INV-BIW907 Villa Steiner, 1846 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-BIW907
Signatur Archivplan:BIW907
Titel:Villa Steiner
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Birrwil
Adresse:Obere Wanne 37
Versicherungs-Nr.:37
Parzellen-Nr.:1715
Koordinate E:2657320
Koordinate N:1237657
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2657320&y=1237657

Chronologie

Entstehungszeitraum:1846
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:BIW921
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa

Dokumentation

Würdigung:Villenartiges Fabrikantenwohnhaus biedermeierlicher Prägung, das 1846 für die Gebrüder Rudolf und Jakob Nussbaum, die Besitzer der Baumwollspinnerei und Färberei in der Oberen Wanne, errichtet wurde. Das stattliche Gebäude hat sein äusseres Erscheinungsbild mitsamt der parkähnlichen Umgebung vollumfänglich bewahrt, ebenso die innere Raumordnung und wertvolle Teile der historischen Ausstattung. Die grosszügigen Verhältnisse bezeugen die Wohlhabenheit und den kulturellen Anspruch der wirtschaftlich und gesellschaftlich einflussreichen Fabrikantenfamilien Nussbaum und Steiner in Birrwil. Zusammen mit dem nordöstlich gelegenen älteren Wohnhaus aus der Zeit um 1800 (Bauinventarobjekt BIW921) bildet es den markanten südlichen Auftakt des Industrieareals und setzt zudem wichtige ortsbauliche Akzente.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Gemäss Eintrag im Brandkataster wurde das Haus 1846 als "Fabrikations- und Wohngebäude, zwei Stock hoch, von Stein mit Ziegeldach und drei gewölbten Kellern" erstellt und mit einer für damalige Verhältnisse ausgesprochen hohen Summe von 11'000 Franken versichert [1]. Als Bauherren verzeichnet sind Samuel Nussbaum (1802-1872) und Rudolf Nussbaum (1809-1890), die beiden Söhne von Jakob Nussbaum (1770-1821), dem Begründer der Baumwollspinnerei und Färberei auf der Oberen Wanne (vgl. Bauinventarobjekt BIW921). Zu dieser Zeit führten die beiden Brüder zusammen mit Schwager Jakob Steiner-Nussbaum das expandierende Textilunternehmen. Die am südlichen Rand des Grundstücks angeordnete Villa mit grosszügiger Gartenanlage war in Ergänzung zum alten Wohnhaus als repräsentativer Wohnsitz und als Comptoir gedacht [2].
Ab 1879 führte Rudolf Nussbaum, welcher mit der Tochter des Rupperswiler Baumwollindustriellen Hermann Bebié verheiratet war, den Betrieb allein weiter, nach wie vor aber unter dem Namen "Jakob Nussbaum's Söhne". Seine Tochter Seline heiratete 1878 Emil Steiner (1848-1918), Fabrikant im Wilhof. Das Ehepaar nahm Wohnsitz in der Oberen Halde und stattete das Haus vermutlich noch in den 1870er Jahren mit zeitgemässem Interieur neu aus. Von ihnen erhielt die Liegenschaft auch die Bezeichnung "Villa Steiner".
Nach dem jüngsten Besitzerwechsel fand zwischen 2012 und 2015 eine umfassende Aussenrenovation statt. Im Innern wurden die technischen Installationen erneuert und bauliche Veränderungen in Küche und Bad vorgenommen [3].
Beschreibung:Die "Villa Steiner" wurde unmittelbar gegenüber dem älteren Fabrikantenwohnhaus Obere Wanne 39 (Bauinventarobjekt BIW921) traufständig an die alte Verbindungsstrasse nach Reinach gestellt. Das von einer grosszügigen, parkartigen Gartenanlage umgebene Fabrikantenwohnhaus präsentiert sich als langgestreckter biedermeierlicher Mauerbau unter geradem, nur knapp vorspringendem Satteldach, das noch über die originale Biberschwanzeindeckung verfügt. Ein hoher Gebäudesockel, welcher die mächtigen Gewölbekeller enthält, sowie ein zusätzlicher Kniestockaufbau verleihen dem an sich zweigeschossigen Baukörper einen auffällig grosszügigen Charakter. Die nach Osten zur Strasse gewandte Hauptfassade ist streng symmetrisch gegliedert. Eine fünfachsige Mittelpartie mit regelmässig gesetzten Einzelfenstern wird flankiert von zwei leicht vorkragenden Eckrisaliten mit Giebeln und Zwillingsfenstern, die mittels durchlaufender Trauflinie in die Fassade eingebunden sind. Das vertikale Element betonen in den Fensterachsen angeordnete kleinere Lichtöffnungen im Sockelbereich und auf Kniestockhöhe. Den Hauptakzent der Schaufassade setzt in zentraler Stellung ein grosszügiger zweiläufiger Treppenaufgang mit Stufen aus Muschelkalk und Eisengeländer in zierlichen spätklassizistischen Formen. Ein von toskanischen Säulen getragener Balkon mit gleichermassen bauzeitlichem Geländer bildet einen auffälligen Portalvorbau. Die steinernen Fenstergewände sind an dieser Repräsentationsseite mit profilierten Bänken und teilweise mit Gesimsbekrönungen ausgestattet.
