DSI-REI007 Alzbachstrasse 27/29, Gautschi-Stammhaus, 1808-1812 (Dossier (Denkmalschutzinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:DSI-REI007
Signatur Archivplan:REI007
Frühere Signaturen:INV-REI917
Titel:Alzbachstrasse 27/29, Gautschi-Stammhaus
Ansichtsbild:
1/1
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Reinach (AG)
Adresse:Alzbachstrasse 27/29
Ortsteil / Weiler / Flurname:Alzbach
Versicherungs-Nr.:136 A, 136 B
Parzellen-Nr.:1626, 1627
Koordinate E:2655703
Koordinate N:1234268
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2655703&y=1234268

Schutz / Status

Unterschutzstellung Bund:8/26/2016
Kantonale Unterschutzstellung (DSI):7/20/2015
Kantonaler Schutzumfang:integral

Chronologie

Entstehungszeitraum:1808 - 1812
Grundlage Datierung:Inschrift (Schlussstein Hauseingang, Kachelofen); Literatur; Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:Fabrikgebäude Alzbachstrasse 31 und 33 (REI918 und REI919)
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Wohn- und Geschäftshaus

Dokumentation

Inschriften:"1808 H G M" (Schlusssteine Vordereingänge); "HE G 1812" (Buffet untere Stube Osthälfte); "H1810G" (Bodenplatte Kachelofen untere Stube Osthälfte)
Würdigung:Das 1808-12 als Stammsitz der erfolgreichen Reinacher Baumwollfabrikantenfamilie Gautschi errichtete und 1860 aufgestockte Wohn- und Geschäftshaus ist ein repräsentativer Mauerbau von imposanten Dimensionen. Der unter einem markanten, geknickten Walmdach geborgene Bau besticht im Innern durch ein aussergewöhnliches Mass an hochwertiger Ausstattung aus dem frühen und mittleren 19. Jahrhundert. Eingebettet in eine historische Gartenanlage mit gemauerter Umfriedung und monumentalen Aussentreppen, mit dem gepflästerten Vorplatz und dem alten Brunnen, besitzt die Anlage für den Ortsteil Alzbach einen hohen Situationswert. Darüber hinaus kommt dem Gebäude als Kern des industriegeschichtlich bedeutenden Fabrikensembles, das heute noch aus drei chronologisch gestaffelten Gebäuden in lockerer Abfolge besteht, grösste Bedeutung zu (vgl. auch Bauinventarobjekt REI919).
Bau- und Nutzungsgeschichte:1808-12 liess sich Heinrich Gautschi (1755-1826), Müllerheinrich genannt, im Alzbach schräg gegenüber dem elterlichen Bauernhaus ein stattliches Wohn- und Geschäftshaus errichten. Sein Vater Heinrich (1713-1769), ehemals Müller in den Eichen, hatte nach dem geschäftlichen Zusammenbruch im Alzbach in bescheidenem Rahmen den Grundstein für das später bedeutendste Reinacher Baumwollunternehmen gelegt. Als er starb, führte seine Frau das Unternehmen mit Erfolg weiter und schwang es 1776 erstmals an die Spitze der Aargauischen Baumwollbranche. In den 1790er Jahren hatte sich die Firma als grösstes Baumwollunternehmen im ganzen Berner Aargau etabliert. Mit dem Untergang der Alten Eidgenossenschaft und der Einfuhrkrise von Rohbaumwolle aus England um 1800 kam es zwar zu einem starken Produktionsrückgang, doch verfügte Sohn Heinrich, der die Geschäfte inzwischen übernommen hatte, offenbar über genügend Reserven, um in der Krisenzeit des Baumwollgewerbes ein neues steinernes Wohn- und Geschäftsgebäude zu erstellen. Ab 1815 war er zudem Mitinhaber einer Spinnerei in Menziken [1].
Ab den 1820er Jahren behauptete sich Heinrichs Sohn Johannes (Hans) Gautschi (1780-1855), der mit seinem in Menziken lebenden Bruder Rudolf die Leitung des Betriebs übernommen hatte, als Hauptunternehmer der Baumwollbranche. 1835 liess Johannes für sich neben dem Vaterhaus ein neues Wohnhaus mit Färberei im Erdgeschoss erbauen, welches das alte Gebäude anfangs deutlich überragte (Alzbachstrasse 31) [2].
