INV-OBR901 Röm.-kath. Pfarrkirche St. Martin, 1939-1940 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-OBR901
Signatur Archivplan:OBR901
Titel:Röm.-kath. Pfarrkirche St. Martin
Bezirk:Baden
Gemeinde:Oberrohrdorf
Adresse:Ringstrasse 17
Versicherungs-Nr.:19
Parzellen-Nr.:528
Koordinate E:2666124
Koordinate N:1252394
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2666124&y=1252394

Chronologie

Entstehungszeitraum:1939 - 1940
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Sakrale Bauten und Anlagen
Nutzungstyp (Stufe 2):Kirche (röm.-kath.)
Epoche / Baustil (Stufe 3):Heimatstil

Dokumentation

Autorschaft:W. Meyer, Basel u. A. Gerster, Laufen
Würdigung:Nach Plänen der Architekten Gerster & Meyer 1939/40 errichteter Kirchenneubau, der von seinem abgebrochenen Vorgänger den gotischen Turm von 1565 wie auch einige Ausstattungsstücke übernahm. Das grossvolumige, kompakte Gebäude ist in einer zeittypisch konservativen Formensprache der 1930er Jahre gehalten. Mit dem umgebenden Kirchenbezirk nimmt es einen Geländesporn an der Hangkante gegen das Reusstal ein. Durch seine exponierte Lage bildet der Sakralbau nicht nur die Dominante im Ortsbild von Oberrohrdorf, sondern ist am Rohrdorferberg weithin sichtbar. Auf eindrückliche Weise repräsentiert er damit das kirchliche Zentrum der Region, das seine Vorgänger seit dem 11. Jahrhundert bildeten. Bemerkenswert ist die unter kantonalem Denkmalschutz stehende Ausstattung (Objekt OBR002), so die von den Brüdern Huttle geschaffenen klassizistischen Altäre von 1838-1840 samt vier Altarfiguren Gregor Allhelgs aus dem Jahr 1675, der kunstvoll bekleidete Reliquienleib des Heiligen Castorius im rechten Seitenaltar sowie die Schnitzarbeiten an den 1940 zugekauften Türflügeln des Hauptportals.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Zur Entstehung der Pfarrkirche von Oberrohrdorf liegen in der Literatur teilweise gegensätzliche Erklärungen vor [1]. Während ältere Darstellungen eine Gründung im 8. oder 9. Jh. vermuteten, geht Hoegger davon aus, dass die Kirche im 11. Jh. durch das Kloster Muri gestiftet wurde, das um 1100 einen Viertel des Kirchenzehnten von Oberrohrdorf bezog; erst im 13. Jh. hätte die Kirche zum elsässischen Kloster Murbach gehört. Meier hingegen sieht die Zugehörigkeit zu Murbach als primär und nimmt sie schon für das 11. Jh. als wahrscheinlich und für das 12. Jh. als gesichert an. Da Murbach unter der Vogtei der Habsburger stand und Muri von diesen gegründet wurde, stand der Rohrdorferberg jedenfalls im Einflussbereich des Adelsgeschlechts. 1413 vergabte Herzog Friedrich IV. die Kirche mit allen Rechten an das Spital in Baden, als dessen Nachfolger der Badener Stadtrat noch bis 1872 das Recht zur Einsetzung der Rohrdorfer Pfarrherren behielt. 1529-31 war die Gemeinde kurzzeitig reformiert. Erst im späteren 19. und frühen 20. Jh. lösten sich die Nachbargemeinden mit Filialkirchen von der Pfarrkirche in Oberrohrdorf, die bis dahin das kirchliche Zentrum des Rohrdorferbergs gebildet hatte [2].
Gesichert ist durch archäologische Grabungen bei den Abbrucharbeiten 1939/40, dass die bestehende Kirche zwei Vorgängerbauten hatte [3]. Beide lagen in deutlich kleineren Ausmassen praktisch achsengleich innerhalb der Grundfläche des bestehenden Baus (vgl. Grundriss mit archäologischen Befunden). Die ältesten Mauerreste gehörten zu einer romanischen Saalkirche mit eingezogenem Rechteckchor, bei der es sich nach Hoegger um die erste Rohrdorfer Kirche aus dem 11. Jh. handelte. Diese erhielt im 14. Jh. einen Turm, dessen Erdgeschoss bis heute erhalten ist. 1514/15 errichtete man im Winkel zwischen Turm und Schiff eine Ursuskapelle.1565 wurde das Kirchenschiff nach Westen verlängert und wohl im gleichen Zeitraum der Turm auf die heutigen Ausmasse mit vier Obergeschossen erhöht.
