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Bauberatung

Eine Ikone der Bädertradition in Baden ist zurück

Wie sich der Kurplatz in den Grossen Bädern in Baden zu römischer Zeit präsentiert hat, wird sich gewiss im Rahmen der Auswertungen zu den jüngst abgeschlossenen Grabungen der Kantonsarchäologie genauer zeigen. Sicher ist, dass die Quelle unter dem Grossen heissen Stein schon zu römischer Zeit genutzt wurde, wie diverse Funde belegen. Seit wann die Quelle mit der mächtigen Steinplatte bedeckt ist, kann heute nicht mehr restlos geklärt werden. Schriftlich überliefert sind Instandhaltungsmassnahmen am Quellschacht um 1420, die erste bildhafte Darstellung zeigt den Stein in der Topographia Helvetiae von Matthäus Merian um 1642. Mit der wieder neu gewonnen Präsenz auf dem Kurplatz erhält die Stadt Baden eine Ikone der Bädertradition in würdigem Kontext zurück.

Der Kurplatz in Baden blickt auf eine aussergewöhnlich lange und bewegte Geschichte zurück. Er kann gar als Keimzelle vom römischen Aquae Helveticae, der heutigen Stadt Baden, gelten. Über die lebendige, intensive Bädertradition, ihre Einrichtungen und baulichen Zeugen ist eine Vielzahl schriftlicher wie bildhafter Quellen überliefert. Ein lebhafter Bericht vom Humanisten und Gesandten mehrerer Päpste, Poggio Bracciolini, im Jahr 1417, bis hin zu den anschaulichen Schilderungen der Badszenen auf dem Kurplatz im Werk "Die Badenfahrt" von David Hess um 1818, zeugen von den sich wandelnden Badesitten durch die Jahrhunderte. Einen Bruch in der Tradition der offenen und frei zugänglichen Badebecken auf dem Kurplatz ergab sich nach dem ersten Viertel des 19. Jh., als die nachgewiesenermassen seit römischer Zeit genutzten Badebecken zuerst eingehaust, und später gänzlich aufgegeben wurden. Als Manifest der Bädertradition hat sich einzig der Grosse heisse Stein erhalten, aber auch dieser wurde eingeebnet und fristete jüngst ein eher unwürdiges Dasein, zumal er als Teil der befahrbaren Verkehrsfläche nicht selten als Parkplatz herhalten musste.

Der Grosse heisse Stein wird vom Quellschacht abgehoben und in die Werkstatt des Steinmetzen transportiert, 23. Juni 2021. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Heiko Dobler.

Obststand, Badöffnung und historische Feierlichkeit

Dass die ergiebigste Quelle in den Bädern von einer schweren Steinplatte bedeckt ist, dürfte kein Zufall sein. Letztlich diente diese zur Sicherung des Quellwassers vor Verschmutzung und insbesondere auch dazu, dass am Verteilkranz, der das Wasser in genau definierter Menge zu den einzelnen Badgasthöfen führte, nichts manipuliert wurde. Seit den 1940er Jahren wird die Separierung des Quellwassers durch einen Verteiler direkt neben dem Stein geregelt und ist somit einfacher zugänglich. Früher musste indes ein separates Stück des Steins beiseite geschoben werden, um die Leitungen zu reinigen und insbesondere die Quellwassermenge zu kontrollieren. Von diesem Vorgang berichtet Hans Rudolf Maurer in seinem historischen Reiseführer "Kleine Reisen im Schweizerland" von 1794:

"Indem wir zu kleinen Schritten herumgaffend vorrückten, trafen wir auf eine grosse Masse von Stein, wo sich einige Obst einkauften: deren Absicht aber ist, die Hauptquelle zu bedecken, aus welcher das Frybad und viele Privatbäder ihre Wasser empfangen (…). Hier geht jeden Montag vor Ostern eine Feierlichkeit vor, welche die Badöffnung genannt wird. Schon vor sieben Uhr versammeln alle Glieder des kleinen Raths der Stadt Baden samt dem Stadtphysicus und allen Stadtbedienten beim Stein. In ihrer Gegenwart wird ein Stück desselben, da wo das Wasser hervorquillt weggehoben (…). Solche Feierlichkeiten, wo die Regierung selbst gegenwärtig erscheint, sind den solchen Umständen ebenso natürlich, als wichtig, Streitigkeiten vorzubeugen, die Badgäste der unverfälschten Echtheit des Wassers zu versichern, und des reichen Nahrungszweigs der Bürger von Baden würdig".

Die Quelle unter dem Grossen heissen Stein mit dem in den 1940er Jahren erneuerten Quellkranz, klares Wasser, aufsteigende Blasen und Dämpfe zeugen vom ca. 47° heissen Quellwasser, 23. Juni 2021. © Kantonale Denkmalpflege, Heiko Dobler.

Handwerkliche Massarbeit

Um den rund 5 Tonnen schweren Granitblock vom Boden erhaben und in bequemer Sitzhöhe neu zu platzieren, wurde von der Steinbauhütte Baden ein massgenaues Passstück aus geologisch gleichartigem Stein angefertigt, welches ähnlich einer umgekehrten Zahnplombe die notwendige Distanz zur Platzoberfläche schafft. In traditioneller Handwerkskunst präzis gefertigt, mit Lehm gegen den Quellschacht abgedichtet, bildet es eine würdige Ergänzung des Originals und wird sich diesem mit der Zeit und aufkommender Patina angleichen. Die schmale Fuge zwischen dem Original und dessen Ergänzung wurde ebenfalls in alter Handwerkstradition mit Blei verschlossen. Hierzu werden aus Bleiwolle, ähnlich einem Strick, längliche Stränge gedreht, diese dann mit Hammer und Meissel in den Spalt getrieben, bis eine homogene Masse entsteht und die Fuge abdichtet. Durch die Weichheit des Bleis bleibt die Fuge elastisch genug, damit trotz Temperaturdifferenzen oder Spannungen keine Risse oder Schäden am Stein entstehen.

Letzte Feinschliffarbeiten am Passstück, bevor der originale Stein zurückgehoben wurde. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Heiko Dobler.
Aus dem Rohmaterial Bleiwolle werden Stränge gedreht und anschliessend durch den Steinmetz mit Hammer und Meissel in die Fuge getrieben. © Kantonale Denkmalpflege Aargau, Heiko Dobler.

Das Anheben des Steins kann man getrost als historisches Ereignis bezeichnen, erst recht seine wiedergewonnene Präsenz auf dem Kurplatz. Zusammen mit den Bodenmarkierungen aus Flusswackensteinen, welche die Anordnung und Grösse der seit römischer Zeit genutzten offenen Badebecken unter der heutigen Platzoberfläche markieren, gewinnt man nunmehr einen guten Eindruck des früheren Bäderplatzes und kann sich die lebhaften Badszenen, die sich in den Becken abgespielt haben, bildhaft vorstellen. Auch wenn das Plantschen im Quellwasser auf dem Kurplatz nicht mehr vollzogen werden kann, wird dieser Tradition mit den Heissen Brunnen auf Badener wie Ennetbadener Seite erfreulicherweise heute wieder nachgelebt. Dass der Grosse heisse Stein wieder das alte und neue Herz von Aquae Helveticae bildet, darf bei allen Veränderungen in den Grossen Bädern getrost als Meilenstein bezeichnet werden. Man darf gespannt sein, wann darauf wieder Obst zum Verkauf angeboten wird. (Heiko Dobler)

Der Grosse heisse Stein nach der Anhebung im Januar 2022, ein historisches Kostüm ist nicht zwingend erforderlich, um drauf Platz nehmen zu dürfen. © Andrea Schaer, Stadt Baden.