INV-LEN916 Schulhaus Angelrain, 1902-1903 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


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Identifikation

Signatur:INV-LEN916
Signatur Archivplan:LEN916
Titel:Schulhaus Angelrain
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Lenzburg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Angelrain
Adresse:Angelrainstrasse 13
Versicherungs-Nr.:744
Parzellen-Nr.:489
Koordinate E:2655593
Koordinate N:1248775

Chronologie

Entstehungszeitraum:1902 - 1903
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:LEN917, 918
Nutzung (Stufe 1):Öffentliche Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Schulhaus
Epoche / Baustil (Stufe 3):Historismus

Dokumentation

Autorschaft:Theodor Bertschinger iun. (1875-1972), Baumeister, Lenzburg; Werner Büchli (1871-1942), Kunstmaler, Lenzburg (Fassadenbilder); Arnold Hünerwadel (1877-1945), Bildhauer, Lenzburg (Ausstattung)
Würdigung:1902/03 nach Plänen des Lenzburger Baumeisters Theodor Bertschinger errichtetes Schulhaus, das als palastartig gestalteter Grossbau noch ganz dem Historismus verpflichtet ist. Abgesehen von den später aufgestockten Seitentrakten vermittelt das streng axialsymmetrisch gegliederte Gebäude noch das ursprüngliche Erscheinungsbild mit dem kräftig gegliederten Mittelrisalit aus Sandstein und zwei Seitenflügeln. Der gepflegte künstlerische Schmuck stammt von zwei Lenzburger Künstlern, mit denen Bertschinger auch bei der Gestaltung diverser anderer Schulhausbauten zusammenarbeitete: Kunstmaler Werner Büchli schuf vier monumentale dunkeltonige Sgraffiti an der Westfassade sowie allegorische Kinderdarstellungen im Inneren, Bildhauer Arnold Hünerwadel Reliefs sowie einen Majolikabrunnen im Treppenhaus. Zusammen mit der wenig späteren, südwestlich gelegenen Turnhalle und dem südseitig anstossenden Bezirksschulhaus von 1929/30 (Bauinventarobjekte LEN917/918) bildet das Gebäude in seiner prominenten Lage auf einer Geländeterrasse über dem Aabach ein prägendes Ensemble von Schulbauten aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Das seit 1788 als Schulhaus genutzte ehemalige Hünerwadelsche Handelshaus (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN020) beherbergte alle Lenzburger Schulen, für welche die dortigen Räumlichkeiten im späteren 19. Jh. endgültig nicht mehr ausreichten [1]. In der durch die „Nationalbahntragödie“ angespannten Finanzlage der Stadt wurde der Bau eines neuen Schulhauses schliesslich durch Spenden einzelner Einwohner ermöglicht. Zum Bauplatz bestimmte man 1900 den Angelrain im Westen der Altstadt, wo sich ein Schwerpunkt der Neubautätigkeit abzeichnete. In einem Wettbewerb wurde das Projekt des Lenzburger Baumeisters Theodor Bertschinger iun. (1875-1972) gewählt, der in jenen Jahren in das Baugeschäft seines gleichnamigen Vaters eintrat und in den darauffolgenden Jahren in Lenzburg mit zahlreichen bemerkenswerten Bauten in Erscheinung trat [2]. Die Ausführung des Neubaus erfolgte 1902/03. Zwei Lenzburger Künstler waren wesentlich an der Ausstattung beteiligt: Kunstmaler Werner Büchli (1871-1942) schuf die grossformatigen Fassadenmalereien in Sgraffito-Technik an der Westfassade sowie Wandbilder im Treppenhaus [3], Bildhauer Arnold Hünerwadel (1877-1945) Terrakottareliefs am Äussern sowie Majolikadekorationen im Inneren [4].