Unter dem Pfarrer und nachmaligen Dekan Matthias Feurer erfolgte in den Jahren 1638-1642 ein Neubau, welcher vom Vorgängerbau den Turm übernahm, im übrigen aber mit Rechteckschiff, eingezogenem Polygonalchor und der Stellung des Turms an der Chorflanke dem üblichen Typus spätgotischer Landkirchen entsprach. Ebenfalls der Initiative Feurers war es zuzuschreiben, dass die Kirche 1652 von Papst Innozenz X. den Reliquienleib des Katakombenheiligen Castorius erhielt.1750 wurde das Innere barockisiert, in der ersten Hälfte des 19. Jh. praktisch die gesamte liturgische Ausstattung in klassizistischen Formen ersetzt, u.a. mit den von den Brüdern Michael und Jodok Huttle geschaffenen, heute noch bestehenden Altären. 1863 erhielt der Kirchenbezirk im Zusammenhang mit einer Erneuerung des Friedhofs und der Anlage der Ringstrasse seine bestehenden Terrassenmauern aus grossen Granitquadern [4]. 1876-78 wurde der Kirchenbau unter der Leitung von Architekt L.J. Sutter-Meyer, Luzern, zunächst im Inneren, 1879-82 auch am Äusseren neugotisch überformt.
Nachdem ein 1912 gegründeter Kirchenbauverein die notwendigen Gelder gesammelt hatte, wurde das Vorhaben eines Kirchenneubaus in den 30er Jahren aktuell [5]. Aus Projektvorschlägen, die von verschiedenen Architekten aufgrund mündlicher Besprechungen eingereicht worden waren, wählte die Kirchenpflege jenen der Architekten W. Meyer, Basel, und A. Gerster, Laufen. Ausdrücklich nannte man dabei die von diesen kurz zuvor errichtete Pfarrkirche von Oberbuchsiten SO als Vorbild. 1938 beschloss die Kirchgemeindeversammlung die Ausführung des Neubaus, worauf von Seiten der Schweizerischen Gesellschaft für Erhaltung historischer Kunstdenkmäler (heute Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK) wie auch aus lokalem Umfeld Protest gegen die Zerstörung der alten Kirche laut wurde. Um die geforderte Erhaltung des Chors zu ermöglichen, arbeiteten die Architekten eine oktogonale Projektvariante aus, die allerdings als „Synagoge“ verunglimpft und abgelehnt wurde. Mit der Zustimmung des Bischofs entschied man sich für das Projekt des Längsbaus, das nur den Turm bewahrte, gleichzeitig aber eine ganze Reihe von Ausstattungsstücken des Vorgängerbaus übernahm. Nachdem die alte Pfarrkirche im August 1939 abgebrochen worden war, wurde der Neubau in einer Bauzeit von nur 14 Monaten fertiggestellt und im Sommer 1940 geweiht.
1955 erhielt die Kirche ein neues Geläute. 1966 wurde ihre Ausstattung unter kantonalen Denkmalschutz gestellt (Objekt OBR002). Ab 1984 erfolgte eine Gesamtrenovation zunächst im Inneren und anschliessend 1987 am Äusseren, wobei man auf einen zunächst diskutierten neuen Turmabschluss mit Schweifdach schliesslich verzichtete (Architekten Joseph und Gabriel Wey, Sursee). 2012/13 wurden Restaurierungsarbeiten an Ausstattungsstücken vorgenommen.
Beschreibung:In weithin sichtbarer Lage nimmt die Pfarrkirche von Oberrohrdorf zusammen mit dem Pfarrhaus (Kantonales Denkmalschutzobjekt OBR001) einen Geländesporn an der Hangkante gegen das Reusstal ein. Mit dem im Vergleich zu den beiden Vorgängerbauten umso mächtigeren, aber achsengleich gerichteten Volumen füllt der geostete Längsbau praktisch den gesamten, gegen den Abhang hin von Terrassenmauern gefassten Kirchenbezirk aus. Seine über eine steile Freitreppe erschlossene Westfassade erhebt sich hoch über der alten Strasse von Niederrohrdorf, während sich der Chor dem auf der flacheren Geländeterrasse ausgebreiteten Dorfkern mit der Ringstrasse zuwendet.
