INV-UNS929J "Meisterhaus" Stroppel, 1875 (ca.) (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-UNS929J
Signatur Archivplan:UNS929J
Titel:"Meisterhaus" Stroppel
Bezirk:Baden
Gemeinde:Untersiggenthal
Ortsteil / Weiler / Flurname:Stroppel
Adresse:Stroppelstrasse 15A, B
Versicherungs-Nr.:177
Parzellen-Nr.:3104
Koordinate E:2660323
Koordinate N:1261759
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2660323&y=1261759

Chronologie

Entstehungszeitraum:approx. 1875
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:Bauten der Nähfadenfabrik Stroppel (Bauinventarobjekte UNS929A-I, K-M)
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Mehrfamilienhaus

Dokumentation

Würdigung:Volumetrisch lebendig gestaltetes Mehrfamilienhaus, das sich als zweigeschossiger Mauerbau über kreuzförmigem Grundriss erhebt und ein für den Schweizer Holzstil charakteristisches schwach geneigtes Pfetten-Rafendach über bretterverschaltem Kniestock trägt. Die achsensymmetrisch angeordneten, teils gekuppelten Fenster korrespondieren in ihrer je nach Geschoss mit Segmentbogen oder geradem Sturz abschliessenden Form mit den zeitgleich erstellten Fabrikgebäuden. Bauschmuck findet sich in Form von beschnitztem Holzwerk, wobei die zweistöckige Veranda eine Zutat aus dem frühen 20. Jahrhundert ist. Das vor dem Eingang zum Fabrikareal, auf der zum Land hin gelegenen Seite der Zufahrtstrasse, stehende "Meisterhaus" ist der einzige noch bestehende von ehemals drei Wohnbauten für Angestellte aus der Gründungszeit der Fabrik um 1870. Als solcher und als Teil der hinsichtlich ihrer Lage im Wasserschloss und der nahezu vollumfänglichen Erhaltung aller Bauten einzigartigen Fabrik- und Siedlungsanlage kommt dem "Meisterhaus" eine industrie- und sozialgeschichtliche Bedeutung zu.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Fabrikanlage allgemein:
1869 nahm der Zürcher Unternehmer Emil Escher-Hotz in der von ihm im Stroppel neu erstellten mechanischen Nähfadenfabrik die Produktion auf [1]. Gemäss Brandkataster von 1875 umfasste das Fabrikareal damals folgende Gebäude: "1. Färberei- und Bleichereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929D], einstöckig, von Stein erbaut mit Dampfkamin und zwei gewölbten Räumen im Erdgeschoss; 2. Zwirnereigebäude [Bauinventarobjekt UNS929A], dreistöckig, von Stein erbaut; 3. Poliergebäude [Bauinventarobjekt UNS929C], einstöckig, zwischen dem 1. und 2. Gebäude eingebaut, mit Blech- und Glasdach; 4. Turbinenhaus [Vorgängerbau des heutigen Kraftwerks von 1908/1932, Bauinventarobjekt UNS929B], einstöckig, von Stein, Riegel und Holz; 5. Sägegebäude [Bauinventarobjekt UNS929G], an das Werkstattgebäude angebaut, einstöckig, von Stein, Holz und Riegel, mit Anbau, 1 Vertikalsäge, 2 Zirkularsägen, 1 Bandsäge nebst Getriebe; 6. Werkstattgebäude [Bauinventarobjekt UNS929H], zweistöckig; 7. Ökonomiegebäude mit angebauter Stallung [Bauinventarobjekt UNS929I] [2]." Zur Anlage gehörten ausserdem ein unmittelbar neben dem Ökonomiegebäude stehendes zweistöckiges Wohnhaus mit drei Wohnungen (sog. "Meisterhaus", Bauinventarobjekt UNS929J, hier beschrieben) und im Roost zwei zweistöckige Arbeiterwohnhäuser (beide abgebrochen). Um das Einzugsgebiet für auswärts wohnende Arbeitskräfte auch auf die andere Uferseite erweitern zu können, unterhielt Escher-Hotz 1869-72 eine Fähre und 1872-1881 einen Fussgängersteg über die Limmat [3]. Mit 259 Arbeiterinnen und Arbeitern erreichte die Fabrik 1883 einen Spitzenwert [4]. 1885 beschäftigte sie noch 225 Personen – zu drei Viertel Frauen und Mädchen – und war damit die achtgrösste Fabrik im Kanton [5].
1906 wurde die Firma von den Erben Eschers an die weltweit tätige schottische Unternehmergruppe für Nähfaden und Handarbeitsgarne, J. & P. Coats Ltd. in Glasgow verkauft und 1907 in die "Zwirnerei Stroppel AG" umgewandelt. Es folgten ein Umbau und eine Modernisierung der Anlagen, wobei das Turbinenhaus zu einem Kraftwerk (Bauinventarobjekt UNS929B) umgebaut und die Fabrik elektrifiziert wurden [6]. Neu hinzu kamen in dieser zweiten Bauetappe zwischen 1907 und 1911 flussaufwärts die neue Färberei (Bauinventarobjekt UNS929E), die Mitte 20. Jh. ein Sheddach erhielt, das Kesselhaus mit Hochkamin (Bauinventarobjekt UNS929F) und das Wasseraufbereitungsgebäude am südöstlichen Ende des Areals (nicht Bestandteil des Bauinventar). Ausserdem wurden in nordwestlicher Verlängerung der Anlage eine Direktorenvilla, ein Angestelltenwohnhaus und ein Arbeiterinnenheim mit Waschhaus (Bauinventarobjekte UNS929K-M) errichtet. Nach einem Brand im Jahr 1932 musste das Maschinenhaus des Kraftwerks neu gebaut werden [7].
Im Laufe der 1980er Jahre stellte Coats Stroppel AG die Produktion ein (Aufgabe der Zwirnerei 1985) und fokussierte sich auf den Handel mit Merceriewaren, was mit einer Stilllegung auch des Wasserkraftwerks einherging [8]. 1995 erwarb die Proma Energie AG das Kraftwerk und die historische Fabrikanlage. Nach einer sanften Nachrüstung und Automatisierung setzte sie das Kleinkraftwerk wieder in Betrieb. Seit 2011 wird es von der Axpo betrieben, welche die verbliebenen alten Maschinengruppen (Turbinen und Generatoren) auswechselte. Die anderen technischen Einrichtungen blieben teilweise museal vor Ort erhalten. Im Industrieareal entwickelte sich währenddessen ein Gewerbezentrum. Heute sind in den Gebäuden der ehemaligen Nähfadenfabrik verschiedene Nutzungen vereinigt, vom Kleingewerbe und Büroarbeitsplatz über Kunstateliers und Kulturbetriebe bis zu Wohnungen.

