INV-UNS929K Direktorenvilla Stroppel, 1910-1911 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-UNS929K
Signatur Archivplan:UNS929K
Titel:Direktorenvilla Stroppel
Bezirk:Baden
Gemeinde:Untersiggenthal
Ortsteil / Weiler / Flurname:Stroppel
Adresse:Stroppelstrasse 11
Versicherungs-Nr.:268
Parzellen-Nr.:3108
Koordinate E:2660294
Koordinate N:1261797
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2660294&y=1261797

Chronologie

Entstehungszeitraum:1910 - 1911
Grundlage Datierung:Inschrift (Antrittspfosten Treppenhaus); Brandkataster

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:Bauten der Nähfadenfabrik Stroppel (Bauinventarobjekte UNS929A-J, L-M)
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Repräsentatives Wohnhaus, Villa

Dokumentation

Würdigung:Originell gestaltetes Heimatstilhaus, das 1909-11 als kleinformatige Direktorenvilla in unmittelbarer Nähe zur Nähfadenfabrik und zum bereits bestehenden "Meisterhaus" (Bauinventarobjekte UNS929A-J) im Stroppel errichtet wurde. Das mit zeittypischem Besenwurf verputzte Gebäude ist unter einem Mansardgiebeldach geborgen, das ein vollständig ausgebautes Obergeschoss kaschiert. Zur Limmat hin öffnet sich der Bau mit einem breiten Giebel und einer grosszügig durchfensterten Fassade, vor der eine für die einheimische Bautradition aussergewöhnliche, sich über die ganze Gebäudebreite erstreckende Veranda zum Garten vermittelt. Im Innern hat sich die bauzeitliche Ausstattung mit einzelnen künstlerisch wertvollen Details weitgehend erhalten. Das sanierungsbedürftige Gebäude ist als stattlichster Wohnbau und wichtiger Bestandteil der Ausbauphase um 1910, als die hierarchisch angelegte Fabriksiedlung von 1870 erweitert wurde, von erheblicher sozial- und industriegeschichtlicher Bedeutung.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Fabrikanlage allgemein:
1869 nahm der Zürcher Unternehmer Emil Escher-Hotz in der von ihm im Stroppel neu erstellten mechanischen Nähfadenfabrik die Produktion auf [1]. Gemäss Brandkataster von 1875 umfasste das Fabrikareal damals folgende Gebäude: "1. Färberei- und Bleichereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929D], einstöckig, von Stein erbaut mit Dampfkamin und zwei gewölbten Räumen im Erdgeschoss; 2. Zwirnereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929A], dreistöckig, von Stein erbaut; 3. Poliergebäude [Bauinventarobjekt UNS929C], einstöckig, zwischen dem 1. und 2. Gebäude eingebaut, mit Blech- und Glasdach; 4. Turbinenhaus [Vorgängerbau des vorliegenden heutigen Kraftwerks von 1908/1932, Bauinventarobjekt UNS929B], einstöckig, von Stein, Riegel und Holz; 5. Sägegebäude [Bauinventarobjekt UNS929G], an das Werkstattgebäude angebaut, einstöckig, von Stein, Holz und Riegel, mit Anbau, 1 