Der in einer konservativen Formensprache der 1930er Jahre gehaltene kompakte Baukörper liegt unter einem geraden Satteldach, das mit leichtem Knick über die Seitenkapellen hinabgeschleppt ist, während es über dem Chor polygonal abgewalmt ist. Der vom Vorgängerbau übernommene Turm steht in der chorwärts gerichteten Hälfte der nördlichen Kirchenschiffwand. In der Westfassade öffnet sich eine in den Baukörper einspringende dreiachsige Vorhalle, welche das Hauptportal der Kirche beschirmt (s.u.) und sich mit ihren Rundbogenarkaden über Quadratpfeilern erhebt. In der darüber liegenden, ansonsten schmucklosen Fassadenzone sind auf Konsolen Kunststeinfiguren vom Vorgängerbau aufgestellt, die 1881 von Eduard Müller geschaffen worden waren [6]. Am Neubau von 1940 flankierten sie zunächst in noch höherer Position das grosse Okulusfenster; sie wurden erst mit dem Umbau von 1987 tiefer gesetzt und mit einem Vordach versehen. Weitere Figuren aus derselben Gruppe sind in der Vorhalle aufgestellt. Die Seitenfassaden des Längsbaus werden von hohen Stichbogenfenstern rhythmisiert. An der Südseite liegt der Seiteneingang, der mit seiner Lage zum Dorf hin als eigentlicher Haupteingang dient.
Der Turm bewahrt in seinem Sockelgeschoss noch das Mauerwerk des 14. Jh., während seine durch Gesimsgurten abgetrennten vier Obergeschosse einer baulichen Erweiterung um 1565 entstammen sind. Das Glockengeschoss erhielt seine heutige Form mit den über die Schallfenster gelegten grossen Zifferblättern und dem knappen Käsbissendach beim Kirchenneubau von 1939/40; zuvor zeigte es an den Schallfenstern dieselben neugotischen Zierformen wie die alte Pfarrkirche und wurde von einem gotisierenden Treppengiebel abgeschlossen. Nachdem die Eckquader 1939/40 in zeittypisch „rustikaler“ Weise freigelegt worden waren, erhielt der Turm 1987 wieder einen durchgehenden Verputz mit einer in seine Entstehungszeit passenden Eckquadermalerei. Gleichzeitig fasste man in formaler Übereinstimmung mit dieser Bemalung auch die Gebäudekanten des zuvor einheitlich hell verputzten Kirchenschiffs durch eine aufgemalte Lisenengliederung. Schliesslich wurden die am Turm unter der südlichen und der nördlichen Schallöffnung aufgemalten Wappen des Spitals Baden und der acht Alten Orte nach stark verblassten Spuren erneuert.
Das bemerkenswerte Westportal der Kirche wird von einem teilweise erneuerten Rundbogengericht gefasst, das aus dem Vorgängerbau von 1639 stammt und dessen Doppelkehle und Wulst über einem akanthusgezierten Voluten ansetzen. Eine ausgesprochen qualitätvolle, durch ihren Formenreichtum auffallende Arbeit sind die zwischen Manierismus und Frühbarock stehenden, aus Eichenholz geschnitzten Türflügel, die 1940 in Sursee erworben wurden. „Die vom Boden bis ins Tympanon reichende, dessen einbeschriebenen Spitzgiebel durchbrechende Mittelleiste ist durchsetzt von blattförmig auslaufenden Voluten, Kartuschen, von Bandwerk und einem Cherubshaupt. Beidseitig verteilen sich rechetckige und geohrte, giebelbesetzte Kassetten, die von Groteseknmotiven und kräftig gebildeten Fratzen, Engelsköpfen, Obelisken und von Rollwerk belebt werden.“ [7]
Das Innere zeigt sich als geräumige Hallenkirche, deren schmale Seitenschiffe von weiten Rundbogenarkaden abgetrennt werden. Das breite Mittelschiff wird von einer hölzernen Längstonne abgeschlossen, die mit ihrer stark geometrisierten Kasettierung an die zeitgenössisch sehr bekannte, allerdings in Beton ausgeführte Decke der Antoniuskirche von Karl Moser in Basel erinnert. An der Westwand liegt über der in den Raum einspringenden Vorhalle die Orgelempore. Akzentuiert wird der bereits ursprünglich einheitlich weisse Innenraum durch die in Laufener Kalkstein ausgeführten, quadratischen Doppelpfeiler wie auch die vom Vorgängerbau übernommene Ausstattung (Ausstattung unter kantonalem Denkmalschutz: Objekt OBR002).
