Überliefertes Zeugnis historischer Bautechnik auf der Habsburg
Die Habsburg, der namensgebende Stammsitz der Habsburg-Dynastie, thront seit dem 11. Jh. auf dem Wülpelsberg oberhalb Brugg. Während von der vorderen Burg im Osten und dem zentralen Burghof nur noch Ruinen oder archäologische Hinterlassenschaften im Untergrund vorhanden sind, bildet die Hintere Burg im Westen der Gesamtanlage seit dem Hochmittelalter eine kleine, in sich geschlossene Burganlage. Neuste wissenschaftliche Erkenntnisse lassen nun vermuten, dass der Aussenputz am Palas seit 600 bis 700 Jahren der Witterung trotzt, während man heute bei der Werterhaltung von verputzten Fassaden mit "modernen" Baumaterialien von einer durchschnittlichen Lebensdauer von 20-30 Jahren ausgeht.
Im Auftrag des Kantons wurde zur Erarbeitung eines Restaurierungskonzepts für die Aussenwände am Palas durch die Firma Materialtechnik am Bau AG in Schinznach jüngst eine Mörtelanalyse durchgeführt. An der Süd- und Ostseite des Palas entnommene Mörtelproben sollten auf deren Zusammensetzung bezüglich Bindemittel und Zuschlagstoffe untersucht, und auf dieser Basis eine möglichst originalgetreue Mörtelmischung für die notwendigen Instandsetzungsmassnahmen am Verputz definiert werden. Bereits die Beobachtungen vor Ort liessen vermuten, dass der Mauer- und Verputzmörtel aufgrund seiner Kornzusammensetzung und der ausgeprägten Verwitterungsform ein beträchtliches Alter aufweisen könnte. Die Laboranalysen bestätigten eine erstaunliche Festigkeit des Mörtels und eine gute Haftung auf dem Untergrund. Aufgrund mikroskopischer Beobachtungen kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sich dabei um einen heissgelöschten Kalkmörtel handelt, eine Verarbeitungstechnik, die in der Literatur zwar seit römischer Zeit bekannt ist, heute aber kaum mehr angewendet wird.
Mörtelherstellung
Die Herstellung und Verarbeitung von Heisskalkmörteln ist, bzw. war ein seit Jahrhunderten bewährtes Handwerk, welches mit der Rationalisierung der Baustoffindustrie mehrheitlich in Vergessenheit geraten und heute nur noch einigen wenigen Spezialisten vorbehalten ist. Die handwerkliche Herstellung von Mörteln umfasst seit jeher grundsätzlich die drei Grundstoffe Kalk, Sand und Wasser. Schwieriger zu bestimmen als die eigentlichen Zuschlagsstoffe ist hingegen die genaue Verarbeitungsart, die auf die Eigenschaften und Charaktere der Mörtel indes einen sehr grossen Einfluss hat. Überlieferte Darstellungen von mittelalterlichen Baustellen zeigen die Herstellung und Verarbeitung von Kalkmörteln anschaulich. Die Mörtel wurden selbstverständlich nicht wie heute in Säcken als Fertigmischungen auf die Baustelle geliefert, sondern vor Ort gemischt und verarbeitet. Im denkmalpflegerischen Bereich, bei der Restaurierung historischer Mörtel üblich sind beispielsweise Sumpfkalkmörtel. Bei diesem Verfahren wir gebrannter Kalk unter Zugabe von Wasser bedeckt und verrührt, anschliessend wird dieser dann später unter Beimischung von Sanden und allfällig weiteren Zuschlagsstoffen verarbeitet. Bei trocken gelöschten Mörteln, wie Heisskalkmörtel, wurde ein sogenanntes Haufwerk aufgeschichtet, bestehend aus gebranntem, ungelöschtem Kalk (Stückkalk) und Sand. Erst unter späterer Zugabe von Wasser und dem Anmischen der Ingredienzen setzt die chemische Reaktion, das sogenannte "Löschen" des Kalks, ein, wobei das Calziumoxid unter starker Hitzeentwicklung in Calziumhydroxid umgewandelt wird. Heisskalkmörtel werden dann in noch heissem oder zumindest warmen Zustand während der Löschphase sehr rasch verarbeitet und binden unter Entwicklung erhöhter Festigkeiten ab*. Eine handwerkliche Herausforderung, die es auf der Habsburg allenfalls neu zu erlernen gilt.
*(sogenannte Karbonatisierung: chemischer Prozess, bei dem aus der Luft Kohlenstoffdioxid vom Calziumhydroxid aufgenommen wird, es entsteht über Jahre oder Jahrzehnte hinweg im Grundsatz wieder das Ausgangsprodukt - ein Kalkstein).
Datierung
Ein in der Mörtelprobe der Habsburg vorgefundener kleiner Holzsplitter (0,2 g) konnte in Zusammenarbeit mit dem Labor anhand einer Radiocarbonmessung an der Universität Bern datiert werden. Für die Altersbestimmung von Hölzern wird im Bereich der Bauforschung in der Regel die dendrochronologische Methode gewählt. Dabei werden meist grössere Konstruktionshölzer, wie Balken oder Ständer, mit einem Hohlbohrer angebohrt, wobei das Fälldatum und damit auch der frühste mögliche Zeitpunkt der Erstellung eines Bauteils über die Analyse der Jahrringe des Holzes recht genau bestimmt werden kann. Im Falle des nur wenige Millimeter grossen Holzsplitters ist diese Methode indes nicht geeignet. Mittels der Radiokarbonmethode bestimmen Archäologen das Alter ihrer Funde. Im konkreten Fall lieferte dieses Verfahren aber auch den wertvollen Hinweis, dass der Holzsplitter aus der Zeit zwischen 1290 bis 1395 n. Chr. stammen muss. Wenn auch nicht aufs Jahr genau, ist somit doch ein Hinweis erbracht, dass der noch bestehende Verputz am Palas der Habsburg mit grosser Wahrscheinlichkeit noch aus der Bauzeit der Burg stammt. Die Zukunft wird zeigen, ob mittels weiterer bauarchäologischer Untersuchungen die Datierung und damit auch die Bauzeit des Palas weiter eingegrenzt werden kann.
Nachhaltigkeit des traditionellen Handwerks
Denkmäler sind nicht nach den heutigen Normen und Regeln der Baukunst erstellt, sondern überliefern damals gültige Handwerksregeln und Produktionsweisen. Ihre Dauerhaftigkeit, im konkreten Fall über Jahrhunderte, zeigt den Erfolg dieser Entstehungsweise. Auch wenn oftmals zu wenig beachtet, müssen Mörtel und Putze als wesentliche Bestandteile des Baudenkmals gelten, zumal sie dessen Wahrnehmung wesentlich prägen und über das historische Bauwesen wichtiges Zeugnis ablegen. Den überlieferten historischen Putzbestand an der Habsburg gilt es daher zu erhalten, und notwendige Reparaturen in Material und Technik dem Bestand entsprechend zu ergänzen. Ziel der anstehenden Restaurierung wird nicht eine nach heutiger Ansicht schöne neue Verputzoberfläche sein. Vielmehr steht die Bewahrung des authentischen Mörtels mit seinen im Lauf der Zeit hinzugekommenen Verwitterungs- und Altersspuren im Fokus. Die Denkmalpflege wird die nun anstehenden Versuche, einen materiell wie handwerklich dem Bestand angeglichenen Mörtel nachzubilden, eng begleiten. (Heiko Dobler)