10.6 Elterliche Unterhaltspflichten
Grundsätzlich sorgen beide Elternteile, ein jeder nach seinen Kräften, in Form von Pflege, Erziehung und Geld für den zu erbringenden Unterhalt ihres Kindes. Sie kommen insbesondere für die Kosten für Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen auf. Wenn ein Kind nicht unter der Obhut der Eltern oder eines Elternteils steht, wird der Unterhalt der Eltern oder des Elternteils in Form von Geldleistungen erbracht (Art. 276 Abs. 1 und Abs. 2 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)). Der finanzielle Kindesunterhalt besteht aus Bar- und Betreuungsunterhalt. Der Barunterhalt dient der Deckung der direkten Kosten für das Kind (beispielsweise für Nahrung, Kleidung, Gesundheit und Freizeit). Der Betreuungsunterhalt (Art. 285 Abs. 2 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)) soll die bestmögliche Betreuung des Kindes gewährleisten. Er deckt die (indirekten) Kosten ab, die einem Elternteil dadurch entstehen, dass er aufgrund einer persönlichen Betreuung des Kindes davon abgehalten wird, durch Arbeitserwerb für seinen eigenen Lebensunterhalt aufzukommen.
Die Unterhaltspflicht dauert grundsätzlich bis zur Volljährigkeit des Kindes (Art. 277 Abs. 1 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)). Die Unterhaltspflicht kann über die Volljährigkeit des Kindes hinaus fortdauern, bis es ordentlicherweise eine angemessene Ausbildung abschliessen kann (Art. 277 Abs. 2 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)).
Die Höhe der Unterhaltspflicht der Eltern hängt einerseits vom Bedarf des Kindes und andererseits von der Leistungsfähigkeit der Eltern ab. Die Eltern sind demnach in finanzieller Hinsicht nur dann unterhaltspflichtig, wenn sie auch leistungsfähig sind (Art. 285 Abs. 1 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)).
Damit der Unterhaltsanspruch für das Kind durchsetzbar ist, benötigt das Kind einen vollstreckbaren Rechtstitel. Als Rechtstitel gelten:
- gerichtliche Entscheide über den Unterhalt von Kindern und Eltern (insbesondere rechtskräftige Scheidungs-, Trennungs- oder Vaterschaftsurteile, Entscheide im Eheschutzverfahren, Entscheide betreffend vorsorgliche Massnahmen im Ehescheidungs- oder Ehetrennungsverfahren, Entscheide betreffend vorläufige Zahlung von Unterhaltsbeiträgen im Vaterschaftsverfahren),
- durch die zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde genehmigte Unterhaltsverträge (vor 2013: Genehmigung durch kommunale Vormundschaftsbehörde) (Art. 287 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)),
- schriftliche Unterhaltsvereinbarungen des volljährigen Kindes mit einem oder beiden Elternteilen.
Sofern ein Kind unter der Obhut der Eltern steht, wird die materielle Hilfe für die Bestreitung seines Unterhalts in der Regel im üblichen Verfahren (Berechnung Sozialhilfe für die gesamte Familie, Unterstützungseinheit) gegenüber den Eltern gewährt. Begründet das Kind einen eigenständigen Unterstützungswohnsitz (Art. 7 Abs. 2 ZUG(öffnet in einem neuen Fenster)), weil es nur mit einem Elternteil zusammenlebt, ist für das Kind ein eigenes Sozialhilfedossier zu führen. Es begründet dennoch eine Unterstützungseinheit mit dem Elternteil, mit dem es zusammenlebt (vgl. Kapitel 6.1 Unterstützungseinheit). Die finanziellen Mittel dieses Elternteils sind demnach gestützt auf dessen Unterhaltspflicht bei der Bedürftigkeitsprüfung des Kindes zu berücksichtigen. Resultiert dennoch eine Bedürftigkeit des Kindes, so muss der Gemeindesozialdienst aufgrund des Subsidiaritätsprinzips zwingend prüfen, ob der andere Elternteil ganz oder teilweise für den ungedeckten Bedarf des Kindes aufkommen kann. Begründet das Kind einen eigenen Unterstützungswohnsitz, weil es unter Vormundschaft steht (Art. 7 Abs. 3 lit. a ZUG(öffnet in einem neuen Fenster)) oder weil es dauerhaft nicht bei den Eltern oder einem Elternteil lebt (Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG(öffnet in einem neuen Fenster), vgl. Kapitel 3.1.4 Unterstützungswohnsitz Minderjähriger), so muss der Gemeindesozialdienst bei beiden Elternteilen eine finanzielle Beteiligung am Unterhalt des Kindes prüfen. Weder der Obhutsentzug noch der Entzug des Sorgerechts führen zur Befreiung von der elterlichen Unterhaltspflicht.