Vertikalsäge, 2 Zirkularsägen, 1 Bandsäge nebst Getriebe; 6. Werkstattgebäude [Bauinventarobjekt UNS929H], zweistöckig; 7. Ökonomiegebäude mit angebauter Stallung [Bauinventarobjekt UNS929I] [2]." Zur Anlage gehörten ausserdem ein unmittelbar neben dem Ökonomiegebäude stehendes zweistöckiges Wohnhaus mit drei Wohnungen (sog. "Meisterhaus", Bauinventarobjekt UNS929J) und im Roost zwei zweistöckige Arbeiterwohnhäuser (beide abgebrochen). Um das Einzugsgebiet für auswärts wohnende Arbeitskräfte auch auf die andere Uferseite erweitern zu können, unterhielt Escher-Hotz 1869-72 eine Fähre und 1872-1881 einen Fussgängersteg über die Limmat [3]. Mit 259 Arbeiterinnen und Arbeitern erreichte die Fabrik 1883 einen Spitzenwert [4]. 1885 beschäftigte sie noch 225 Personen – zu drei Viertel Frauen und Mädchen – und war damit die achtgrösste Fabrik im Kanton [5].
1906 wurde die Firma von den Erben Eschers an die weltweit tätige schottische Unternehmergruppe für Nähfaden und Handarbeitsgarne, J. & P. Coats Ltd. in Glasgow verkauft und 1907 in die "Zwirnerei Stroppel AG" umgewandelt. Es folgten ein Umbau und eine Modernisierung der Anlagen, wobei das Turbinenhaus zu einem Kraftwerk (Bauinventarobjekt UNS929B) umgebaut und die Fabrik elektrifiziert wurden [6]. Neu hinzu kamen in dieser zweiten Bauetappe zwischen 1907 und 1911 flussaufwärts die neue Färberei (Bauinventarobjekt UNS929E), die Mitte 20. Jh. ein Sheddach erhielt, das Kesselhaus mit Hochkamin (Bauinventarobjekt UNS929F) und das Wasseraufbereitungsgebäude am südöstlichen Ende des Areals (nicht Bestandteil des Bauinventars). Ausserdem wurden in nordwestlicher Verlängerung der Anlage eine Direktorenvilla (hier beschrieben), ein Angestelltenwohnhaus und ein Arbeiterinnenheim mit Waschhaus (Bauinventarobjekte UNS929K-M) errichtet. Nach einem Brand im Jahr 1932 musste das Maschinenhaus des Kraftwerks neu gebaut werden [7].
Im Laufe der 1980er Jahre stellte Coats Stroppel AG die Produktion ein (Aufgabe der Zwirnerei 1985) und fokussierte sich auf den Handel mit Merceriewaren, was mit einer Stilllegung auch des Wasserkraftwerks einherging [8]. 1995 erwarb die Proma Energie AG das Kraftwerk und die historische Fabrikanlage. Nach einer sanften Nachrüstung und Automatisierung setzte sie das Kleinkraftwerk wieder in Betrieb. Seit 2011 wird es von der Axpo betrieben, welche die verbliebenen alten Maschinengruppen (Turbinen und Generatoren) auswechselte. Die anderen technischen Einrichtungen blieben teilweise museal vor Ort erhalten. Im Industrieareal entwickelte sich währenddessen ein Gewerbezentrum. Heute sind in den Gebäuden der ehemaligen Nähfadenfabrik verschiedene Nutzungen vereinigt, vom Kleingewerbe und Büroarbeitsplatz über Kunstateliers und Kulturbetriebe bis zu Wohnungen.

