Altäre auf dem Prüfstand
Die Pfarrkirche St. Martin in Lengnau besass einst eine barocke Altargruppe aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. In den 1820er-Jahren galt sie als veraltet. Ein Stuckateur sollte insbesondere dem Hochaltar zu einem neuen, modernen Kleid verhelfen. Um seine Umgestaltungsideen zu illustrieren, zeichnete er 1828 den "jezigen Hochaltar" und dessen "projektierte Herstellung". Diese aufschlussreichen Zeichnungen haben sich im Pfarrarchiv erhalten.
In der Pfarrkirche St. Martin in Lengnau standen vor dem tiefgreifenden Umbau von 1976/77 drei Altäre aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Damals, 1652, war das Kirchenschiff um einige Meter nach Westen verlängert worden. Und fast gleichzeitig hatte das Gotteshaus drei neue Altäre erhalten. Diese wurden zusammen mit der erweiterten Kirche 1662 durch den Konstanzer Weihbischof Georg Sigismund konsekriert. Wie die Altäre nach dem Bau des neuen Kirchenchors (1711) aufgestellt waren, zeigt ein ebenfalls im Pfarrarchiv erhaltener Grundriss der St.-Martins-Kirche aus der Zeit um 1750: Im Chorpolygon erhob sich der Sakraments- oder Hochaltar, der dem Kirchenpatron St. Martin sowie den Apostelfürsten St. Peter und St. Paul geweiht war. Rechts und links des Chorbogens standen die der Muttergottes bzw. dem hl. Kreuz geweihten Seitenaltäre.
Im frühen 19. Jahrhundert kam es zu einer Gesamtrenovierung der Kirche. Ganz im Sinn der zeitgenössischen klassizistischen Stilauffassung erhielten Schiff und Chor statt der hölzernen Decken nun Gipsplafonds. Für die als veraltet wahrgenommenen barocken Altäre wurden kleine gestalterische Anpassungen und eine moderne Farbfassung ins Auge gefasst, um sie dem zeitgemäss erneuerten Kircheninneren anzugleichen. Um den Auftrag bemühten sich die Gebrüder Michael und Jodok Huttle (auch Hutle, Hutli), die aus Schnepfau im Vorarlberg nach Baden zugewandert waren, sowie der aus dem vorarlbergischen Götzis stammende Stuckateur Josef Zipper. Die Gebrüder Huttle waren Favoriten beim Staat Aargau, der sich als Kollator um den baulichen Unterhalt des Chors kümmern musste und bei der Renovierung des Hochaltars lediglich geringfügige Abänderungen zulassen wollte. Von einem der Huttle – die Signaur lautet "Stukator Hutle"– stammen auch die beiden im Pfarrarchiv erhaltenen Zeichnungen des Hochaltars, von denen einer den Bestand zeigt, während der zweite das "Nachher" präsentiert, also den Hochaltar nach den vorgeschlagenen kleinen Umbauten und nach dem Aufbringen der neuen Farbfassung.
Das Rennen um den Auftrag machte schliesslich Josef Zipper. Die Gebrüder Huttle mussten für ihren Aufwand, die Planaufnahmen und Kostenvoranschläge, entschädigt werden.
Der Hochaltar, wie er 1828 bestand
Der 1828 bestehende barocke Hochaltar zeigte eine unauffällige Farbfassung in grünlich-grauen Tönen. Der von gedrehten Säulen flankierte Aufbau (Retabel) mit dem Hauptbild war seitlich mit ausladendem vergoldetem Zierwerk geschmückt, das nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprach. Weiteres üppiges Rankenwerk fand sich im zweiten Retabelgeschoss sowie beidseits das Altartischs an den Durchgängen, die hinter den Altar führten, und schliesslich an der Front des Altartischs. Dieses Beiwerk wurde im frühen 19. Jahrhundert nicht mehr geschätzt.
Die Schnitzfiguren der Apostel Petrus und Paulus beidseits des Hauptgeschosses waren gipsweiss gefasst. Sie waren ebenso beizubehalten wie der auf den Opfertod Christi anspielende Pelikan auf dem Tabernakel, der als kleiner Kuppelbau gestaltet war.
