Angespannte Lage im Asylwesen: Fehlender Wohnraum für Geflüchtete
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Hohe Zuweisungszahlen des Bundes erfordern dringend weitere Unterbringungsplätze
Die Asylstrukturen von Kanton und Gemeinden sind wegen der anhaltend hohen Anzahl an zugewiesenen Geflüchteten beinahe erschöpft. Der Kantonale Sozialdienst (KSD) geht aufgrund aktueller Prognosen davon aus, dass bis Ende Jahr 500 weitere Personen vom Bund zugewiesen werden. Der Kanton eröffnet deshalb in wenigen Tagen die vierte unterirdische Notunterkunft und die bestehende Notunterkunft in Birmenstorf wird in eine Familienunterkunft umgewandelt. Ab 1. Januar 2024 wird der KSD die gesetzlich vorgesehene Ersatzabgabe für Gemeinden erheben, wenn diese ihre Aufnahmepflicht nicht erfüllen.
Prognosen des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigen, dass die Asylstrukturen in den nächsten Monaten weiterhin durch hohe Zuweisungszahlen strapaziert werden. Es ist unumgänglich, zusätzliche Unterbringungsplätze zu schaffen. Die kantonalen Unterkünfte sind überlastet; gleichzeitig gibt es auch bei den Gemeinden kaum noch freie Plätze.
Für geflüchtete Familien ist die Wohnungsnot besonders prekär: Wegen fehlender Plätze für Familien muss der Kantonale Sozialdienst (KSD) den unterirdischen Schutzraum Birmenstorf in eine Familienunterkunft für rund 100 Personen umfunktionieren und die dort untergebrachten Männer in andere Unterkünfte verteilen. Der Entscheid wurde in Absprache mit dem Gemeinderat Birmenstorf aufgrund der positiven Erfahrungen mit der Familienunterkunft in der Geschützten Operationsstelle (GOPS) Muri gefällt. Die unterirdische Unterbringung geflüchteter Familien soll jedoch nicht länger als nötig andauern. Beim Schutzraum Birmenstorf handelt es sich neben der GOPS Muri um die zweite unterirdische Schutzanlage, die mit Familien belegt wird. Es handelt sich dabei um unterirdische Unterkünfte, die sich am ehesten für Familien eignen. Die Betreuung im Schutzraum Birmenstorf wird weiterhin durch die ORS Service AG sichergestellt. Sie stellt für die Familien zusätzlich Container als Familien-Aufenthaltsraum oder als Klassenzimmer bereit. Die schulpflichtigen Kinder werden den kantonalen Einschulungsvorbereitungskurs (EVK) bei der Unterkunft besuchen und den Schulbetrieb der Gemeinde nicht belasten. Die geflüchteten Familien sollen den Schutzraum Birmenstorf ab 11. Dezember 2023 beziehen.
Der Kanton Aargau wird – wie bereits kommuniziert – zudem am 11. Dezember 2023 mit der geschützten Sanitätsstelle Lenzburg die vierte Notunterkunft mit bis zu 150 Plätzen in Betrieb nehmen. Sie dient als neue Unterbringung der asylsuchenden Männer aus der Anlage Birmenstorf. Die vier Unterkünfte in Aarau, Lenzburg, Muri und Birmenstorf bieten Platz für insgesamt 500 bis 600 Geflüchtete. Die Eröffnung weiterer Notunterkünfte dürfte angesichts der aktuellen Entwicklung bald nötig sein.
Zuständigkeiten gesetzlich geregelt
Der Kanton ist gesetzlich verpflichtet, die ihm vom Bund zugewiesenen Geflüchteten gemäss Verteilschlüssel (8,1 Prozent der in die Schweiz gelangten Geflüchteten) aufzunehmen. Der Kanton ist zuständig für die Personen im laufenden Asylverfahren (Ausweis N) sowie für ausreisepflichtige Personen. Bis zum Abschluss des Asylverfahrens ist der Kanton für die Unterbringung der Schutzsuchenden zuständig. Der KSD verteilt die Personen anschliessend gemäss rechtlicher Zuständigkeit in kantonale oder kommunale Unterkünfte. Für die Gemeinden besteht eine gesetzliche Aufnahmepflicht für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer (Ausweis F-VA) sowie Schutzbedürftige (Ausweis S).