Die drei klassizistisch geformten Altäre wurden von den Brüdern Michael und Jodok Huttle geschaffen. Das streng geformte, schwarz-grau-rot marmorierte Hauptretabel von 1840 wird von vier Altarfiguren Gregor Allhelgs vom Hochaltar von 1675 begleitet; das Hauptblatt ist eine Kopie nach einer Darstellung des Heiligen Martin von Rubens aus dem Jahr 1987 und ersetzte ein Gemälde mit gleichem Thema. Die Seitenretabel wurden noch zwei Jahre vor dem Hauptretabel 1838 geschaffen und entsprechen diesem bei geringerer Grösse in ihrer Gliederung. Der rechte Seitenaltar enthält im verglasten Sockel den Reliquienleib des Katakombenheiligen Castorius, der eine reiche, um 1750 im Kloster Gnadenthal gefertigte rotsamtene Soldatentracht mit aufwendigem Rokokodekor trägt. An der Kante des Turmschafts ist die klassizistische Ovalkanzel angebracht, die wohl ebenfalls den Brüdern Huttle zuzuschreiben ist. In einer nördlichen Seitenkapelle steht das Säulenretabel aus der ehemaligen Ursuskapelle von 1769. Im Chorbogen ist seit 1984 eine Kreuzigungsgruppe aufgestellt, die zuvor am Blendbogen der Turmwand angebracht war. Die künstlerisch bemerkenswerten Assistenzfiguren können vielleicht dem in Baden tätigen Bartholomäus Cades zugeschrieben und in die 1620er oder 30er Jahre datiert werden; der ähnlich zu datierende Kruzifixus hingegen wurde 1960 aus dem Kunsthandel erworben. Bemerkenswert ist auch der Kirchenschatz [8].
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), lokale Bedeutung.
- ICOMOS. Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Oberrohrdorf 4037-1/2 (ehem. Friedhof und Kirchhof).
Anmerkungen:[1] Vgl. Hoegger Kdm AG VI 1976, S. 436f.; Meier S. 24-26, beide mit Verweis auf die ältere Literatur.
[2] Vgl. Hoegger Kdm AG VI 1976, S. 436f.; Roca 2011, S. 130.
[3] Baugeschichte der Vorgängerbauten nach Hoegger Kdm AG VI 1976, S. 437-441.
[4] Meier 1980, S. 51f.
[5] Vgl. zum Neubau von 1938-1940 Furter 2011, S. 240-243 sowie Festschrift 1940.
[6] Zu diesen wie auch den folgenden, vom Vorgängerbau übernommenen Elementen siehe Hoegger Kdm AG VI 1976, S. 441-444.
[7] Ebd., S. 442.
[8] Vgl. Hoegger Kdm AG VI 1976, S. 444-447.
Literatur:- Anton Egloff, Der Heilige Castorius von Rohrdorf, Freiburg i.Ü. 1952.
- Festschrift zur Einweihung der neuen Martinuskirche in Rohrdorf, Baden 1940.
- Fabian Furter / Martin Handschin / Miriam Rorato: Drei Gemeinden, eine Geschichte. Die grossen Schritte von 1850 bis zur Gegenwart, in Fabian Furter et al., Rohrdorferberg. Geschichte von Niederrohrdorf, Oberrohrdorf und Remetschwil, Niederrohrdorf, Oberrohrdorf, Remetschwil 2011, S. 154-325, hier S. 240-243.
- Peter Hoegger, Baden, Ennetbaden und die oberen Reusstalgemeinden (Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Band VI), Basel 1976, S. 437-447.
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 116.
- Bruno Meier, Leben und Wirtschaften im Amt Rohrdorf. Von der Urzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Fabian Furter et al., Rohrdorferberg. Geschichte von Niederrohrdorf, Oberrohrdorf und Remetschwil, Niederrohrdorf, Oberrohrdorf, Remetschwil 2011, S. 18-77, hier S. 24-26 u. 53-55.
- Hans Meier, Rohrdorf. Land und Leute im Wandel der Zeit, Oberrohrdorf 1980, S. 51-64.
- Otto Mittler, Zur Baugeschichte der alten Kirche in Rohrdorf, in: Badener Neujahrsblätter 1940/41, S. 52-67.
Quellen:- Unterschutzstellungs- und Restaurierungsakten im Archiv der Denkmalpflege
 

Related units of description

Related units of description:siehe auch:
DSI-OBR002 Ringstrasse 17, Röm.-kath. Pfarrkirche, Ausstattung, Keine Angabe (Dossier (Denkmalschutzinventar))
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=44262
 

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