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Mai 2022

"Klima- und Energiepolitik sind nicht mehr zu trennen"

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Herr Regierungsrat Stephan Attiger, warum werden heute Klima- und Energiepolitik üblicherweise in einem Zug genannt?

Klima- und Energiepolitik sind tatsächlich nicht mehr voneinander zu trennen. Selbstverständlich gibt es ausserhalb der Energiethematik viele weitere Massnahmen im Bereich des Klimaschutzes und der Klimaanpassung – was wir als Kanton unternehmen, haben wir kürzlich mit der Publikation der kantonalen Klimastrategie und insbesondere unseres Massnahmenplans Klima aufgezeigt. Im Energiebereich kann man aber ganz klar sagen: Jede Massnahme schenkt ein, um unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Das beste Beispiel ist der Gebäudebereich, der zudem in der Kompetenz des Kantons liegt. Die Massnahmen bei den Gebäuden, insbesondere bei der Energieeffizienz und beim Heizungsersatz, schenken für das Erreichen der klima- und energiepolitischen Ziele besonders stark ein, da dieser Bereich für fast die Hälfte des Energieverbrauchs und für rund einen Viertel der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist. Deshalb setzen wir stark auf unser Förderprogramm Energie im Gebäudebereich. Dieses läuft erfreulicherweise so gut, dass der aktuelle Verpflichtungskredit für die Jahre 2021–2024 vorzeitig ausgeschöpft sein wird. Um die nahtlose und unverminderte Weiterführung des erfolgreichen Programms sicherzustellen, beantragt der Regierungsrat nun einen Zusatzkredit von 51,2 Millionen Franken, davon 17,1 Millionen Franken aus kantonalen Mitteln. Die öffentliche Anhörung läuft gerade und dauert bis am 5. Juni 2022.

Ist das Förderprogramm auch eine Antwort auf die kantonale Volksinitiative "Klimaschutz braucht Initiative!"?

Indirekt schon. Der Grosse Rat hatte die Initiative im Sommer 2021 zurückgewiesen und den Regierungsrat beauftragt, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. In der Folge hat das zuständige Departement Bau, Verkehr und Umwelt einen Runden Tisch "Energie" mit Vertretungen aller Fraktionen des Grossen Rats durchgeführt und zuhanden des Regierungsrats die weiteren Schritte in der Energiepolitik des Kantons festgelegt. Konkret basieren die vorgeschlagenen Massnahmen – mit dem Ziel der Dekarbonisierung, des Erhalts der Versorgungssicherheit und des Ausbaus erneuerbarer Energien – auf drei Säulen, die als Basis für den indirekten Gegenvorschlag des Regierungsrats zur Aargauischen Klimaschutzinitiative dienen.

Welches sind die drei Säulen?

Die erste ist der erwähnte Ausbau des Gebäudeprogramms. Der Zusatzkredit bildet den Kern des Gegenvorschlags. Das Förderprogramm nimmt den grössten Teil der Forderungen der Aargauischen Klimaschutzinitiative in Bezug auf die Förderung der energetischen Erneuerung von Gebäuden und die Rückführung der CO₂-Abgaben vom Bund an den Kanton auf. Das Ziel ist, den Zusatzkredit zum Gebäudeprogramm nach der Auswertung der Anhörung im dritten Quartal 2022 im Grossen Rat zu behandeln. Die zweite Säule ist die Teilrevision des kantonalen Energiegesetzes.

Diese wurde ja in einer Volksabstimmung im Jahr 2020 abgelehnt. Was ist neu am jetzigen Vorschlag?

Für unseren neuen Vorschlag haben wir die Erkenntnisse aus dem erwähnten Runden Tisch "Energie" berücksichtigt. Wir schlagen eine schlankere Revision mit Fokus auf den Heizungsersatz vor. Dabei soll nach wie vor auf ein Verbot fossiler Energieträger verzichtet werden, doch bei einem Heizungsersatz sollen künftig mindestens 10 Prozent der Energie durch erneuerbare Energien bereitgestellt werden. Das kann geschehen durch Effizienzmassnahmen, alternative Technologien oder durch die Beimischung von Biogas, falls etwa Erdgas verwendet wird. Zudem soll neu eine einfach anwendbare Härtefallregelung eingeführt werden, die Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer mit wenig Eigenmitteln entlastet. Anforderungen an die Eigenstromproduktion bei Neubauten werden ersatzlos fallen gelassen – hier setzen wir auf Eigenverantwortung: Mit den gestiegenen Energiepreisen wird der Eigenverbrauch des Stroms von der Photovoltaikanlage auf dem eigenen Dach nochmals attraktiver. Das Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) ist aktuell daran, eine Anhörungsvorlage auszuarbeiten – mit dem Ziel, die Teilrevision des Energiegesetzes in der zweiten Jahreshälfte 2022 im Grossen Rat zu behandeln.