Um 1950 wurde das Gebäude um ein Geschoss aufgestockt und der künstlerische Schmuck teilweise purifiziert. 1976 wurde erste Restaurierungsarbeiten an den Sgraffiti vorgenommen [5]. 1993 erfolgte eine Gesamtrenovation, wobei die Sgraffiti wie auch die Reliefs eine fachgerechte Restaurierung erfuhren. Weitere Kontroll- und Unterhaltsarbeiten an den Sgraffiti erfolgten 2002. 2015 wurden die Wandbilder von Büchli im Treppenhaus restauriert [6].
Beschreibung:Das Schulhaus erhebt sich in prominenter Lage auf einer Geländeterrasse oberhalb des Aabachs. Der wuchtige, streng axialsymmetrisch disponierte Baukörper, der aus einem beidseitig risalitierten Mitteltrakt sowie zwei Seitenflügeln besteht, wendet sich mit der Eingangsfront nach Osten zur gegenüberliegenden Altstadt. Auf die zur Entstehungszeit noch am Stadtrand gelegene Angelrainstrasse richtet sich die als Rückfront gestaltete Westfassade mit dem mächtigen Treppenhausrisalit, welche durch die grossformatigen Wandbilder aber ebenfalls eine repräsentative Gestaltung erhält. Der noch ganz dem Historismus verpflichtete Bau entspricht dem Typus eines städtischen Schulpalasts des ausgehenden 19. Jh. Er besass ursprünglich nur dreigeschossige Seitenflügel, die mit ihren flachen Walmdächern an den deutlich höheren, viergeschossigen Mitteltrakt stiessen; dieser war ehemals von einem zierlichen Dachreiter bekrönt. Bei der Aufstockung um 1950 wurden die beiden Seitenflügel bei ähnlicher Dachgestaltung annähernd auf die Trauflinie des Mitteltrakts erhöht; vom gleichen Umbau rührt die etwas ungelenke Fassadengestaltung im damals verbreiterten dritten Obergeschoss des westseitigen Treppenhausrisalits.
An der östlichen Längsseite wie auch den beiden Schmalseiten sorgen gekuppelte Rechteckfenster in neun auf drei streng regelmässig gesetzten Achsen für eine gute Belichtung der Schulzimmer. Der Baukörper ist mit Ausnahme der obergeschossig verputzten Seitenflügel als Hausteinbau aus Sandstein erstellt. Das von einem Gesimsband abgeschlossene, als Sockel gestaltete Erdgeschoss wie auch der gesamte dreiachsige Mitteltrakt sind mit rustiziertem Quadermauerwerk versehen. Die Fenster werden in den beiden ursprünglichen Obergeschossen durch Blendnischen zu vertikalen Bahnen zusammengefasst, wobei die Gewände wie auch die gefelderten Brüstungen aus Sandstein bestehen, während die trennenden Putzfelder als schmale Lisenen erscheinen. Die Blendnischen schlossen ursprünglich durchgehend stichbogig; an den verputzten Seitentrakten wurden sie später zur Rechteckform purifiziert. Das stadtseitige Portal wird von gefugten Pilastern gerahmt, auf denen zwei Terrakottareliefs von Bildhauer Arnold Hünerwadel das Lenzburger Jugendfest darstellen. Auf dem Schlussstein prangt das von einem Knaben und einem Mädchen getragene Lenzburger Wappen, auf dem Brüstungsfeld des zweiten Obergeschosses ein Relief mit der vergoldeten Widmung „unserer Jugend“, welches auf das in reformerischer Art kindgerecht gedachte Dekorationsprogramm des Inneren verweisen. Der Haupteingang bewahrt noch das bauzeitliche, zweiflüglige Türblatt mit Neorenaissance-Schnitzereien und schmiedeiserner Vergitterung.