1855 wurde das damals noch "zweistöckige[s] Wohnhaus von Mauer mit 4 gewölbten Kellern unter Ziegeldach" von 25,5 Metern Länge, über 11,1 Metern Breite und 5,7 Metern Höhe von Heinrichs Sohn Johannes (Hans) (1780-1855) an den Enkel Heinrich (1809-1867) überschrieben. Heinrich, der mit seinem Bruder Johannes (1816-1898) das Unternehmen weiterführte, liess das Gebäude 1860 um ein Geschoss aufstocken, baute eine Laube an und nahm im Ausbau Verbesserungen vor (die Laube blieb im Brandkataster bis in die 1930er Jahre erwähnt). Vermutlich erhielt das Haus erst damals sein annähernd achsensymmetrisches Gesicht mit zentral angelegtem Haupteingang. Das äussere Stichbogenportal in der Nordwestecke wurde zu einem Fenster verkleinert und stattdessen südseitig in der Verlängerung des Mittelgangs ein neues klassizistisches Portal eingesetzt [3]. Ebenfalls in den 1860er Jahren kamen nördlich der Alzbachstrasse zwei neue Färbereigebäude hinzu, von welchen das eine mit einer dampfgetriebenen Appreturmaschine bestückt war.
Die inzwischen dominierende Buntweberei, die sich im neu entstehenden Gewerbezweig der Garnfärberei niederschlug, vermochte den Niedergang der auf Handweberei basierenden Baumwollindustrie noch etwas zu verzögern. Als Heinrich 1867 starb, hinterliess er ein stattliches Vermögen, mehrere Gebäude und Grundstücke sowie grosse Mengen an Tüchern und Garnen. Von seinen Söhnen wollte jedoch keiner mehr in die Baumwollfabrikation einsteigen. Also verkauften sie die Vorräte und teilten das Erbe untereinander auf, wobei Emil und Wilhelm 1876 das Wohn- und Geschäftshaus im Alzbach erhielten und später an die Nachkommen weitergaben. Auch Johannes, Heinrichs Bruder, stellte um 1870 die aussichtslos gewordene Bauwollfabrikation ein. Sein Haus mit den gewölbten Färberäumen an der Alzbachstrasse 31 musste er 1877 aufgrund einer Fehlinvestition in die Strohflechterei ("Streit & Co." in der ehem. Spinnerei an der Haupstrasse 88, Bauinventarobjekt REI905) aufgeben. Es gelangte später an die Tabakfirma "Hediger & Cie." (vgl. Bauinventarobjekt REI919) [4].
Aufgrund eines Inventars aus dem Jahr 1867 ist überliefert, dass die Räumlichkeiten des Wohn- und Geschäftshauses Albachstrasse 27/29 im zweiten Obergeschoss und Dachraum als "Magazine" und "Hinterstuben" zur Aufbewahrung der Garne und Tücher dienten, während Erdgeschoss und erstes Obergeschoss zu Wohnzwecken genutzt wurden. Im Haus untergebracht waren auch die Kontore für den Vertrieb der zahlreichen, für den Export bestimmten Baumwollartikel [5].
Beschreibung:Dreigeschossig aufragender Mauerbau unter mächtigem, geknicktem Walmdach, welches beidseits des Firsts mit einem zentralen Quergiebel unter geradem Satteldach besetzt ist. Die gartenseitige Hauptfassade und die dorfwärts gerichtete Ostseite sind mit zwölf bzw. vier regelmässig verteilten Fensterachsen symmetrisch gegliedert. Im zweiten Obergeschoss akzentuiert jeweils ein auf Konsolen ruhender Balkon mit schmiedeeisernem Biedermeiergeländer die mittleren vier bzw. zwei Achsen. Strassenseitig sind drei und fünf Achsen je zu einer enger stehenden Gruppe zusammengefasst, wobei die mittleren beiden Achsen zum Erschliessungsbereich (Eingang und Treppenhaus) gehören und eine benachbarte Achse mit Zwillingsfenstern bestückt ist. Die der ehemaligen Färberei (Alzbachstrasse 31) zugewandte Giebelfassade weist nur vereinzelte Fensteröffnungen und einen Kellereingang auf. Gliederungselemente und Bauschmuck haben sich am Baukörper fragmentarisch erhalten: im Osten, Süden und Westen ein profiliertes Kranzgesims, an der Südfassade zwischen Dachaufbau und zweitem Obergeschoss ein Gurtgesims, an der Südostecke ein Kapitell mit dezentem Blattdekor und eine Putzquaderung an der Südwest- und Nordwestecke, die vermutlich erst im 20. Jh. aufgetragen wurde.