Und die dritte Säule?

Das ist die Umsetzung unserer Solaroffensive. Die vom Grossen Rat beschlossene vertiefte Prüfung und das Testen von Massnahmen im Rahmen der Solaroffensive sollen einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung des Zubaus erneuerbarer elektrischer Energie leisten. Damit soll auf freiwilliger Basis das vorhandene Potenzial besser ausgeschöpft und somit auf eine gesetzliche Verpflichtung verzichtet werden. Um die Ziele der kantonalen Strategie energieAARGAU zu erreichen ist eine rasche, wirtschaftliche und effiziente Ausschöpfung des Solarpotenzials nötig – in erster Linie auf den Dächern der Gebäude im Kanton Aargau. Die vollständige Nutzung insbesondere von grossen Dächern steht dabei im Vordergrund. Um die vielfältigen Möglichkeiten des Photovoltaik-Ausbaus zu nutzen, wollen wir neben den gebäudegebundenen Anlagen bei Bestands- und Neubauten auch Anlagen im nicht-gebäudegebundenen Bereich prüfen und beanreizen – zum Beispiel entlang von Strassen oder auf Infrastrukturbauten.

Die energiepolitische Diskussion wird aktuell vom Thema der Stromversorgungssicherheit dominiert.*

Ja, und sie hat durch die geopolitischen Spannungen und die Suche nach Backup-Lösungen bei Strommangellagen zusätzliche Relevanz erhalten. Der Aargau als traditioneller Energiekanton will auch in dieser Frage im Rahmen seiner Kompetenzen eine aktive Rolle spielen – einerseits durch die konsequente Umsetzung unserer Energiestrategie energieAARGAU und der erwähnten drei Säulen unserer Energiepolitik. Andererseits will er die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, um diese grosse Herausforderung zu meistern. So sind wir zum Beispiel bereits aktiv geworden und haben die Ansaldo Energia Switzerland AG kontaktiert, die in Birr zwei Gasturbinen zu Testzwecken betreibt. Damit wollen wir Hand bieten zur Sicherung der Schweizer Stromversorgung.

Warum gerade diese Anlage?

Diese Anlage scheint mit ihrer guten Anbindung an das Strom- und Gasnetz und ihrer installierten Leistung gute Voraussetzungen für ein Spitzenlast-Gaskraftwerk mitzubringen. Falls der Bund eine Ausschreibung für ein solches Spitzenlast-Gaskraftwerk zur Sicherstellung der Netzsicherheit in ausserordentlichen Notsituationen startet, wollen wir als Kanton parat sein und bereits alle nötigen Abklärungen getroffen haben, beispielsweise in Bezug auf allfällige Richtplananpassungen.

Die Diskussion um die Versorgungssicherheit ist aber nicht wirklich neu.

Nein, der Kanton Aargau hat sie bereits mit dem Energie Trialog in den Jahren 2007–2010 sowie 2012–2013 erfolgreich initiiert. Dieser moderierte Dialog, unter anderem zur neuen Energiepolitik des Bundes, wurde mit Akteuren aus einem breiten Spektrum von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft geführt. Im Gegensatz zu einer politischen Arena, wo ein Schlagabtausch stattfindet, wird hier eben auch zugehört und gemeinsam eine "Wirklichkeit" modelliert. Wir wollen die Diskussion nun wiederaufnehmen.

In welchem Rahmen?

Wir organisieren am Dienstagabend, 28. Juni 2022, eine öffentliche Podiumsveranstaltung mit namhaften nationalen und kantonalen Exponenten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Veranstaltung mit dem Titel "Wie ist die Energiewende noch zu schaffen?" findet im Stapferhaus Lenzburg statt im Rahmen des Projekts "POWER AARGAU – ein Monat im Zeichen des Energiekantons Aargau".

*Dazu siehe auch das Interview mit Regierungsrat Stephan Attiger in der Ausgabe November 2021 dieses Newsletters: "Der Regierungsrat nimmt das Thema der Stromversorgungssicherheit sehr ernst".