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Oktober 2024

"Über Grenzen hinaus denken und handeln"

Landammann Markus Dieth beleuchtet im Interview, wie der Aargau als Grenzkanton von seiner besonderen Lage profitiert und welche Herausforderungen dies mit sich bringt. Er betont die Bedeutung der Zusammenarbeit über Landes- und Kantonsgrenzen hinweg und erläutert, wie der Kanton Aargau aktiv die Zukunft gestaltet, um Wirtschaft und Lebensqualität nachhaltig zu stärken.

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Was bedeutet der Begriff "Grenzen" Ihnen persönlich?

Jeder hat Grenzen, sei es auf Gemeinde-, Kantons- oder Staatsebene oder persönlich. Grenzen bieten Schutz und die Freiheit, unseren Bereich nach unseren Bedürfnissen zu gestalten. Grenzen sind aber keine Hindernisse, sie sind Orte, ab denen wir nicht mehr alleine handeln können, sondern auf Zusammenarbeit und Austausch angewiesen sind. An den Grenzen beginnt das Miteinander, das Reden und das gemeinsame Schaffen.

Der Aargau ist von seiner Geschichte und geopolitischen Lage her ein Grenzkanton schlechthin. Dadurch ist er einerseits eine Verkehrs-, Energie- oder Logistikdrehscheibe von nationaler Bedeutung, andererseits hat er auch Lasten und Belastungen zu tragen, zum Beispiel im Sicherheitsbereich. Empfinden Sie den Status Grenzkanton für den Aargau eher als Bereicherung und Chance oder als Bürde mit vielen Risiken?

Ein Grenzkanton zu sein ist für den Aargau ganz klar eine Bereicherung. Sowohl die Wirtschaft wie auch die Gesellschaft profitieren von dieser Lage: Die hier angesiedelten Unternehmen sind stark exportorientiert. Im Kanton Aargau arbeiten 15'000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die einen wichtigen Beitrag zu einem starken Wirtschaftsstandort und zur Grundversorgung leisten. Und die Bevölkerung in den Grenzregionen ist international ausgerichtet. Für die Bevölkerung beispielsweise im Fricktal oder Zurzibiet ist die Nachbarregion Baden-Württemberg vielfach genauso wichtig wie die Nachbarregionen im Inland.

Der Kanton Aargau grenzt an die grösste und wichtigste Grossregion der Schweiz, an die Wirtschaftsmetropole Zürich; aber auch an die Grossregionen Zentralschweiz oder Basel. Was bedeutet dies bezüglich Bevölkerungsentwicklung, Mobilität der Arbeitskräfte oder die Wirtschafts- und Finanzstruktur des Kantons?

Der Aargau ist rein schon geographisch ein sehr föderalistischer Kanton. Wirtschaft und Bevölkerung des Aargaus sind stark grenzüberschreitend ausgerichtet, was bedeutet, dass sie von der Nähe zu wichtigen Wirtschaftszentren der Schweiz profitieren. Diese Nähe führt jedoch auch zu vielen Pendlerbewegungen, erhöhtem Verkehrsaufkommen und potenziell zur Abwanderung von Arbeitskräften in die umliegenden Wirtschaftszentren. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, verfolgt der Kanton Aargau mit dem Programm "Aargau 2030" eine Strategie zur Stärkung des Wohn- und Wirtschaftsstandorts. Ein Ziel dabei ist es, Wohnen und Arbeiten näher zusammenzubringen, mehr Wertschöpfung im Kanton zu generieren und damit auch die Pendlerbewegungen zu reduzieren.

Welches sind die wichtigsten Nachbarn des Kantons Aargau?

Alle Nachbarn des Kantons Aargau haben unterschiedliche Qualitäten und sind wichtig. Die Region Basel zeichnet sich durch ihren starken Pharmastandort aus, Zürich ist das Finanzzentrum der Schweiz, Bern ist Verwaltung und Hauptstadt, die Region Innerschweiz beherbergt hochkarätige Industrieunternehmen und bietet eine wunderbare Natur. Und - Baden-Württemberg ist Teil eines grossen Exportmarkts und Heimat vieler hochqualifizierter Grenzgängerinnen und Grenzgänger.

