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Lämmer, Lampen, Münzen

Nahaufnahme der in eine Schüssel eingefüllten Öllampen.

Ein spektakulärer wie rätselhafter Depotfund kommt in Windisch zum Vorschein: In und um eine Schüssel lagen 22 Öllampen, 21 Münzen und 22 Lammkeulen.

Einmal mehr sorgt Vindonissa für eine Überraschung! Nur wenige Handbreit unter dem Asphalt kommt im Herbst 2016 auf der Grabung Windisch-Zürcherstrasse ein ebenso spektakulärer wie rätselhafter Fund zum Vorschein: Eigentlich handelt es sich um eine ganz normale Kochschüssel, deren Inhalt jedoch alles andere als gewöhnlich ist. In und um die Schüssel wurden einst insgesamt 22 Öllampen, 21 Münzen und die Reste von mindestens 22 verbrannten Lammkeulen deponiert. Der einzigartige Fund beschäftigt seither die Archäologinnen und Archäologen.

Religion und Rituale in Vindonissa

Die Schüssel kurz vor der Bergung. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Religion spielte in römischer Zeit im Leben der Menschen eine wichtige Rolle, und dies quer durch alle sozialen Schichten. Unsere Kenntnis der römischen Religion stammt vorwiegend aus antiken Texten, wie jenen des Politikers und Schriftstellers Marcus Tullius Cicero, und gilt vor allem für Rom.

Auch die Menschen in Vindonissa waren damals geprägt von ihren religiösen Vorstellungen. Freilich fehlen uns hier die antiken Texte, sodass die Bodenfunde die einzigen Zeugen sind. Oftmals sind sie aber nur schwer interpretierbar.

Und trotzdem: wie faszinierend ist es, wenn ein Fund wie der hier vorgestellte, entdeckt wird! Denn auch nach 2000 Jahren erahnen wir noch etwas von der geistigen Welt der damaligen Menschen und ihrem Willen, mit den Göttern in Kontakt zu treten.

Mit den Göttern in Kontakt treten

Räucherkelch und Opfermesser. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Der wichtigste Wesenszug der römischen Religion war das korrekte Ausführen von Ritualen. Dazu gehörte als zentraler Akt das Opfer, also das Darbringen einer Gabe. Die Gaben konnten unblutig sein (zum Beispiel Wein, Weihrauch oder Früchte) oder blutig (zum Beispiel Hühner, Schafe, Schweine, Rinder).

Die Rituale dienten dazu, mit den Göttern in Kontakt zu treten, und die Opfer waren für die Menschen von damals eng mit der Vorstellung eines gemeinsamen Mahls verbunden. Zu opfern hiess, mit den Göttern zu speisen, denn in der antiken Vorstellung galt das Prinzip "do ut des" (ich gebe, damit du gibst). Die Speisen wurden in zwei Teile geteilt, der eine Teil gebührte den Göttern, der andere den Sterblichen. Auf diese Weise konnten die Menschen die Götter um etwas bitten oder sich bei ihnen bedanken, indem sie mit einer Opfergabe ein Gelübde einlösten.

Vielfältige Rituale bei Tag und bei Nacht

Ring mit Opferszene.
Römischer Ringstein, Karneol. Stiftung Leo Merz, Bern.

Die Römer verehrten viele unterschiedliche Götter, und diese waren überall im Leben der Menschen präsent. Zu den Besonderheiten der römischen Religion gehört die Trennung zwischen öffentlichen, durch die Allgemeinheit finanzierten Ritualen (sacra publica) und familiären oder individuellen Ritualen (sacra privata).

Öffentliche Rituale wurden durch Vertreter der öffentlichen Gemeinschaft ausgerichtet und fanden in der Regel im Freien, vor einem Tempel, in der Nähe eines Altares und in Anwesenheit der Gemeinde statt. Private Rituale spielten sich hingegen im familiären, häuslichen Rahmen ab. Sie konnten neben den Göttern auch den Ahnen gelten. Ausserdem gab es magische Rituale, die vorzugsweise im Geheimen, an abgelegenen Orten und bei Nacht durchgeführt wurden.

