INV-LEN952 Villa Kulmerweg 3, 1912 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-LEN952
Signatur Archivplan:LEN952
Titel:Villa Kulmerweg 3
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Südosten (2016)
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Lenzburg
Adresse:Kulmerweg 3
Versicherungs-Nr.:869
Parzellen-Nr.:1733
Koordinate E:2655573
Koordinate N:1248367

Chronologie

Entstehungszeitraum:1912
Grundlage Datierung:Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Einzelobjekt
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa
Epoche / Baustil (Stufe 3):Heimatstil

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2017

Dokumentation

Autorschaft:Brenner & Stutz (Albert Brenner, 1860-1938, und Walter Stutz, 1878-1955), Architekten, Frauenfeld
Würdigung:In Heimatstilformen gestaltete, grosszügig angelegte Villa, die 1912 von den Architekten Brenner & Stutz in Frauenfeld für Carl Brodmann-Hegi erbaut wurde, Teilhaber der später in der Hero aufgegangenen Wurstwarenfabrik. Von seinen Architekten, die in Lenzburg durch weitere bemerkenswerte Bauten in Erscheinung traten und in ihrer Heimat eine grosse Bekanntheit genossen, wurde das Gebäude in seiner äusseren Erscheinung als zweigeschossiger verputzter Mauerbau mit Krüppelwalmdach samt Ründegiebeln im Sinn des damals modernen Heimatstils gestaltet; im Inneren besitzt es eine bemerkenswerte Ausstattung in stilistisch etwas älteren Historismusformen. Es ist aussen wie innen weitgehend intakt im bauzeitlichen Zustand erhalten, wodurch ihm ein hoher Zeugenwert für die gehobene Wohnkultur der Zeit um 1900 zukommt. Mit seiner weithin sichtbaren Lage über dem linken Aabachufer kommt dem hochaufragenden Gebäude auch ein erheblicher Situationswert zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die Villa wurde gemäss Angabe im Brandkataster 1912 für Kaufmann Carl Brodmann-Hegi erbaut, Teilhaber der Wurst- und Fleischwarenfabrik, die 1917 von der Hero aufgekauft wurde [1]. Die Pläne stammten nach ungesicherten, aber plausiblen Angaben von Brenner & Stutz in Frauenfeld, einem im Thurgau sehr bekannten Architekturbüro, das ab 1906 für die damals mit der „Hero“ fusionierte Konservenfabrik Frauenfeld und in der Folge ab 1909 für die „Hero“ und deren Gründer auch verschiedene andere Wohn- und Fabrikgebäude in Lenzburg sowie später das Bezirksschulhaus realisierte [2]. Die Möbel des Salons und vielleicht auch die feste Ausstattung stammten von der Basler Firma Zehnle & Bussinger [3]. Die Ausstattung soll angeblich in Zweitverwendung hier eingebaut worden sein und könnte folglich um wenige Jahre älter sein als das Haus selbst. Um 1920/30 wurde im Obergeschoss eine zusätzliche Küche eingerichtet.
Bis heute hat das Haus mitsamt seiner festen Ausstattung nur in sehr geringem Mass Veränderungen erfahren. Ein Teil des Mobiliars gelangte 2011 an das Schweizerische Nationalmuseum [4].

