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Ausgrabungen & Untersuchungen

Ein römischer Baukomplex an der Limmat

Blick aus der Luft auf die Grabungsstelle direkt an der Limmat.
Die Ausgrabungsstelle liegt direkt an der Limmat. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Im Vorfeld einer grossen Überbauung in Gebenstorf führte die Kantonsarchäologie eine 14-monatige Rettungsgrabung in zwei Kampagnen durch. Direkt an der Limmat liegt eine römische Siedlungsstelle. Die Reste davon waren ausserordentlich gut erhalten und belegen mehrere Grossbauten, die in engem Verhältnis zum Legionslager Vindonissa standen.

Schon beim Voraushub im Vorfeld der geplanten Grabung kamen auf der Bauparzelle zwischen Limmatstrasse und Vogelsangstrasse erste Mauerfundamente und römischer Bauschutt, sowie einzelne Funde zutage. Hier in Gebenstorf im "Steinacher", etwa 2,2 Kilometer vom römischen Legionslager in Vindonissa entfernt, ist eine Wohnüberbauung mit Tiefgarage vorgesehen. Noch vor Baubeginn dokumentierte die Kantonsarchäologie in einer 14-monatigen Rettungsgrabung die archäologischen Überreste, bevor sie neuem Wohnraum weichen müssen.

Extra Leugam – der Abstand zählt

Die Erdarbeiten betreffen eine archäologisch relevante Fläche von 3200 Quadratmetern. Hier wird das Terrain mehrere Meter tief abgetragen werden. Fundmeldungen seit dem 17. Jahrhundert und gezielte Untersuchungen der Kantonsarchäologie im Zeitraum von 2017 bis 2023 belegen in und um die betroffene Parzelle eine ausgedehnte römische Siedlungsstelle mit stellenweise gut erhaltenen Steinbauten. Unmittelbar westlich der betroffenen Parzelle lag vor 2000 Jahren ein antiker Friedhof mit Grabsteinen von in Vindonissa stationierten Soldaten. Wie ähnliche Konstellationen im Römischen Reich zeigen, wurden Siedlung und Gräberfeld von Gebenstorf in einem offenbar rechtlich verbindlichen Abstand – lateinisch extra leugam – zum zugehörigen Garnisonsort Vindonissa angelegt. Die Leuge ist eine römische Meile und entspricht 2,22 Kilometern und damit genau dem Abstand zwischen dem Legionslager und der Siedlungsstelle in Gebenstorf.

Baukomplex mit Speicher- oder Magazinbauten

Massive Mauerfundamente inmitten eines ausgehobenen Schnittes.
Die im Feldkurs 2019/2020 freigelegten Steinfundamente. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Bereits 2019 und 2020, als noch kein konkretes Bauprojekt vorlag, führte die Kantonsarchäologie ihren Feldkurs mit Freiwilligen im Steinacher in Gebenstorf durch. Dabei dokumentierten die Freiwilligen unter der Leitung der Kantonsarchäologie Mauern eines grossen Steinbaus, dessen Bauweise mit vorspringenden Strebepfeiler- und Pilasterfundamenten auf einen Speicher oder ein Magazin hinweisten. Denkbar war aber auch ein Monumentalbau mit administrativer Funktion. An Funden überwogen Amphorenscherben, die am ehesten an eine Art Umladestation unmittelbar südlich der Limmat denken liessen.

Rettungsgrabung in zwei Kampagnen

Drohnenaufnahme der abhumusierten Grabungsfläche.
Nach der Abhumusierung. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Die geplanten Baumassnahmen umfassen den tiefgreifenden Bauaushub für das Unter- und Erdgeschoss, Erdeingriffe für Werkleitungen und Anlagen, Abträge für Baustellen-Installationen und Terrainveränderung im Zuge der Umgebungsgestaltung. Dadurch werden die im Boden erhaltenen römischen Überreste zerstört, weshalb die Kantonsarchäologie gemäss gesetzlichem Auftrag die Flächen vorgängig wissenschaftlich untersuchte, dokumentierte und die Funde sicherte. Die Rettungsgrabung fand in zwei Grabungsetappen von April bis November 2024 und März bis Mai 2025 statt. Der Bauperimeter wurde Anfang Juni 2025 für den Neubau freigegeben, der Westteil sogar schon im Herbst 2024. Hier griffen Ausgrabung und Bauprojekt eng ineinander.

