Neuregelung der familienergänzenden Kinderbetreuung
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Regierungsrat legt Gegenvorschlag zur Volksinitiative "Kinder und Eltern" vor
Die familienergänzende Kinderbetreuung im Kanton Aargau soll neu geregelt werden. Der Regierungsrat legt einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative "Kinder und Eltern" vor. Auf diese Weise soll der dynamischen Entwicklung der Kinderbetreuung mit Rücksicht auf unterschiedliche regionale und kommunale Bedürfnisse Rechnung getragen werden.
Die Teilrevision des Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe und die soziale Prävention (SPG) im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung wurde am 10. Januar 2012 in zweiter Lesung vom Grossen Rat abgelehnt. Am 27. März 2012 überwies der Grosse Rat vier Motionen in der Form des Postulates zum Thema. Am 9. April 2013 reichte der Aargauische Lehrerinnen- und Lehrerverband (ALV) die Aargauische Volksinitiative "Kinder und Eltern" bei der Staatskanzlei ein. Die Volksinitiative entspricht den Formvorschriften und ist in formeller Hinsicht gültig zustande gekommen. Sie ist als rechtsetzerisch vollständig ausformulierte und formell umsetzbare Regelung konzipiert und genügt den Erfordernissen der Einheit der Form und Materie.
Keine Neuauflage der Gesetzesrevision
Die Initiantinnen und Initianten der Volksinitiative beabsichtigen eine umfassende Regelung der familienergänzenden Kinderbetreuung mit relativ hoher Regelungsdichte. Der Gesetzesentwurf lehnt sich inhaltlich stark an die schliesslich abgelehnte Teilrevision des SPG an und geht zum Teil darüber hinaus. Der Regierungsrat lehnt die Volksinitiative insbesondere mit Verweis auf die Ablehnung der familienergänzenden Kinderbetreuung im Rahmen der Teilrevision des SPG ab. Damals wurden insbesondere Umfang und Tiefe der vorgeschlagenen Detailregelungen in Zweifel gezogen. Der Regierungsrat erachtet es nicht als zielführend, einen ausformulierten Gesetzesvorschlag zu empfehlen, der in wesentlichen Teilen neuerlich Detailregelungen vorschlägt. Mit der Vorlage eines direkten Gegenvorschlags trägt er den Anliegen der Postulanten Rechnung. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, dass im Kanton Aargau eine Regelung der familienergänzenden Kinderbetreuung erfolgen kann, welche die Grundzüge derselben in einem separaten Erlass fasst und den finanzierenden Gemeinden bei der Umsetzung auf der Grundlage von soliden Empfehlungen den notwendigen Spielraum lässt. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die dynamische Entwicklung der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung zum einen in einem sicheren gesetzlichen Rahmen, zum andern mit Rücksicht auf unterschiedliche regionale und kommunale Bedürfnisse stattfinden kann.
Verpflichtend, bedarfsgerecht, freiwillig
Der Gegenvorschlag stellt sich wie folgt dar:
- Die Gemeinden werden verpflichtet, den Zugang zu einem bedarfsgerechten Angebot an familienergänzender Betreuung von Kindern bis zum Abschluss der Primarschule sicherzustellen. Die Aufgabe kann in Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden oder Dritten erfüllt werden.
- Die Bedarfsgerechtigkeit richtet sich nach folgenden Kriterien: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Ausbildung wird erleichtert. Die gesellschaftliche, insbesondere sprachliche Integration sowie die Chancengerechtigkeit der Kinder werden verbessert.
- Die Benützung der Angebote der familienergänzenden Kinderbetreuung ist freiwillig. Die Erziehungsberechtigten haben die Wahlfreiheit in Bezug auf das Betreuungsangebot und den Betreuungsort.
- Die Standortgemeinden erlassen Vorschriften zur Qualität des Betreuungsangebots und sind für die Aufsicht zuständig.
- Das zuständige Departement kann Massnahmen zur Förderung der familienergänzenden Kinderbetreuung treffen.