Lampen und Münzen – symbolische Gaben

Drei Lampen und drei Münzen (Vorder- und Rückseite). Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Einzelne Scherben von Keramikgefässen oder Tonlampen sind gängige Funde bei Ausgrabungen. Sie gelangten als Abfall in den Boden. Sind aber Gefässe oder Lampen ganz erhalten, wurden sie oftmals bewusst deponiert: zum Beispiel in einem Grab, zur Vorratshaltung, zur Verwahrung von Wertgegenständen oder als Gaben an die Götter.

Das vorliegende Ensemble weist ein vollständig erhaltenes Gefäss und intakte Lampen auf. Zusätzlich wurden Münzen bewusst auf die Lampen gelegt und diese lagen nach fast 2000 Jahren im Boden teilweise immer noch dort!

Weder Lampen noch Münzen waren viel wert. Es dürfte sich deshalb um symbolische Gaben handeln.

Ausserhalb des Lagers, unter freiem Himmel

Rekonstruktion des Legionslagers im 1. Jahrhundert n. Chr. Gelb: Lampendepot; weiss: sichere Heiligtümer; blau: vermutete Heiligtümer. Umsetzung: ikonaut/Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Die verbrannten Lammkeulen, Lampen und Münzen wurden frühestens in den Jahren 68/69 n. Chr. deponiert. Wie die Bebauung südlich des Legionslagers zu diesem Zeitpunkt genau aussah, können wir heute noch nicht mit Sicherheit sagen, da die archäologischen Forschungen hier noch im Gange sind.

Wahrscheinlich ist, dass die Grube, in welcher die Überreste der rituellen Handlung deponiert wurden (Fundort: gelber Kreis), einstmals nicht im Bereich eines Hauses, sondern unter freiem Himmel lag.

Derzeit kennen wir in Vindonissa zwei heilige Bezirke innerhalb des Legionslagers und einen sicheren sowie zwei vermutete ausserhalb der Lagermauern (sichere Heiligtümer: weisse Kreise, vermutete: blaue Kreise).

Ausgewählt, abgezählt – für welches Ritual?

Das ganze Ensemble des Lampendepots. Links: Funde aus der Schüssel; rechts: Funde ausserhalb der Schüssel. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Nach allem, was wir heute wissen, handelt es sich bei den in der Grube deponierten Objekten um die Überreste eines komplexen Rituals. Die Zahlen 11 und 21 könnten dabei eine besondere Rolle gespielt haben: das Ensemble enthält 21 Bronzemünzen, 21 Lampen – wenn man die zuunterst in der Grube deponierte Lampe nicht mitzählt – sowie die Reste von mindestens 11 geopferten Lämmern. Zufall?

Die vielen Lampen könnten darauf hinweisen, dass hier die Reste eines nächtlichen Rituals vorliegen. Einen offiziellen Charakter dürfte das Ritual eher nicht gehabt haben, denn diese fanden in der Regel in einem heiligen Bezirk statt und die Reste wurden auch dort deponiert.

Lämmer, Lampen, Münzen – wer opferte?

Szene aus Vindonissa. © Ch. Meyer zu Ermgassen / J. Rohrer.

Die Akteure haben von sich selbst keine Zeugnisse hinterlassen und bleiben deshalb anonym. In Frage kommen sowohl zivile Personen aus dem Umfeld des Legionslagers als auch Angehörige der römischen Armee, die ein solches Ritual im Rahmen einer privaten Kulthandlung ausgeführt haben könnten.

Obwohl die Anzahl der Gaben auffällt, ist es zu gewagt, eine Verbindung zur 21. und 11. Legion herzustellen, die in der fraglichen Zeit nacheinander in Vindonissa stationiert waren. Mit derartigen Zahlenspielen stossen wir an die Grenzen der Interpretierbarkeit archäologischer Bodenfunde.

Mehr zum Thema

  • Religion in Vindonissa. Begleitbroschüre zur Station "Fahnenheiligtum". Museum Aargau (Hrsg.), 2017.
  • In der Station "Fahnenheiligtum" des Legionärspfads lässt sich ein Nachbau des wichtigsten Kultortes innerhalb eines Legionslagers begehen und erleben.