Direktorenvilla:
Gemäss Brandkataster wurde die Villa 1909 durch die dem schottischen Unternehmen Coats gehörende "Zwirnerei Stroppel A.G." mit Sitz in Turgi als "Direktorenwohnhaus" erstellt [1]. Der Ausbau wurde vermutlich erst 1911 vollendet (siehe Baujahr am Antrittspfosten des Treppenhauses). Der Bau hat bis heute keine wesentlichen Veränderungen erfahren und weist einen hohen Grad an ursprünglicher Bausubstanz auf. In verschiedenen Bereichen (z.B. Holzwerk Veranda, Verputz Fassaden) zeigt sich zunehmender Sanierungsbedarf.
Beschreibung:Die Direktorenvilla steht inmitten eines grossen, von alten, hohen Bäumen bewachsenen Gartengrundstücks, das sich nordwestseitig an jenes des "Meisterhauses" (Bauinventarobjekt UNS929J) anschliesst. Der über quadratnahem Grundriss errichtete Baukörper ist unter einem Mansarddach geborgen, das ein voll ausgebautes Obergeschoss kaschiert und sich mit einem Giebel zur Limmat hin öffnet. Nach Norden ist die hintere Haushälfte unter einem Halbwalm risalitartig verlängert, während nach Süden eine einfache Giebellukarne ausgebildet ist. Die übrige Belichtung des Dachgeschosses erfolgt über zwei grosse Schleppgauben, die nach Süden und Osten blicken. Die in zeittypischer Art mit grobem Besenwurf verputzten Fassaden zeigen eine für den Heimatstil charakteristische, individuelle Gestaltung. Vergleichsweise modern sind die mit Rollläden zu schliessenden, annähernd quadratischen Fensteröffnungen, die mit ihren schmalen, fassadenbündigen Rahmungen als nahezu gewändelose Mauereinschnitte in Erscheinung treten. Die nach Südwesten orientierte Vorderfront ist als einzige Seite achsensymmetrisch konzipiert mit zwei grossen, zweiflügligen Balkontüren am Erdgeschoss, die sich auf eine die ganze Gebäudebreite einnehmende Veranda öffnen, von wo man mittels einer frontalen Treppe direkt in den Garten gelangt. Diese unmittelbare Verbindung von Innenraum und Aussenraum ist gleichfalls ein moderner Zug, in dem sich vielleicht auch der Einfluss und Geschmack einer international geprägten Direktoren- und Bauherrschaft äussert. Die an den Seiten mit einem verglasten Windschutz ausgestattete Veranda besitzt ein abgewalmtes Vordach, das auf vier hölzernen Stützen mit einfachen eingeschnitzten Ornamenten, kapitellartigen Abschlüssen und hübsch ausgeschnittenen Winkelhölzern ruht. Darüber erstreckt sich, etwas zurückversetzt, ein fast ebenso langer Balkon, der über zwei schmale, eng neben grosse, dreiteilige Fenster gesetzte Balkontüren erschlossen ist. Das Giebelfeld ziert ein liegendes Ochsenauge.
Der Haupteingang befindet sich auf der nach Südosten zur Fabrik hin gerichteten Seite, in einer schmalen, leicht aus der Mitte verschobenen Fassadenpartie, die als glatt verputzter Risalit portalartig vorspringt. Er ist über einen erhöhten, gemauerten und an der Ecke mit der Veranda verbundenen Umgang erschlossen, der über eine längs dazu angelegte Treppe zu erreichen ist. Die rechteckige, ohne Gewände in den Risalit geschnittene Türöffnung wird von einem profilierten Kämpfer mit Zahnschnitt in ein darüber liegendes Oblicht und ein eichenes, noch aus der Bauzeit des Hauses stammendes Türblatt unterteilt. Dieses ist an den unteren Füllungen mit ornamentalen Vasenmotiven beschnitzt und besitzt im oberen Feld ein Fenster mit Gusseisengitter im geometrischen Jugendstil.