Der Kanton ist angesichts der anhaltend hohen Zuweisungen des SEM darauf angewiesen, dass die Gemeinden ihrer Aufnahmepflicht für Personen, die in ihre Zuständigkeit fallen, nachkommen. Der KSD ist sich der grossen Herausforderung bewusst und bedankt sich bei den Gemeinden für die konstruktive Zusammenarbeit. Die Gemeinden haben seit Beginn des Ukraine-Kriegs mit grossem Einsatz zahlreiche neue Plätze geschaffen. Zurzeit bestehen in den Gemeinden wenige freie Plätze: Den 217 zu verteilenden Personen stehen lediglich 130 belegbare Reserveplätze in Gemeindeunterkünften gegenüber. Der geeignete Wohnraum fehlt mittlerweile an vielen Orten, sodass andere Lösungen gefunden werden müssen.
Gesetzliche Aufnahmepflicht
Die kantonale Gesetzgebung sieht vor, dass die Gemeinden ihre Aufnahmepflicht laufend zu erfüllen haben. Dazu erhalten sie vom KSD monatlich eine Auswertung ihrer Aufnahmepflicht sowie quartalsweise eine Verfügung mit der Anweisung, allfällige fehlende Unterbringungsplätze bereitzustellen. Stichdatum für den Start des nächsten Verfügungsprozesses ist der 1. Januar 2024. Gemeinden, die per diesem Stichdatum die Aufnahmepflicht (individuell oder in einem Gemeindeverbund) nicht erfüllen und dem KSD nicht genügend verfügbare Plätze gemeldet haben, erhalten nach der Auswertung eine Zuweisungsverfügung mit letztmöglicher Frist (30 Tage) zur Aufnahme der noch ausstehenden Anzahl Personen beziehungsweise der Meldung von Plätzen. Wegen der Pflicht der Gemeinden zur Aufnahme von Personen gemäss § 18a Abs. 1 des Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe und die soziale Prävention (SPG) gibt es keinen Spielraum für das Gewähren von Nachfristen. Die Kostenpauschale für die Ersatzzahlung, die der Gemeinde bei Verstreichen der Frist auferlegt wird, beträgt 90 Franken pro Person und Tag.
Hohe Zuweisungszahlen
Das SEM hat dem Kanton Aargau vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2023 insgesamt rund 2'600 Schutzsuchende aus der Ukraine und Personen aus dem regulären Asylbereich zugewiesen. Per 31. Oktober 2023 lebten im Kanton Aargau total 8'837 Geflüchtete, davon über 1'000 Personen im laufenden Asylverfahren (Ausweis N) in kantonalen Unterkünften. Das SEM hat kürzlich mitgeteilt, dass der Status eines Grossteils dieser Personen Anfang 2024 geregelt sein wird – ein grosser Teil dieser Personen dürfte dann in die Zuständigkeit der Gemeinden fallen und damit die Aufnahmepflicht der Gemeinden erhöhen. Der KSD empfiehlt den Gemeinden dringend, sich auf dieses Szenario vorzubereiten, um ab Anfang 2024 zusätzliche Personen aufzunehmen zu können.
Die anhaltende Asylkrise kann nur mit genügend Unterbringungsplätzen bewältigt werden – dies bedingt eine weiterhin gute Kooperation zwischen Kanton und Gemeinden und das Erfüllen der jeweiligen gesetzlichen Pflichten. Der KSD trägt mit einer Eventualplanung dazu bei und wird bei Bedarf weitere Notunterkünfte eröffnen. Dabei ist zu beachten, dass die Eignung der Zivilschutzanlagen abnehmen wird. Gleichzeitig wird es schwieriger werden, in der benötigten Zeit Betreuungsteams zu rekrutieren.