen ein Atelier führten. Ein theologisch bemerkenswertes skulpturales Element, das Baur bereits in den Bauplänen eingezeichnet hatte, ist der als "Grundstein" inszenierte Steinblock aus grauem Granit östlich neben dem Eingang, dessen griechische Majuskelinschrift den Bibelvers "Denn einen anderen Grund[stein] kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus" (1 Kor 3,11) wiedergibt. Damit wird eine Parallelität der Grundsteinlegung des Kirchengebäudes von 1963 mit Christus als dem Fundament des Glaubens geschaffen, wodurch sich die Ambiguität der "Kirche" in ihrer Bedeutung als Architektur einerseits und als Gemeinschaft der Gläubigen andererseits aufzulösen scheint. (Vanessa Vogler)