Nachtrag Febr. 2018:
Im Stadtbauamt Lenzburg konnten die Baupläne der Villa von 1911 aufgefunden werden, womit die Urheberschaft von Brenner & Stutz gesichert ist.
Beschreibung:Die Villa ist als grosszügig dimensionierter Heimatstilbau an den Rand eines grossen, nordseitig vom Kulmerweg flankierten und nach Osten hin abfallenden Gartengrundstücks gestellt. Gegenüber der Strasse leicht erhöht, beherrscht sie damit weithin sichtbar die Silhouette über dem linken Aabachufer. Der zweigeschossige verputzte Mauerbau erhebt sich auf annähend quadratischem Grundriss über einem hohen, talseitig freiliegenden Kellersockel. Er wird von einem hohen Krüppelwalmdach mit markantem Knick und Berner Ründegiebeln abgeschlossen, das beidseitig analog gestaltete Quergiebelaufbauten besitzt und dem Gebäude ein behäbig-traditionelles Aussehen verleiht. Die mit einem Besenwurf-Verputz versehenen Fassaden sind mit Ausnahme der zum Kulmerweg gerichteten nördlichen Traufseite zweiachsig mit Einzelfenstern besetzt und mit unterschiedlich gestalteten Vorbauten akzentuiert. Die Einzelfenster haben zeittypisch breite Proportionen und werden von rechteckigen Kunststeingewänden gerahmt, die teils noch die bauzeitlichen, teils erneuerte hölzerne Jalousieläden tragen. Die ebenfalls mit Kunststeinelementen gestalteten Vorbauten besitzen noch die bauzeitlichen hölzernen Rollläden. Durchgehend erhalten sind die bauzeitlichen Fensterflügel mit zeittypisch vertikal gesprossten Obstücken sowie die weniger eng gesprossten Vorfenster.
Als Hauptschauseiten treten in der Fernsicht über Eck die hangabwärts gerichtete östliche Stirnseite und die südliche Trauffassade in Erscheinung, die beide mit polygonal gebrochenen Vorbauten akzentuiert sind. Nach Osten wendet sich ein fünfseitig gebrochener, weitgehend verglaster Standerker, der im Obergeschoss einen Balkon trägt, nach Süden ein doppelgeschossiger, dreiseitig gebrochener Erkerrisalit; darüber sitzt im Dach ein doppelgeschossiges Zwerchhaus. An der westlichen Stirnseite tritt das Treppenhaus als flacher Segmentbogenrisalit in Erscheinung, der von einem geschweiftem Blechhelm abgeschlossen wird. Der Hauseingang liegt an der zum Kulmerweg gewandten, architektonisch als Rückseite behandelten nördlichen Traufseite und nimmt hier den einspringenden Winkel zwischen dem Hauptbaukörper und einem asymmetrisch angeordnetem Quergiebelrisalit mit den Küchen ein. Die Giebelründen sind mit einer vertikalen Verbretterung verschalt, die auf zierbeschnitzten Bügen ruht. Das Dach besitzt noch die originale Eindeckung mit doppelt verlegten Biberschwanzziegeln. Markant sitzt auf dem Hauptfirst ein hoher Kamin mit nach oben konisch sich erweiterndem Hut.
Das Innere bewahrt eine ausgesprochen qualitätvolle und weitestgehend intakte bauzeitliche Ausstattung. Der über eine kurze Freitreppe erreichbare Hauseingang öffnet sich auf ein Vestibül, aus dem eine weitere kurze Treppe in die zentral gelegene erdgeschossige Halle führt. Von dieser aus sind ostseitig Speisezimmer und Salon als grosszügigste Räume des Hauses erschlossen. Südseitig liegt ein etwas kleinerer, wohl als Herrenzimmer bestimmter Raum, in der Nordwestecke die Küche. Westseitig öffnet sich die Halle auf das Treppenhaus. Im Obergeschoss vermittelt ein verglaster Wohnungsabschluss zu einem zentralen Gang mit dreiseitig anstossenden Zimmern. Über der erdgeschossigen Küche wurde hier um 1920/30 eine weitere Küche eingebaut.
Das in der Südostecke des Erdgeschosses gelegene Speisezimmer hebt sich in seiner künstlerischen und kunsthandwerklichen Qualität von den übrigen Räumen ab. Es ist in Historismusformen gehalten, die sich hauptsächlich an der Neorenaissance orientieren, in der Deckengestaltung aber auch gewisse Einschläge in den Jugendstil zeigen, womit eine Entstehung in der Zeit um 1900 und damit, wie überliefert, ein Einbau in Zweitverwendung möglich wäre. Die Fenster besitzen noch die originalen Verschlüsse in rötlichem Holz und sind mit entsprechenden Täferungen eingefasst. Die Wände sind mit einer geometrisch ornamentierten hellblauen Tapete versehen. Als besonders aufwendig gestaltetes Hauptelement der Ausstattung tritt die bemalte Gipsdecke in Erscheinung, die in einem variablen Rechteckraster mit profilierten Holzleisten versehen ist. Der Deckenspiegel zeigt auf hellblauem Grund eine gelbliche, den ganzen Raum umfassende Rahmung sowie ein zentrales, länglich gerundetes Feld, die beide in hellen Gelbtönen gehalten sind. Er ist mit floralen Motiven, Rankendekorationen in Neorenaissanceformen sowie geflügelten Engelsköpfen verziert. Die holzsichtigen Leisten, welche die Malereien in origineller Weise teils rahmen und teils überschneiden, sind an ausgewählten Knotenpunkten gerundet ausgebildet und mit Akanthusdekor versehen. Ein Prunkstück ist auch der ebenfalls in Neorenaissanceformen gehaltene Turmofen, der in einer architektonischen Gestaltung in Fuss, Sockel, Aufsatz und Dachabschluss geteilt ist. Das zum Raum passende, aufwendig gestaltete Mobiliar wird heute vom Schweizerischen Nationalmuseum bewahrt.
Etwas einfacher, gleichwohl aber qualitätvoll gestaltet sind die übrigen Räume. Zu nennen sind insbesondere die in gepflegten Formen der Zeit um 1910 gehaltenen, verglasten Raumabschlüsse am Windfang und an der Obergeschosswohnung, die intakt erhaltenen Täfer- und Tapetenausstattung der beiden weiteren Wohnräume sowie die original erhaltene Küche mit Terrazzoboden und stattlichem eisernem Kochherd aus der Bauzeit. Erhalten sind auch einige Radiatoren mit Wärmefach aus der Bauzeit, im Dachgeschoss zudem das in der Art eines Zylinderofens gestaltete Expansionsgefäss der Heizung.
Der Garten ist durch eine gestalterisch direkt mit dem Haus verbundene Stützmauer in einen höher gelegenen, ebenen Bereich rund um das Haus und den zum Aabach hin abfallenden Bereich unterhalb der Villa gegliedert. Schön angelegt ist der Zugangsweg, der mit einem pergolaartig gestalteten Toreingang am Kulmerweg beginnt und über einige Treppenstufen zum höher gelegenen Haus führt. Ein Lattenzaun zwischen Mauerpfosten ist als Umfriedung allseitig um das Grundstück geführt, an der Seonerstrasse erhebt er sich über einer Stützmauer.

