INV-LEN910 Bleicherain 2, 1770 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Ansichtsbild:
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Identifikation

Signatur:INV-LEN910
Signatur Archivplan:LEN910
Titel:Bleicherain 2
Bezirk:Lenzburg
Gemeinde:Lenzburg
Ortsteil / Weiler / Flurname:Aavorstadt, Bleiche
Hist. Name Objekt:Bleiche-Wohnhaus
Adresse:Bleicherain 2
Versicherungs-Nr.:220
Parzellen-Nr.:1942
Koordinate E:2655688
Koordinate N:1248682

Chronologie

Entstehungszeitraum:1770
Grundlage Datierung:Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Teil einer Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:LEN957
Nutzung (Stufe 1):Profane Wohnbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Wohnhaus

Dokumentation

Würdigung:Für den damaligen Bleichereibesitzer Gottlieb Hünerwadel erbautes Wohnhaus von 1770, das als Kopfbau vor den ehemaligen Bleichegebäuden hart am Ufer des Aabachs steht. Der im Kern barocke Mauerbau liegt unter einem geknickten Halbwalmdach und zeigt eine straffe Gliederung durch Rechteckfenster mit sorgfältig gearbeiteten Gewänden aus Muschelkalk. An der westlichen Trauffassade hat sich ein filigraner doppelgeschossiger Gusseisenbalkon aus dem späteren 19. Jahrhundert erhalten. Mit seinem intakt erhaltenen Äusseren bildet das von der Aavorstadt her prominent in Erscheinung tretende Gebäude ein wichtiges Element des gewerbegeschichtlichen Ensembles am Aabach, zu dem auch das unmittelbar anschliessende Walke- und Bleichegebäude (Bauinventarobjekt LEN957) gehört und das den Ausgangspunkt für die Bedeutung Lenzburgs im Baumwoll-Verlagsgeschäft bildete.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Die Bleichen am Aabach sind eng mit dem Aufstieg der Familie Hünerwadel verbunden, die für die Bedeutung Lenzburgs im Baumwoll-Verlagswesen des 18. Jh. die tragende Rolle spielte [1]. 1683 meldete der Lenzburger Rat der bernischen Obrigkeit, Hans Martin Hünerwadel sei gewillt, in Lenzburg eine Bleiche zu errichten, die als – willkommene – Konkurrenz zu den neu errichteten nichtbernischen Bleichen in Villmergen und Beromünster dienen sollte. 1685 konnte die Bleiche am Aabach vor dem Unteren Tor erbaut werden. Dank dem Aufkommen der Baumwollweberei nahm der Betrieb einen grossen Aufschwung; zum Bleichen und Ausrüsten kam bald auch das Verlagsgeschäft hinzu. Der Sohn des Erbauers, Ratsherr Johann Hünerwadel (1698-1748), gliederte der Bleicherei eine Rotfärberei an. Nach seinem frühen Tod führte seine Frau Anna Maria (1712-1781), eine geborene Bertschinger aus Lenzburg, das Geschäft weiter. Ihr Sohn und Nachfolger als Firmeninhaber Gottlieb Hünerwadel (1744-1820) liess für sich 1770 das hier beschriebene Wohnhaus Bleicherain 2 erbauen [2]. Später verlegte er seinen Wohnsitz in das ungleich repräsentativere nachmalige „Müllerhaus“ von 1784/85 (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN025), bevor er mit dem 1810-13 errichteten Haus Aavorstadt 4 (Kantonales Denkmalschutzobjekt LEN022) ein drittes Mal als Bauherr eines eigenes Wohnhauses in Erscheinung trat [3].