- Die Erziehungsberechtigten tragen die Kosten der familienergänzenden Kinderbetreuung. Die Wohnsitzgemeinden beteiligen sich nach Massgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Erziehungsberechtigten an den Kosten. Sie legen den Umfang der Kostenbeteiligung fest.
- Die Lastenverschiebung, die sich durch den Wegfall bisheriger Kantonsbeiträge in der Höhe von 1,5 Millionen Franken ergibt, soll ausgeglichen werden. Die Mehrkosten der Gemeinden werden in der Übersicht über die reformbedingten Mehr- und Minderbelastungen von Kanton und Gemeinden dargestellt.
Mehrkosten, aber auch Mehrnutzen
Die Gesamtkosten der familienergänzenden Kinderbetreuung belaufen sich aktuell auf 94,3 Millionen Franken. Gemäss Kostenschätzung wird die Neuregelung dazu führen, dass die Gesamtkosten bis im Jahr 2023 um 24,3 Millionen Franken steigen werden, was bei einer linearen Verteilung auf zehn Jahre einer durchschnittlichen jährlichen Kostensteigerung von rund 2,6 Prozent entspricht. Aktuell fliessen bereits rund 13,0 Millionen Franken Subventionen der Gemeinden in die familienergänzende Kinderbetreuung. Die prognostizierten Mehrkosten der Gemeinden im Jahr 2023 werden zwischen 10,5 und 58,0 Millionen Franken liegen. Der Anteil der Erziehungsberechtigten an den Bruttokosten wird zwischen 47,5 und 95,0 Millionen Franken liegen.
Die Mehrkosten müssen in der Gesamtwürdigung um einiges relativiert werden. Investitionen in diesem Bereich lohnen sich in mehrfacher Hinsicht:
- Sie führen zu Mehrbeschäftigung der Erziehungsberechtigten und damit zu zusätzlichen Steuereinnahmen.
- Sie leisten einen Beitrag zur Integration und Sozialisation der Kinder, insbesondere aus bildungsfernen Familien, und tragen damit zur Reduzierung schulischer Sondermassnahmen bei.
- Sie bewirken einen höheren Lohnsatz – insbesondere von Frauen – aufgrund der kontinuierlichen und erhöhten Erwerbspartizipation, was zu tieferen Sozialhilfeausgaben führen wird.
- Eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt ermöglicht die Äufnung der Altersvorsorge und verhindert damit die Abhängigkeit von Ergänzungsleistungen oder Sozialhilfe im Rentenalter.
- Familienergänzende Betreuungsangebote tragen zur Standortattraktivität von Kanton und Gemeinden bei.
- Bedürfnisgerechte familienergänzende Betreuungsangebote ermöglichen insbesondere Frauen die Erwerbstätigkeit während der Familienphase und sie können den Zuzug von bildungsnahen Familien fördern. Damit tragen sie dazu bei, den Fachkräftemangel zu entschärfen und ermöglichen eine bessere Ausschöpfung des Reservoirs an inländischen Arbeitskräften.
- Verschiedene Studien belegen den volkswirtschaftlichen Nutzen der familienergänzenden Kinderbetreuung. Die Kosten-Nutzen-Analyse zur familienergänzenden Kinderbetreuung in der Stadt Zürich zeigt, dass jeder in die familienergänzende Kinderbetreuung investierte Franken rund 1,6-fach unmittelbar zurückfliesst.
Inkraftsetzung auf Anfang Mai 2016 geplant
Der Regierungsrat stellt dem Grossen Rat den Antrag, die Initiative in formeller und materieller Hinsicht als gültig zu erklären, dem Volksinitiativbegehren den Gegenvorschlag des Regierungsrats gegenüberzustellen und den Stimmberechtigten das Volksinitiativbegehren zur Ablehnung zu empfehlen. Die Beratungen im Grossen Rat sind zwischen November 2014 und August 2015 vorgesehen, eine Volksabstimmung könnte Ende Februar 2016 stattfinden. Die Inkraftsetzung ist auf Anfang Mai 2016 geplant.