Der Hochaltar soll ein klassizistisches Kleid erhalten
Die Gebrüder Huttle schlugen in ihrer Zeichnung – sie ist betitelt mit "projektierte Herstellung dieses Hochaltars" – mehrere Massnahmen vor. Einerseits fiel der üppige barocke Schmuck des seitlichen Rankenwerks weg. In der einen Variante (rechte Retabelseite) geschah dies ersatzlos, in der anderen Variante (linke Retabelseite) wurde es ersetzt durch eine schlanke, mit Blüten besetzte Blattranke. Doch versicherte die Beischrift sogleich: "diese Bauverzierung wird nicht angebracht". Die zweite sehr markante Veränderung betraf die farbige Fassung des gesamten hölzernen Altaraufbaus. Die nun vorgeschlagene neue Farbfassung zielte klar darauf ab, Oberflächen aus verschiedenen Marmorsorten zu imitieren. Diese aufgemalte Marmorierung in modischen kühlen Grautönen war die wichtigste Komponente im Bemühen, dem Hochaltar ein zeitgemässes klassizistisches Kleid zu geben.
Auch der mit Säulchen verzierte Tabernakel sollte eine gewichtige Änderung erfahren. Statt nur einer Nische mit Türchen war neu ein Drehtabernakel vorgesehen. Dieser drehbare Zylinder ist auch im Grundriss wiedergegeben, wo die drei farblich voneinander abgesetzten Nischen im Zylinder gut erkennbar sind.
Die Altäre an ihrem alten Standort in Lengnau
Da der Auftrag 1828 an Josef Zipper ging und sich von seiner Altarumgestaltung im Lengnauer Pfarrarchiv keine Zeichnung erhalten hat, wissen wir nicht, wie die damalige Altarrenovierung in den Details ausgefallen ist.
Die letzten Fotos vor dem weitgehenden Neubau der Kirche (1976/77) zeigen die Altäre im Zustand des späten 19. bzw. des frühen 20. Jahrhunderts. 1888 wurde der Hochaltar von den Badener Malern Eugen und Johann Steimer frisch marmoriert und mit zwei neuen Altarbildern geschmückt. Das Hochaltarbild zeigte selbstverständlich den Kirchenpatron St. Martin. 1926 ergänzte die Firma Marmon & Blank, Wil SG, den Hochaltar um ein zweites Säulenpaar und geschnitzte Flankenornamente. In diesem Zustand präsentiert sich der Hochaltar auf einer Fotografie von 1972. Das 1926 beigefügte äussere Säulenpaar mit glatter Oberfläche ist ebenso zu sehen wie die geschnitzten Rankenornamente beidseits der Säulenpaare. Hingegen gehen die Vasenpaare beidseits der Apostelstatuen und im Auszug auf die Umgestaltung von 1828 zurück.
Die Lengnauer Altäre an ihrem neuen Standort in Attinghausen
In der Pfarrkirche St. Andreas in Attinghausen (vgl. Literatur) wurden die drei Altäre aus Lengnau 1980 anlässlich einer "Rebarockisierung" eingebaut. Da dort im Chorscheitel weniger Raum vorhanden war, konnte die kulissenartige Architektur mit den seitlichen Durchgängen nicht mehr verwendet werden. Die Barockskulpturen der Apostelfürsten Petrus und Paulus wurden in Attinghausen auf Wandkonsolen beidseits des Hochaltarretabels aufgestellt. Der Hochaltar erhielt andere Bilder, während die Seitenaltäre aus Lengnau mit den angestammten Bildern übernommen wurden. Das Hauptbild des Marienaltars (links) datiert von 1829 und ist eine 'Maria von Siege' des Zuger Malers Caspar Moos, wohingegen das Hauptbild des Kreuzaltars (rechts) eine vielfigurige Kreuzabnahme darstellt. Es handelt sich dabei um eine seitenverkehrte Kopie einer Kreuzabnahme von Peter Paul Rubens (gemäss Marion Sauter). Aus Lengnau übernommen wurde auch das Figuren-"Personal" der Lengnauer Seitenaltäre: beim Marienaltar die hll. Johannes d.T. und Johannes Ev., beim Kreuzaltar die hl. Verena sowie die hl. Anna selbdritt.
In der Sakristei der Pfarrkirche Lengnau hat sich das Hochaltarbild aus dem späten 19. Jahrhundert erhalten. Das von Eugen Steimer signierte, 1889 datierte Ölbild zeigt den Kirchenpatron in einer höchst populären Darstellung, wie er einem knienden Bettler ein paar Münzen gibt.
- Marion Sauter. Die Kunstdenkmäler des Kantons Uri, Band III. Schächental und unteres Reusstal (KdS 132). Bern 2017, S. 325–337.
- Artikel in der Aargauer Zeitung, 7.3.2020(öffnet in einem neuen Fenster)