An der Westfassade nehmen anstelle von Fensteröffnungen vier analog gestaltete Blendnischen die monumentalen, braun-schwarztonigen Fassadenmalereien von Werner Büchli auf. Diese zeigen in Sgraffitotechnik Darstellungen von „Tell“ und „Winkelried“ (am Nordflügel) sowie „Zwingli“ und „Pestalozzi“ (am Südflügel), wobei der noch im feuchten Zustand bearbeitete Kratzputz in einer vom Künstler perfektionierten Form nicht wie üblich aus zwei, sondern aus drei verschiedenfarbig pigmentierten Putzschichten aufgebaut ist und statt der helleren die dunkelste Schicht zuoberst liegt. Von der Besonderheit der technischen Ausführung, die hier auch noch auf die Lage an der Wetterseite nach Westen Rücksicht nehmen musste, berichtete Baumeister Bertschinger kurz nach Fertigstellung in einem vergleichsweise ausführlichen Artikel der „Bauzeitung“ [7]. Das letzte der vier Bildfelder ist „W. Büchly MDCCCCIV“ signiert. Sicherlich ebenfalls von Büchli stammende Dekorationsmalereien unter der ursprünglichen Dachkante, die in Jugendstilmanier über den Segmentbogennischen Laubwerk, auf den Putzlisenen geometrische Motive zeigten, wurden wohl beim Umbau um 1950 beseitigt. Die jetzige Bemalung ist eine Neuinterpretation von 1993.
Das Innere wird über das grosszügige westseitige Treppenhaus erschlossen, von dem in den Obergeschossen ebenfalls grosszügig dimensionierte Stichgänge seitlich abgehen. Die Treppe besitzt Granitstufen und noch das ursprüngliche Geländer; die Korridore sind mit Terrazzoböden versehen. Ein Prunkstück der Ausstattung ist ein ebenfalls von Hünerwadel geschaffener Nischenbrunnen, der Märchenfiguren in Majolikatechnik zeigt und in seiner Gestaltung an den Karlsruher Kunstgewerbler Max Läuger erinnert [8]. Gang und Singsaal im dritten Obergeschoss sind mit Wandmalereien von Werner Büchli ausgestattet, die in lünettenförmigen Bildfeldern allegorische Szenen mit Mädchen und Knaben bei verschiedenen schulischen Tätigkeiten – darunter auch beim Sport – zeigen (Inneres gemäss Kurzinventar 2002).
Der grosse Pausenplatz des Schulhauses wird heute gegen die Stadt hin von einer jünger Terrassenmauer gefasst; das stadtseitig anstossende Gelände ist durch die Überdeckung der Kernumfahrung stark umgestaltet. Südlich schliesst in annähernd gleicher Flucht das Bezirksschulhaus von 1929/30 (Bauinventarobjekt LEN918) an, nach Südwesten die nur kurz nach dem hier beschriebenen Schulhaus errichtete Turnhalle (Bauinventarobjekt LEN917).
Erwähnung in anderen Inventaren:- Stadt Lenzburg. Inventar der kommunal schutzwürdigen Gebäude, 1997 (BNO 1997, Anhang 1, Inventarliste), Nr. 2.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung, Erhaltungsziel A.
Anmerkungen:[1] Baugeschichte nach Neuenschwander 1994, S. 366-369 sowie Keller-Ris 1903, S. 93-95, mit ausführlicher Nennung der beteiligten Handwerker.
[2] Theodor Bertschinger iun. hatte am Technikum in Winterthur, in München sowie in Paris studiert, möglicherweise ohne formellen Abschluss. Nach seiner Studienzeit trat er in das Geschäft seines Vaters ein und übernahm dieses nach dessen Tod 1911 zunächst zusammen mit zwei Brüdern und ab 1917 alleine. Vgl. Lenzburger Neujahrsblätter, 1973, S. 34-36 (Nekrolog); Michael Hanak, Quartieranalyse Wolfsacker in Lenzburg, im Auftrag des Stadtbauamtes Lenzburg, 2015, S. 35 (Stadtbauamt Lenzburg); von seinen Bauten aus dem frühen 20. Jh. sind etwa das Gartenstadtquartier Lindenplatz (Bauinventarobjekt LEN951), das sog. „Türmlihaus“ (LEN929) oder der Schiessstand (LEN932) zu erwähnen. Weitere Schulhäuser von Theodor Bertschinger (wohl iun.) stehen in Staufen (1904/05, Bauinventarobjekt STA901), Rupperswil (1905/06, Bauinventarobjekt RUP905), Hallwil (1906, Kantonales Denkmalschutzobjekt HAW002), Hägglingen (1909/10, Bauinventarobjekt HAL901) und Othmarsingen (1911, Bauinventarobjekt OTH901).