Im Vergleich zur Hauptfront ist die rückwärtige Westfassade sichtbar einfacher, im Stil eines klassizistischen Fabrikgebäudes gehalten; die Fenster verfügen hier lediglich über einfache Steingewände mit Blockgesimsen. Die beiden Stirnseiten wurden mit jeweils vier Fensterachsen, hohen Rundbogenlichtern sowie einer Lünette im Giebelfeld streng symmetrisch durchgestaltet. Angeblich sollen die Öffnungen im nördlichen Giebelfeld einst für den Warenaufzug benutzt worden sein. Der südlichen Stirnseite vorgelagert ist eine um die Jahrhundertwende angefügte zweigeschossige Veranda, die auf Gusseisensäulen abgestützt ist und ein neubarockes Eisengeländer mit geometrisiertem Rankenwerk zeigt.
Die innere Erschliessung erfolgt über einen quer zum First verlaufenden Mittelgang mit Kellerabgang und steinerner Treppe ins Obergeschoss, die mit Muschelkalkstufen ausgelegt und mit einem kunstvollen, den gehobenen Wohnansprüchen entsprechenden Gusseisengeländer ausgestattet ist. Der südseitige Hausteil war im Erdgeschoss seit jeher zu Wohnzwecken bestimmt; er weist denn auch eine gängige Viererteilung mit Stube und Nebenstube an der östlichen Schauseite sowie Küche und Hinterstube im rückwärtigen Bereich auf. Demgegenüber enthielt der nördliche Hausteil früher Lager- und Verwaltungsräume. Hier findet sich denn auch ein langgestreckter, ursprünglich mit einer Schiebewand unterteilbarer Saal, dessen Zweckbestimmung nicht eindeutig geklärt ist. Das Obergeschoss verfügt über einen zentralen Längsflur, um den eine Vielzahl von Zimmern angeordnet ist. Gegenüber dem rückwärtig gelegenen Treppenhaus befindet sich der als "Salon" bezeichnete Hauptraum, welcher sich über die drei mittleren Fensterachsen der Ostfassade erstreckt. Giebelseitig schliessen mehrere mittels Kachelöfen beheizbare Räume an, so dass sich insgesamt ein sehr grosszügiges Raumprogramm ergibt. Gleichermassen grosszügig präsentieren sich die Kellerräume. Der äussere Zutritt erfolgt über einen Kellerhals unter dem östlichen Hauseingang, der auf einen gewölbten Kellermittelgang führt. Unter der gesamten südlichen Haushälfte erstreckt sich ein gewaltiger Kellerraum mit vier Kreuzgratgewölben, die im Zentrum von einem mächtigen Pfeiler abgefangen werden. Die Fläche der nördlichen Gebäudehälfte nehmen zwei zusätzliche, in Firstrichtung verlaufende Gewölbekeller ein.
Das Hausinnere zeigt eine überaus vielfältige und qualitätvolle Einrichtung, die mit ihrer zierlichen biedermeierlichen Formensprache teilweise noch in die Bauzeit weist und durch wertvolle Ausstattungselemente aus den 1870er Jahren und aus der Zeit um 1900 ergänzt wird. Hervorzuheben ist das originale Treppenhaus mit sorgfältig gefügten Muschelkalkstufen und gusseisernem Staketen-Geländer. In den Wohnräumen haben sich Plattenböden aus Sandstein, Stuckdecken mit rautenförmigem Spiegel und Medaillon, Parkettböden und Wandtäfer teils mit Holzimitationsmalereien erhalten. Verschiedene Öfen – schlichte klassizistische mit weissen Kacheln, ein weisser Zylinderofen, ein historistischer Ofen mit grünen Reliefkacheln sowie braune und grüne Öfen aus der Zeit um 1900 – tragen zur lebendigen Vielfalt der Räume bei. In einem Zimmer des Obergeschosses hat sich eine qualitätvolle historistische Tapete mit orientalisierendem Muster erhalten, welche mit dem Stuckspiegel eine harmonische Einheit bildet [5].
Einen zusätzlichen Wert erhält die Liegenschaft durch die parkähnliche Umgebung mit Brunnenanlage und originaler schmiedeeiserner Einfriedung. Die rund um das Haus sich erstreckenden Grünflächen sind – für Villenanlagen im 19. Jh. typisch – arboretumartig mit einem vielfältigen Bestand von einheimischen und exotischen Nadel- und Laubbäumen bepflanzt.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), Einzelelement, Erhaltungsziel A.
- ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Birrwil 4132-2.
Anmerkungen:[1] Staatsarchiv Aargau, BA.05/0068, CA.0001/0225-0227: Brandkataster Gemeinde Birrwil, 1829-1938. Vgl. auch Birkner 1998, S. 3-4.
[2] Zur Familien- und Firmengeschichte vgl. Hintermann 1985, S. 69-70; Pfister 1968, S. 72; Birkner 1998, S. 5-7.
[3] Mündliche Auskunft Hauseigentümer (2016).
[4] Birkner 1998, S. 5.
[5] Anhand eines hinterklebten Zeitungspapiers konnte die Tapete ins Jahr 1871 datiert werden. Darunter wurden noch Spuren einer biedermeierlichen Vorgängertapete aus der Bauzeit des Hauses gefunden. Vgl. Birkner 1998, S. 6, 21.
Literatur:- Othmar Birkner. Villa Steiner, Obere Wanne 37, Birrwil – Gutachten zuhanden der Denkmalpflege Kanton Aargau, August 1998 (Typoskript).
- Willi Hintermann, Birrwil 1185-1985, eine kleine Dorfgeschichte, Birrwil 1985.
- Willy Pfister, Rupperswil, Vom alten zum neuen Dorf seit 1800 (Ortsgeschichte Band III), Rupperswil 1968.
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 54.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, BA.05/0068, CA.0001/0225-0227: Brandkataster Gemeinde Birrwil, 1829-1938.
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=30762
 

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