1839 erteilte der Regierungsrat Oberst Friedrich Hünerwadel zur Belebung einer projektierten Walke und einiger anderer landwirtschaftlicher Maschinen ein Wasserrecht (Nr. 521) [4]. 1858 wechselte die Konzession an Louise Hünerwadel-Kupferschmid. Zugleich erlaubte man ihr, ein Bleiche- und Appreturgeschäft zu betreiben. 1879 ging die Konzession an die Söhne von Gottlieb Hünerwadel und 1896 an Emil Hünerwadel. 1899 musste die Firma mit Verlust liquidiert werden, als der Niedergang der Lenzburger Baumwollindustrie schon lange eine Tatsache war [5]. Trotzdem lebte das Gewerbe unter Carl Pfister, an den 1926 das Wasserrecht übertragen wurde, noch einmal auf. Als letzte Konzessionsinhaberin folgte 1976 die AG für Bauproduktion, Zürich. Erst 1981 wurde das Wasserrecht gelöscht.
Die Ausdehnung und jeweilige Erscheinung der Bleiche ist aus verschiedenen historischen Ansichten und Plänen bekannt. Insbesondere gibt ein „Grundriss und Gefällprofil der Bleicherei der Frau Louise Hünerwadel-Kupferschmid in Lenzburg“ aus dem Jahr 1858 Auskunft über die damalige Anordnung und Funktion der einzelnen Bauten, von denen heute einige wenige noch erhalten sind (vgl. Bilddokumentation) [6]. Das erste Bleichegebäude lag nördlich des hier beschriebenen Wohnhauses [7]. Auf dem Plan von 1858 ist sie vielleicht mit dem Bau zu identifizieren, der unmittelbar nordwestlich des Wohnhauses an einem westseitig abzweigenden zweiten Kanal lag. Eine markante Erscheinung war die nördlich anschliessende „Hänke“ oder „Kalthänke“, eine turmartige, offene Holzkonstruktion zum Trocknen der Baumwollstoffe, die laut Jahrzahlen auf den Ziegeln zusammen mit der ersten Bleiche im Jahr 1686 erbaut wurde und auf verschiedenen historischen Ansichten dargestellt ist [8].
Ebenfalls im späteren 18. Jh., möglicherweise zusammen mit dem Wohnhaus, entstand ebenfalls im späteren 18. Jh. die noch bestehende, bachabwärts anschliessende Walke (Vers.-Nr. 221, Bauinventarobjekt LEN957). 1843 wurde in leicht abgewinkelter Stellung das noch bestehende Bleichegebäude angebaut (Vers.-Nr. 222, Bauinventarobjekt LEN957). Weiter nördlich erhob sich über einem kleinen Kanal das Chlorbad (Vers.-Nr. 223, abgebr. um 2000) und nach diesem die Warmhänke. Westlich hinter dem Wohnhaus folgen dem westseitigen Kanal eine weitere Bleiche, die Hänke sowie ein Holzhaus. Zur Baugruppe gehörten ausserdem ein 1777 errichtetes weiteres Wohnhaus (Vers.-Nr. 230, „in der Bleiche“/ „Clavadetscherhaus“, abgebr. 1999) und eine mächtige gemauerte Scheune (Vers.-Nr. 227, abgebr. 1947 zugunsten des Kinos „Urban“) auf dem gegenüberliegenden Aabachufer. Nordwestlich der Gebäude erstreckten sich die „Bleichematten“, auf denen die Tücher zum Bleichen ausgebreitet wurden und die mit der Zeit das ganze Gebiet vom Aabach bis zur heutigen Augustin-Keller-Strasse einnahmen [9].