Nachtrag aufgrund Innenbegehung vom 7.2.2018:
Seit der Begehung im Rahmen der Aktualisierung des Bauinventars am 20. Januar 2017 wurden im Inneren des Gebäudes Abbruch- und Demontagearbeiten getätigt. Im erdgeschossigen Wohnzimmer wurde die bemalte Gipsdecke mit den ornamental profilierten Holzbalken entfernt. Ob sie noch erhalten ist, ist nicht bekannt. Der Kachelofen wurde demontiert und dem Bauteillager der Kantonalen Denkmalpflege Bern übergeben. In der Küche ist der eiserne Holzherd verschwunden. Die übrigen oben beschriebenen Bestandteile des Interieurs und der Ausstattung sind im wesentlichen unverändert.
Die qualitätvoll gestaltete, bemalte Gipsdecke sowie der architektonisch gegliederte Kachelofen waren Bestandteil der wertvollen Esszimmerausstattung. Zusammen mit dem vor einigen Jahren an das Schweizerische Nationalmuseum gelangten Mobiliar bildete die feste Ausstattung ein wertvolles Raumensemble, das noch in späthistoristischen Formen gehalten war und gewisse Einschläge in den Jugendstil zeigte. Es verlieh der Villa als Zeuge der gehobenen bürgerlichen Wohnkultur einen zusätzlichen Wert. Durch den Verlust eines wesentlichen Teils der Raumfassung des Esszimmers ist dieser bedauerlicherweise geschmälert worden.
Trotz dieser Verluste muss der Zeugenwert des Gebäudes nach wie vor als ausgesprochen hoch eingeschätzt werden. Unverändert handelt es sich um eine qualitätvoll gestaltete Villa, die in den für die Entstehungszeit modernen Formen des Heimatstils gehalten ist und nach Plänen der bekannten Architekten Brenner & Stutz in Frauenfeld errichtet wurde. Das Gebäude bewahrt nicht nur ein intaktes äusseres Erscheinungsbild, sondern – abgesehen von den oben angeführten Bestandteilen – auch praktisch die gesamten bauzeitlichen Raumfassungen, die originalen Fenster sowie Teile der ursprünglichen Ausstattung. Schliesslich zeigt sich das Gebäude trotz anstehendem Erneuerungsbedarf in einem ausgesprochen guten Erhaltungszustand, der auch in der soliden Bauausführung und dem handwerklich hochwertigen Ausbau begründet ist. Fraglos ist die Schutzwürdigkeit weiterhin gegeben.
Anmerkungen:[1] Freundl. Hinweis der Eigentümer; zur Firma, die 1890 gegründet, 1917 von der Hero aufgekauft wurde und ab 1957 als „Hero Fleischwaren Lenzburg“ firmierte, vgl. Michael Hanak, Architekturgeschichtliches Inventar Industrieareal Hero, Lenzburg, im Auftrag des Stadtbauamtes Lenzburg, 2009 (Stadtbauamt Lenzburg), S. 13.
[2] Zu Brenner & Stutz (Albert Brenner, 1860-1938, und Walter Stutz, 1878-1955) vgl. Gabriela Güntert, Sie bauten den Thurgau: Die Architekten Brenner, hrsg. v. Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau (Denkmalpflege im Thurgau, Bd. 6), Frauenfeld 2004. Zu den ersten Bauten für die Hero vgl. Hanak 2009, S. 25, zu weiteren Bauten von Brenner & Stutz in Lenzburg vgl. Bauinventarobjekte LEN918, 923, 926, 953.
[3] Freundl. Auskunft Schweizerisches Nationalmuseum.
[4] Freundl. Auskunft der Eigentümer.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, ZwA 1940.0007/4463, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1829-1850; CA.0001/0413-0417, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1850-1938.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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