Die Türeinfassungen und die gefalzten Fenstergewände am Erdgeschoss und ersten Obergeschoss sind in Muschelkalk gehauen, jene am zweiten, nachträglich aufgesetzten Obergeschoss und an den Dachaufbauten bestehen aus Holz. Lediglich die Fenster des ersten Obergeschosses auf der Ostseite weisen Kranzgesimse auf. Auffällig ist auch die unterschiedliche Gestaltung der ursprünglich zwei strassenseitigen Hauseingänge (der westliche später zu einem Fenster verkleinert) im Vergleich zum gartenseitigen Haupteingang. Während erstere mit stichbogigen Gewänden und Inschrift am Scheitel "1808 H G M" (Heinrich Gautschi Müllerheinrich) noch nach spätbarocker Tradition gearbeitet sind, ist der breitere, rechteckig geformte Haupteingang mit zwei flankierenden Gangfenstern, einem kräftig profilierten und von einem Kranzgesims bekrönten Gewände klassizistisch gehalten und dürfte vom Umbau 1860 stammen. Die eichenen Biedermeier-Türblätter (gartenseitig mit zwei Flügeln) mit Füllungen und profilierten Rahmen, geschnitztem Ringfries und Kanneluren sowie Empire-Türklinken aus Messing sind hingegen sehr ähnlich gestaltet.
Der als repräsentatives Entrée gestaltete, durchlaufende Korridor ist mit mächtigen Muschelkalkplatten ausgelegt und besitzt Gipsdecken mit feinen Stuckspiegeln. Der Treppenaufgang im Norden ist als Wangentreppe mit hölzernem Biedermeiergeländer in Form gekreuzter Spitzbogen gestaltet (vgl. das sehr ähnliche Geländer im Bauinventarobjekt REI 916, Alzbachstrasse 18). Durch alte Füllungstüren aus Nussbaum gelangt man in die Wohnräume zu beiden Seiten des Korridors. Beide Gebäudehälften weisen je zwei Wohngeschosse auf. Diese sind viergeteilt in Stube und Nebenstube gegen Süden sowie Küche und Hinterstube gegen Norden, dazu kommen im 1. Obergeschoss schmale gangseitige Kammern.
Der praktisch unverändert gebliebene östliche Wohnteil (Vers.Nr. 136 A) ist in zwei Stockwerkswohnungen aufgeteilt. Diese bewahren noch die alten, fein profilierten Kreuzsprossenfenster mit den handgeschmiedeten barocken Beschlägen und Vorreibern oder Espagnoletten. Am Erdgeschoss sind strassenseitig zwischen Fenster und Vorfenster Gitter eingelassen, während die Vorfenster gartenseitig Unterteilungen aus Bleiruten aufweisen. Im Obergeschoss bestehen noch die bauzeitlichen "Berner Böden", ein in herrschaftlichen Häusern um 1800 übliches zweifarbiges Felderparkett mit dunklen Hartholzfriesen. In der unteren Wohnung ist teilweise jüngeres Fischgrat- und Riemenparkett verlegt. In den meisten Räumen hat sich die ursprüngliche Vertäferung mit fein profilierten Rahmen erhalten. Beide Küchen waren ehemals mit zwei Einfeuerungsstellen ausgestattet (heute nur noch die obere Küche, wo auch noch ein alter Eisenherd besteht). Die Feuerwände sind mit alten Ofenkacheln verkleidet, wobei diese teilweise von einem meergrünen Kachelofen mit schwarz bemalten Fayence-Kacheln stammen, zu dem noch weitere Kacheln auf dem Dachboden lagern. Ein meergrüner Ofen mit weissen Friesen und Eckkacheln ist in der unteren Stube aufgestellt und durch eine beschriftete Bodenplatte ("H1810G") in die Bauzeit des Hauses datiert. Aus dem späteren 19. Jh. stammen ein hellblauer und ein weisser Kachelofen in der Stube und Hinterstube der oberen Wohnung. Das Prunkstück der östlichen Haushälfte bildet ein prachtvolles Einbaubuffet aus Kirschbaumholz mit integriertem Wandkasten und Durchreiche von der Küche. Zwischen den mit intarsierten Blumenmotiven geschmückten oberen Türchen sind die Besitzerinitialen "HE G" und die Jahreszahl "1812" zu lesen. Die Holzimitationsmalerei auf dem Täfer dieses Raumes wurde in der Zeit um 1900 geschaffen.