Was empfinden Sie im kleinen oder auch grossen Grenzverkehr als Trennendes, was als Verbindendes?

Aus Aargauer Sicht ist natürlich der Rhein, die sichtbarste und oftmals eben auch trennende Grenze. Gleichzeitig aber auch verbindend, denn dank dem Rhein hat sich bereits früh viel Industrie im Aargau angesiedelt und strahlt heute auf beide Seiten der Grenze aus. Ja - und natürlich die Grenzkontrollen waren lange Zeit etwas Trennendes. Viele junge Leute können sich das gar nicht mehr vorstellen. Auch darum ist es mir wichtig, dass wir unsere Beziehungen mit der EU nachhaltig regeln und weiterhin von positiven Errungenschaften profitieren können, beispielsweise dem Schengenraum und dem freien Personenverkehr.

Aussenpolitik ist eigentlich Sache des Bundes. Der Aargau pflegt mit dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg enge Beziehungen. Wie frei ist der Kanton dabei? Welche Themen bilden die Schwerpunkte?

Aussenpolitik ist Sache des Bunds, der Bund muss dabei aber die Interessen der Kantone berücksichtigen. Zudem sind die Kantone frei, in Bereichen, die in ihre Zuständigkeit fallen, direkt mit dem Ausland zu verhandeln und sogar Verträge zu schliessen. Der Kanton Aargau nutzt diese Möglichkeiten und konzentriert sich dabei vor allem auf Fragen in den Bereichen Verkehr, Arbeit sowie Gesundheit und Soziales.

Sie präsidieren die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK). Dieses Gremium koordiniert unter anderem kantonsgrenzenüberschreitend die Interessenvertretung der 26 Kantone gegenüber dem Bund. Dabei geht es oft auch um Abgrenzungsfragen betreffend Kompetenzen, Pflichten, Zuständigkeiten, Finanzierungsfragen usw. – Wie erleben Sie diese Herausforderung?

Es ist eine extrem spannende Aufgabe. Als Regierungsrat des Kantons Aargau, der wie gesagt ein Kanton der Regionen ist und notabene der 4. Grösste, kenne ich zudem viele Herausforderungen aus eigener Erfahrung. Auch wir setzen uns laufend mit der Kompetenzfrage zwischen Kanton und Gemeinden sowie regionalpolitischen Fragen auseinander. Auf nationaler Ebene sind die Diskussionen jedoch oftmals noch intensiver, und die regionalen Unterschiede sind vielfach grösser. Ich erlebe die Diskussion zwischen den Kantonen aber als sehr konstruktiv. Und ich spüre in meinen Gesprächen und der engen Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Bundesrats oder des Bundesparlaments auch, dass die Haltung der KdK ein entsprechendes Gewicht hat. Das ist eine grosse Motivation, die nötige Energie einzusetzen, um die Stimme der Kantone zu einen und so Einfluss auf wichtige Entscheidungen für die Kantone auf Bundesebene nehmen zu können.

Welchen Stellenwert hat die KdK für den Kanton Aargau. Wo tritt er gegenüber dem Bund eigenständig auf, wo bringt er sich via KdK ein?

Die KdK ist dann stark und wichtig, wenn es um Fragen geht, die alle oder eine Vielzahl von Kantonen gleichermassen betreffen, beispielsweise beim Finanzausgleich, der Integrationsmassnahmen oder auch der Mitsprache in der Aussenpolitik. Zudem zeigte sich gerade in der Coronazeit, dass die KdK in Krisenzeiten eine entscheidende Rolle spielt. Wenn es schnell gehen muss, ist es für den Bund wichtig, dass er nicht 26 Kantone befragen muss, sondern über die KdK rasch eine konsolidierte Haltung erhält. Einen SPOC – singel point of contact.

Der Kanton Aargau hat jedoch auch Interessen, die vor allem ihn selbst oder unsere Region betreffen. Diese Anliegen bringen wir weiterhin selbst direkt oder über regionale Regierungskonferenzen – beispielsweise die Nordwestschweizer Regierungskonferenz oder die Metropolitanregion Zürich – in den bundespolitischen Prozess ein.