Mehrfamilienhaus, "Meisterhaus":
Das sogenannte "Meisterhaus" ist eines von drei Wohnhäusern, die bereits um 1870 von Escher-Hotz erstellt wurden. Zwei gestalteten sich als einfache Mehrfamilienhäuser für Arbeiter (eines erst vor wenigen Jahren abgebrochen, ehemals Bauinventarobjekt UNS929N) und standen an der Hangkante, neben dem damaligen Restaurant zum Roost (heute "Chämihütte"). Das etwas aufwändiger im Schweizer Holzstil gestaltete "Meisterhaus" war als einziger Wohnbau in unmittelbarer Nähe zur Fabrik, unten an der Limmat gelegen. Gemäss Brandkataster von 1899 waren unter der Versicherungsnummer zwei Wohnhäuser verzeichnet, was sich auf die separate Erschliessung der beiden Hausteile beziehen dürfte. Der vermerkte "Anbau m[it] Zimmer und Veranda" erfolgte wohl nach der Übernahme der Fabrik durch L. & P. Coats Ltd. um 1906-1910 [9]. Vermutlich besass dieser in die Ecke eingefügte, mehrheitlich aus Holz errichtete Teil ehemals eine als "Wintergarten" geschlossene und eine offene Ebene.
2015-16 wurde das Gebäude umfassend renoviert und teilweise umgebaut, wobei historische Bauteile wie Treppen und Böden bewahrt und instand gestellt wurden. Insbesondere wurde das Dachgeschoss zu Wohnzwecken ausgebaut, so dass heute in beiden Hausteilen drei Stockwerkswohnungen bestehen. Die Veränderungen im Dachgeschoss fallen in der äusseren Gesamterscheinung am stärksten ins Gewicht, da die zuvor klein proportionierten Zwillings- und Drillingslichter mit Holzläden durch grosse, querliegende oder bis zum Boden reichende Fenster mit Rollladen ersetzt wurden.
Beschreibung:Das sogenannte "Meisterhaus" markiert auf der Ostseite der Stroppelstrasse als am nächsten zum Fabrikareal gelegenes Wohngebäude den Übergang zur Siedlung, die sich der Zufahrt entlang vom Stroppel bis einst zur Hangkante hinauf erstreckte (vgl. ehemaliges Bauinventarobjekt UNS929N, abgebrochen). Es gliedert sich in einen dreiarmigen westlichen Hausteil und einen sich nach hinten erstreckenden Längstrakt, die je einen Einheit bilden und über einen separaten Hauseingang erschlossen sind.
Der zweigeschossige verputzte Mauerbau erhebt sich über kreuzförmigem Grundriss, weshalb das mit einem bretterverschalten Kniestock versehene, schwach geneigte Pfetten-Rafendach als Kreuzfirst ausgebildet ist. Er ist über einem Kellersockel in den Umfassungsmauern aus grossen Kalksteinblöcken und Bruchsteinmaterial, in den Binnenwänden aus Fachwerk mit Bruchsteinfüllungen aufgeführt. Die übergiebelten Risalite sorgen für eine kräftige Gliederung des Baukörpers, wobei die Fassadenabschnitte in sich symmetrisch durchgebildet sind. Die einzeln oder paarweise angeordneten Fenster verfügen wie die Fabrikationsgebäude aus der Gründungszeit am Erdgeschoss über Stichbogengewände, am Obergeschoss über gerade Stürze. Sie sind aus Stein gehauen und mit zeittypischen Blockgesimsen versehen. Die geschweiften Pfettenenden, die zierbeschnitzten Büge und die Balkenköpfe mit Diamantschnittabschluss unter dem Kniestock sind für den in der zweiten Hälfte des 19. Jh. beliebten Schweizer Holzstil bezeichnende Details. Der dazu passende zweistöckige Veranda- und Wintergartenanbau in der Nordwestecke demonstriert als Zutat aus dem frühen 20. Jh. die Beliebtheit und Langlebigkeit dieser historistischen Strömung. Am ausgebauten Dachgeschoss (Kniestock) sind sämtliche Fenster erneuert, wobei die ursprünglichen kleinformatigen Einzel-, Zwillings- und Drillingslichter durch grosse, teils querliegende Öffnungen stark überformt wurden. Nordwestseitig wurde dem hinteren Hausteil ein kleiner Quergiebel aufgesetzt.