Die Gemeinde trifft nach Möglichkeit mit den unterhaltspflichtigen Eltern eine Vereinbarung über deren Unterhaltspflicht (§ 7 Abs. 1 SPG(öffnet in einem neuen Fenster)). Erklären sich die Eltern bereit, eine Unterhaltsvereinbarung abzuschliessen, unterstützt der Gemeindesozialdienst oder die entsprechend Beratungsstelle der zuständigen Gemeinde die Eltern bei der Erarbeitung der Unterhaltsvereinbarung. Die beratende Stelle beachtet dabei die Empfehlungen des Obergerichts zur Bemessung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder. Unterhaltsverträge über den Unterhalt von minderjährigen Kindern werden allerdings erst mit der Genehmigung durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde verbindlich (Art. 287 Abs. 1 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)).
Die Vereinbarung einer elterlichen Unterhaltspflicht kann nicht durch Beschluss der Sozialbehörde eingefordert werden. Kann sich die Gemeinde nicht mit den Eltern einigen, so ist unter Umständen ein Zivilverfahren nötig. In Streitfällen wird empfohlen, juristischen Beistand beizuziehen. Nur das unterhaltsberechtigte Kind kann klageweise gegen seine Eltern vorgehen. Der bevorschussenden Gemeinde fehlt es gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung dazu an der nötigen Aktivlegitimation. Das heisst, dass entweder ein Elternteil oder ein Beistand als gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes oder das volljährige unterhaltsberechtigte Kind selbst ein Zivilverfahren anstrengen muss (vgl. auch Kapitel 6.4 Volljährige Kinder im Haushalt der Eltern).
Liegt ein vollstreckbarer Rechtstitel über den Unterhaltsanspruch des Kindes vor und kommt der unterhaltspflichtige Elternteil seiner Unterhaltspflicht nicht, nicht rechtzeitig oder nur teilweise nach, hat das Kind Anspruch auf Inkassohilfe (vgl. Kapitel 22.2 Inkassohilfe) und allenfalls auch Anspruch auf Alimentenbevorschussung (vgl. Kapitel 22.1 Alimentenbevorschussung). Die Alimentenbevorschussung geht der Sozialhilfe aufgrund des Subsidiaritätsprinzips vor.
Familienzulagen, Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen, die dem Unterhaltspflichtigen zustehen, sind zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt (Art. 285a Abs.1 und 2 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)). Wenn der unterhaltspflichtige Elternteil infolge Alter oder Invalidität nachträglich zur Unterhaltsbeitragsfestlegung Sozialversicherungsrenten und ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Leistungen erhält, die Erwerbseinkommen ersetzen, muss er diese an das Kind weitergeben. Der (bisher) festgelegte Unterhaltsbeitrag vermindert sich im Umfang dieser neuen Leistungen (Art. 285a Abs. 3 ZGB(öffnet in einem neuen Fenster)).
Wurde in einem genehmigten Unterhaltsvertrag oder in einem Entscheid festgestellt, dass kein Unterhaltsbeitrag festgelegt werden konnte, der den gebührenden Unterhalt des Kindes deckt (sogenanntes Manko), und haben sich seither die Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Elternteils ausserordentlich verbessert, so hat das Kind gemäss Art. 286a ZGB(öffnet in einem neuen Fenster) Anspruch darauf, dass dieser Elternteil diejenigen Beträge zahlt, die während der letzten fünf Jahre, in denen der Unterhaltsbeitrag geschuldet war, zur Deckung des gebührenden Unterhalts fehlten.