[3] Von Werner Büchli (der sich selbst auch Büchly schrieb) stammen etwa Arbeiten am Schulhaus Rupperswil (1905/06, Bauinventarobjekt RUP905), an der Villa Seengerstrasse 12 in Boniswil (Kantonales Denkmalschutzobjekt BON002), in Lenzburg selbst u.a. am „Türmlihaus“ (Bauinventarobjekt LEN929) und am Haus Torgasse 2 (Vers.-Nr. 833). Neben Bertschinger, der mindestens zwei dieser Bauten realisierte, arbeitete Büchli insbesondere auch mit dem bedeutenden Brugger Architekten Albert Froelich zusammen, so in der Abdankungshalle Rosengarten in Brugg (Kantonales Denkmalschutzobjekt BRU037), im Krematorium Aarau (Kantonales Denkmalschutzobjekt AAR088), dem Vindonissa-Museum in Brugg (Bauinventarobjekt BRU914) oder dem Krematorium Sihlfeld in Zürich. Vgl. Attenhofer 1944; Maurer et al. 1988, S. 10; kunstbreite.ch.
[4] Zu Arnold Hünerwadel vgl. SIKART. Lexikon zur Kunst in der Schweiz: http://www.sikart.ch, Art. ‚Hünerwadel, Anton‘, 2015 (Zugriff 25.8.2017), mit weiterführender Literatur.
[5] Gemäss Restaurierungsbericht 1993 im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege.
[6] Restaurierungen begleitet durch die Kantonale Denkmalpflege; vgl. Restaurierungsberichte 1993, 2002, 2015 im Archiv der Kantonalen Denkmalpflege.
[7] Dem Grundmaterial, weissem Magnesia-Zement wurde gut gewaschener, getrockneter grauer Sand von feiner Körnung beigemischt, ausserdem in geringer Menge Kalkmehl (ungebrannt) und je nach der Schicht mehr oder wenig Farbe (Erdfarben in Pulverform). „Die angewandte Technik ist im Wesentlichen die des Sgraffito, mit dem Unterschied, dass man statt wie gewöhnlich zwei Schichten (die untere dunkel, die obere hell) hier deren drei herstellte, von denen die helleste ohne Farbzusatz zuunterst, darauf als Mittelton eine Schicht mit etwas Farbe und als dritte äussere Schicht noch ein dunklerer Ton aufgetragen wurde. [...] Der Untergrund auf dem Bruchsteinmauerwerk besteht aus rauhem Portlandzementverputz, auf den nach etwa vierzehntätiger Trockenzeit die farbigen Schichten aufgesetzt wurden“ (Bertschinger 1905, S. 129).
[8] Vgl. Crettaz Stürzel 2005, Bd. 2, S. 20.
Literatur:- Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. 19. und 20. Jahrhundert [Geschichte der Stadt Lenzburg, Bd. III], Aarau 1994 (auch erschienen als: Argovia, Bd. 106/1), S. 366-369.
- Edward Attenhofer, Werner Büchli (1871-1942), in: Lenzburger Neujahrsblätter 1944, S. 87-89.
- Art. ‚Büchli, Werner‘, auf: https://www.kunstbreite.ch/Kuenstlerwerdegaenge_aargau_buechli_werner.htm (Zugriff 25.8.2017).
- Hans Maurer et al., Lenzburg AG (Schweizerische Kunstführer, Nr. 429/430), Bern 1988, S. 10.
- Theodor Bertschinger, Die Sgraffito-Bilder am Schulhaus in Lenzburg, in: Schweizerische Bauzeitung, Bd. 45 (1905), S. 129f.
- Liebes altes Lenzburg, Fotos von anno dazumal, hrsg. von der Ortsbürger-Kommission Lenzburg und der Stiftung Pro Museum Burghalde Lenzburg, Lenzburg 1986, S. 84, 86f. (histor. Aufnahmen).
- Gruss aus Lenzburg. Vergangene Zeiten in Ansichtskarten, hrsg. von der Ortsbürgerkommission der Stadt Lenzburg und der Stiftung pro Museum Burghalde, Aarau 1996, S. 66f.
- Elisabeth Crettaz-Stürzel, Heimatstil. Reformarchitektur in der Schweiz 1896-1914, 2 Bde., Frauenfeld 2005, Bd. 2, S. 20 (verf. v. Edith Hunziker).
Quellen:- Kantonale Denkmalpflege Aargau, Denkmalschutzakten: Restaurierungsberichte 1993, 2002, 2015.
 

Related units of description

Related units of description:siehe auch:
DOK-LEN839.005 Angelrainstrasse 13, Schulhaus Angelrain (=LEN916), 1903 (Dossier (Dokumentationsobjekte))
 

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