Im westlichen Wohnteil (Vers.Nr.136 B) haben sich die Wandtäfer und die alten "Berner Böden" ebenfalls teilweise erhalten. Aus der Erbauungszeit datiert im 1. Obergeschoss ein Kastenofen aus meergrünen Füll- und weissgrundigen Frieskacheln. Letztere sind auf der Wand zum Nachbarzimmer mit blumengeschmückten Vasen, Füllhörnern, einem Putto, Pfeifen rauchenden Schildträgern und verschiedenen Tieren mit Veduten im Empire-Stil bemalt. Sie könnten aus der Hand des Aarauer Ofenmalers Johann Heinrich Egli stammen, während der Hafner wohl in der Dynastie der Sommerhalder von Burg zu suchen ist. Kachelofen und Kunst in der unteren Stube dürften im späteren 19. Jh. hinzugekommen sein. Von den mit Stuckmilieus verzierten Gipsdecken scheint diejenige im Zimmer mit der bemalten Ofenseite noch aus der Bauzeit oder dem mittleren 19. Jh. zu stammen. Anlässlich einer Innenrenovation wurde 1987 im westlichen Hausteil von der unteren Küche her ein zusätzlicher Treppenaufgang ins Obergeschoss geschaffen und die Balkenlage zwischen den beiden Nordwesträumen partiell geöffnet. Gleichzeitig erfolgte in dieser Gebäudehälfte ein Ausbau des 2. Obergeschosses und des Dachraums zu Wohnzwecken. Seither befindet sich im südlichen Walm ein störender Balkoneinschnitt. In der östlichen Gebäudehälfte blieben die als Magazine genutzten Kammern des 2. Obergeschosses mit den Tannenriemenböden unverändert erhalten.
Das ganze Gebäude ist in Firstrichtung mit Gewölbekellern versehen, die sowohl von innen wie von aussen betreten werden können.
Nach Süden und Osten schliesst ein Garten an, der von einer niedrigen Mauer mit steinernen Pfeilern und Holzstaketen umfriedet wird und vom Südportal aus über eine zweiarmige Freitreppe zugänglich ist. Dem strassenseitigen Eingang, dessen Vorplatz zur Hälfte noch die alte Pflästerung aufweist, ist ein langgestreckter Laufbrunnen aus Muschelkalk zur Seite gestellt.
Anmerkungen:[1] Zur Firmengeschichte: Steiner 1963/64, S. 3-8: Steiner 1995, S. 198, 201, 392.
[2] Steiner 1995, S. 395.
[3] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0261-0264: Brandkataster Gemeinde Reinach 1850-1938. - Weitere Unregelmässigkeiten im Fassadenbild, die auf eine erst nachträglich erfolgte Gleichbehandlung der östlichen und westlichen Gebäudehälfte verweisen, sind auf der Nordseite der Absatz im Dachvorsprung und der grössere Abstand zwischen Erschliessungs- und Fensterachse, auf der Südseite die leicht höher gesetzten östlichen Fenstergewände im Obergeschoss.
[4] Steiner 1963/64, S. 20-28. - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0261-0264: Brandkataster Gemeinde Reinach 1850-1938.
[5] Steiner 1963/64, S. 22-23.
Erwähnung in anderen Inventaren:- ICOMOS Liste historischer Gärten und Anlagen der Schweiz, Kanton Aargau, Reinach 4141-8.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), Einzelelement, Erhaltungsziel A.
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, hg. v. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 2005, S. 52.
Literatur:- Peter Steiner, Die Baumwollfabrikation der Familie Gautschi in Reinach und Menziken, in: Jahresschrift der Historischen Vereinigung Wynental 1963/64, S. 1-35.
- Peter Steiner, Reinach. 1000 Jahre Geschichte, Reinach 1995, S. 198, 201, 394-395 (Abb.).
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0261-0264: Brandkataster Gemeinde Reinach 1850-1938.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

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