Ein Hintereingang, der heute als hauptsächlicher Hauseingang dient, ist in einem Mittelrisalit auf der Ostseite des Hauses angelegt. Von diesem gelangt man direkt ins Treppenhaus, das garadeaus auf einen L-förmigen Vorraum mit Terrazzoboden und Rupfenbespannung an den Wänden führt, um den herum die Räume angeordnet sind. Sämtliche Türen, sowohl im Erd- wie im Obergeschoss, werden von giebelförmig zulaufenden Rahmen eingefasst. Dazu haben sich die originalen Füllungstüren erhalten. Geradeaus liegen nebeneinander das Wohn- und das Esszimmer, die vom Gang aus über einen einfachen, grün glasierten Kachelofen in hoher, schlanker Kastenform beheizt werden können. Dieser ist über der Einfeuerung mit einem Wärmefach ausgestattet, das ein hübsches Jugendstil-Gusseisentürchen mit rosengeschmücktem Kranz zeigt. Das Wohnzimmer, das die südliche Ecke des Hauses einnimmt, verfügt zusätzlich über einen offenen Kamin mit hübschem, teilweise aus Messing gefertigtem Gestänge, Feuerbock und Funkenfang. Die Wände werden von Fussleisten mit einfachem Rillendekor und zur Decke hin von schmalen Gesimsprofilen eingefasst, während das Esszimmer ein schlichtes, aber sorgfältig gestaltetes Brusttäfer aufweist. Die Räume sind durch einen breiten Durchgang mit Ornamentfeldern an den oberen Ecken der Einfassung miteinander verbunden. Auf den Böden beider Räume ist ein jüngerer Klötzchenparkett verlegt. Noch aus der ersten Hälfte des 20. Jh. dürften die Plattenbeläge und die Einrichtung in der geräumigen Küche stammen, die sich auf der Nordostseite ans Esszimmer anschliesst. Gegen Südosten weitet sich der Gang zu einem direkt belichteten Vorraum, der durch eine breite, zweiflüglige Schwingtür mit kleinteilig sprossierter Verglasung vom Eingangsbereich des Haupteingangs abgetrennt ist. In der Ecke daneben ist eine Toilette untergebracht. Die zweiläufige Holztreppe ins Obergeschoss besitzt ein eichenes Geländer mit brettartigen Staketen, dessen Auftakt ein schön beschnitzter Antrittspfosten mit Lorbeerzweigen und dem Baujahr "1911" gibt. Die oberen Räume zeigen eine ähnliche Aufteilung wie im Erdgeschoss, wobei der Gang hier auf wenige Quadratmeter reduziert ist.
Insgesamt weist das Haus mit Ausnahme einiger jüngerer Böden noch vollumfänglich die bauzeitliche Ausstattung auf. Insbesondere bewahrt es die hochwertigen originalen Fenster und Vorfenster mit der zeittypischen, wesentlich zum Gesamtbild des Hauses beitragenden Sprosseneinteilung. Das Holzwerk der Veranda zeigt dringenden Sanierungsbedarf.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung BLN, BLN 1019 Wasserschloss beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat (Schutzziel 3.8 Die kulturhistorischen Zeugen der Wasserkraftnutzung und der frühen industriellen Entwicklung erhalten).
Anmerkungen:[1] Hoegger 1995, S. 175-176.
[2] Boner 1983, S. 188. Die abweichenden Bezeichnungen der Gebäude auf der Schautafel des Industriekulturpfads 1996 beziehen sich auf die Zeit nach dem Umbau und der Modernisierung der Bauten 1907-09.
[3] Lang/Steigmeier 1995, S. 23.
[4] Meier/Steigmeier 2008, S. 130.
[5] Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss 1996, S. 21.
[6] Lang/Steigmeier 1995, S. 5-6; Hoegger 1995, S. 175.
[7] Meier/Steigmeier 2008, S. 132 (Bildlegende Abb. 10)
[8] Hoegger 1995, S. 175-176; Lang/Steigmeier 1995, S. 6-7; AZ vom 22. Juni 2012, S. 31; Meier/Steigmeier 2008, S. 131.
[9] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938.
Literatur:- Georg Boner, Die Geschichte der Gemeinde Untersiggenthal, Baden 1983, S. 186-190 (zur Nähfadenfabrik allgemein).
- Peter Hoegger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 7, Basel 1995, S. 175-177 (Wohnbauten S. 177).
- Der Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss im Raum Turgi-Untersiggenthal-Vogelsang (Dokumentation 5), Baden 1996, S. 19-21 (zur Nähfadenfabrik allgemein).
- Norbert Lang/Andreas Steigmeier, Fabrikanlage und Kraftwerk Stroppel (Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss, Dokumentation 2), Baden 1995, S. 21-24 (zu den Wohnbauten um 1907-1911).
- Bruno Meier/Andreas Steigmeier, Untersiggenthal. Eine Gemeinde im Umbruch, Untersiggenthal 2008, S. 130-133 (zur Nähfadenfabrik allgemein).
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 135.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938.
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=46206
 

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