Eine "Plansiedlung" zwischen Reuss und Limmat

Visualisierung des römischen Legionslagers VIndonissa.
Die römische Siedlung Gebenstorf liegt am Bildrand rechts im Nebel. Visualisierung: ikonaut / Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Die Ausgrabung in Gebenstorf sicherte nicht nur die archäologischen Hinterlassenschaften, sondern ermöglicht auch einen Erkenntnisgewinn für die Geschichte von Vindonissa. Aus wissenschaftlicher Sicht ist nämlich der Komplex dieser "Plansiedlung" von grosser Bedeutung, da hier auf weitgehend ungestörtem Areal noch wesentliche Aussagen zur in der internationalen Forschung intensiv diskutierten Frage nach dem Verhältnis zwischen römischen Militärlagern und ihren Zivilsiedlungen gewonnen werden können.

Erste Erkenntnisse

Aufrecht stehende Fragmente von gelbem Wandverputz.
Durch die sensationellen Erhaltungsbedingungen konnten sowohl Teile der Stampflehmwände als auch der Wandmalerei in ihrem ursprünglichen Zustand dokumentiert und geborgen werden. Fotos Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Nach Abschluss der 14-monatigen Ausgrabung Ende Mai 2025 erfolgt die Nachbearbeitung der Grabungsdokumentation und die konservatorische Nachbearbeitung der geborgenen Kleinfunde bis im November 2025.

Erste Erkenntnisse zeigen, dass um die Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. das ursprünglich recht kupierte Baugelände mit grossem Aufwand eingeebnet und ein erster 30 x 20 Meter messender Grossbau in Holz-Lehmbauweise errichtet wurde. Die zugehörigen Funde lassen darauf schliessen, dass dieser erste Bau bereits die Funktion einer Lagerhalle hatte, in der Waren, transportiert über den Flussweg via die nahe Limmat, für das Legionslager in Vindonissa zwischenlagerten. Im Süden des Gebäudes wurde ein angebauter Raum mit Mörtelboden und vielfarbiger Wandmalerei freigelegt. Durch die ausserordentlich guten Erhaltungsbedingungen konnten sowohl Teile der Stampflehmwände als auch der Wandmalerei in ihrem ursprünglichen Zustand dokumentiert und geborgen werden.

Tausende Amphoren und gewichtige Einzelfunde

Ausgräberin legt Amphore frei.
Mehrere Tonnen von Amphorenscherben lagen zwischen den Grossbauten. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Die Funde unterstreichen die enge Verbindung der Fundstelle mit dem Warenhandel. Auf Abfallhalden zwischen den steinernen Grossbauten wurden mehrere Tonnen Scherben von Amphoren gefunden, den römischen Transportgefässen für Waren aus Italien, Südfrankreich und Spanien. Diese wurden nach ihrer Nutzung hier entsorgt. Der Fund von drei Stein- und zehn Bleigewichten für römische Waagen sowie zahlreiche Schreibgriffel verdeutlicht den Bezug zu Handel und Verwaltung.

Bauwerke für die Legionen?

Drohnenaufnahme der Ausgrabungsfläche.
Drohnenaufnahme am Ende der Ausgrabung. Die Mauerreste mehrerer langrechteckiger Grossbauten sind gut zu sehen. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Die Funde und Befunde von Gebenstorf-Steinacher lassen darauf schliessen, dass die in Vindonissa stationierten Legionen während rund 50 Jahren grosse Umschlaglager für die eigene Versorgung errichtet und betrieben haben. Der Abzug der 11. Legion um 101 n. Chr. führte schliesslich zur Aufgabe und kontrolliertem Abbruch der Gebäude bis auf die Fundamente. Der Platz südlich der Limmat wurde demnach bereits in römischer Zeit aufgegeben und geriet in den Jahrhunderten danach in Vergessenheit.

Die Resultate der Grabung eröffnen wichtige neue Erkenntnisse für das Legionslager Vindonissa und das römische Gebenstorf. Eine Filmdokumentation der Kantonsarchäologie über die 14 Monate dauernden Ausgrabungsarbeiten wird im Herbst 2025 erscheinen.