Die hintere Haushälfte besitzt ein hohes, schlankes Stichbogenportal mit grosszügigem Oblicht, das sich ebenerdig auf einen Vorraum öffnet, von dem aus rechterhand die Treppe in den Keller abgeht und geradeaus eine bauzeitliche Treppe aus Muschelkalk zum ersten Zwischenboden führt. Das hölzerne Treppenhaus aus der Bauzeit hat sich in diesem Hausteil samt Antrittspfosten und Geländer mit gedrechselten Staketen erhalten. Zum vorderen, ebenfalls stichbogigen Hauseingang gelangt man über eine gemauerte Treppe in der südwestlichen Ecke des Gebäudes, die zu einem hölzernen Vorbau mit Pultdach führt. An diesem haben sich ein hübsch verzierter Wasserspeier zur Regenrinne und einfache, im oberen Teil durch überkreuzte Bälkchen miteinander verbundene Holzstützen erhalten. Die Tür öffnet auf einen rechteckigen Vorraum, von dem aus eine hölzerne Treppe aus der 1. Hälfte des 20. Jh. mit geschweiftem Antrittspfosten, volutenartig abschliessendem Handlauf und einfachen Holzstaketen nach oben führt. Hier wie auch im hinteren Hausteil befinden sich in den beiden Hauptgeschossen sowie im Dachgeschoss Stockwerkswohnungen. Die Grundrisse in den Wohnungen sind teilweise etwas verändert (Binnenwände teilweise entfernt), an historischer Ausstattung hat sich mit Ausnahme einiger Riemenböden, die anlässlich des jüngsten Umbaus abgeschliffen und geölt wurden, nichts erhalten.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung BLN, BLN 1019 Wasserschloss beim Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat (Schutzziel 3.8 Die kulturhistorischen Zeugen der Wasserkraftnutzung und der frühen industriellen Entwicklung erhalten).
Anmerkungen:[1] Hoegger 1995, S. 175-176.
[2] Boner 1983, S. 188. Die abweichenden Bezeichnungen der Gebäude auf der Schautafel des Industriekulturpfads 1996 beziehen sich auf die Zeit nach dem Umbau und der Modernisierung der Bauten 1907-09.
[3] Lang/Steigmeier 1995, S. 23.
[4] Meier/Steigmeier 2008, S. 130.
[5] Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss 1996, S. 21.
[6] Lang/Steigmeier 1995, S. 5-6; Hoegger 1995, S. 175.
[7] Meier/Steigmeier 2008, S. 132 (Bildlegende Abb. 10)
[8] Hoegger 1995, S. 175-176; Lang/Steigmeier 1995, S. 6-7; AZ vom 22. Juni 2012, S. 31; Meier/Steigmeier 2008, S. 131.
[9] Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938.
Literatur:- Georg Boner, Die Geschichte der Gemeinde Untersiggenthal, Baden 1983, S. 186-190.
- Peter Hoegger, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Bd. 7, Basel 1995, S. 175-177.
- Der Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss im Raum Turgi-Untersiggenthal-Vogelsang (Dokumentation 5), Baden 1996, S. 19-21.
- Norbert Lang/Andreas Steigmeier, Fabrikanlage und Kraftwerk Stroppel (Industriekulturpfad Limmat-Wasserschloss, Dokumentation 2), Baden 1995.
- Bruno Meier/Andreas Steigmeier, Untersiggenthal. Eine Gemeinde im Umbruch, Untersiggenthal 2008, S. 130-133.
- Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 135.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0067: Brandkataster Gemeinde Untersiggenthal 1899-1938.
 

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URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=46200
 

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