Der erste verfügbare Brandkatastereintrag für das hier beschriebene Wohnhaus von 1829 lautet auf ein „zweystökiges Wohnhaus, am Bach, mit hölzerner Laube, sonst von Stein, mit Ziegeldach“ [10]. Auf einer Zeichnung aus der Zeit um 1840 wird an dieser Stelle ein Gebäude mit bemalter Giebelründe und stirnseitiger Laube samt figürlich beschnitzten Eckpfosten abgebildet. Ob dies tatsächlich exakt dem Zustand des hier beschriebenen Gebäudes entsprach, scheint zweifelhaft, zumal die Zeichnung auch in weiteren Punkten recht ungenau ist (vgl. Bilddokumentation) [11]. 1847 und 1871 erfolgten merkliche Wertsteigerungen, von denen die letztere vielleicht u.a. mit der Gusseisenveranda in Verbindung gebracht werden kann. Kurz nach 1900 wurde das Wohnhaus eigentumsrechtlich von den Bleichegebäuden abgetrennt. Mit dem Abbruch des „Clavadetscherhauses“ (Vers.-Nr. 230) begannen 1999 in der unmittelbaren Nachbarschaft grössere Umgestaltungen für die 2005 eröffnete Kernumfahrung. Das Haus selbst erfuhr vor wenigen Jahren eine Renovation.
Beschreibung:Das Wohnhaus ist mit seiner Längsseite hart an das westliche Ufer des Aabachs gestellt, wo es heute einen nur noch sehr kleinflächigen Geländespickel zwischen dem Wasserlauf und der Tunneleinfahrt der Kernumfahrung einnimmt. Stirnseitig quert in leicht erhöhter Lage die Brücke der alten westlichen Ausfallstrasse den Aabach; unmittelbar nördlich schliessen mit nur geringem Abstand die noch erhaltenen Bleichegebäude (Bauinventarobjekt LEN957) an, die zusammen mit dem hier beschriebenen Gebäude wie auch mit den stärker veränderten Wohnhäusern auf dem östlichen Aabachufer eine in sich geschlossene, gewerbliche Anlage bilden. Der noch barock geprägte verputzte Mauerbau erhebt sich dreigeschossig über einem gestreckten Rechteckgrundriss und wird von einem leicht geknickten, weit überstehenden Gehrschilddach mit verbrettertem Fluggespärre abgeschlossen. Die Stirnseite ist mit drei regelmässig verteilten Achsen von schlanken Rechteckfenstern besetzt, die Muschelkalkgewände mit Ladenfalz und lippenförmig profilierten Simsen besitzen und damit aus der Entstehungszeit im späten 18. Jh. stammen könnten. Die Gebäudekanten werden von gequaderten Ecklisenen gefasst, die gleichfalls aus Muschelkalk gehauen und durch ein üppig profiliertes Kranzgesims verbunden sind. Der Besenwurf-Verputz dürfte aus dem späteren 19. Jh. stammen.
Die hangwärts gerichtete westliche Trauffassade zeigt eine Einzelbefensterung mit leicht unregelmässig verteilten Achsen. Mittig ist der Fassade eine breite Gusseisenveranda aus der zweiten Hälfte des 19. Jh. mit filigranen Geländern vorgestellt. Der Dacherker ist ebenso eine Zutat des 19. Jh. An der östlichen Traufseite ragt dreigeschossig eine Laubenschicht in den Bachlauf des Aabachs hinein, die genau der Breite des Einlaufkanals für das Wasserrad der Bleiche entspricht. Das offene Erdgeschoss liegt nur knapp über der Wasseroberfläche; die eingewandeten Obergeschosse zeigen eine im Lauf des 20. Jh. erneuerte Verbretterung. Stirnseitig nach Süden schliesst an die Laube in den beiden Obergeschossen ein Erkervorbau aus dem frühen 20. Jh. an. Die nördliche Stirnseite, an die mit geringem Zwischenraum das langgestreckte ehemalige Bleichegebäude anschliesst, ist nur spärlich befenstert.
(Inneres nicht gesehen.)
Erwähnung in anderen Inventaren:- Stadt Lenzburg. Inventar der kommunal schutzwürdigen Gebäude, 1997 (BNO 1997, Anhang 1, Inventarliste), Nr. 12.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), nationale Bedeutung.
Anmerkungen:[1] Nach Neuenschwander 1984, S. 247f.
[2] Stadtarchiv, Rät- und Burgermanual 1770, 28. Juni, nach Stettler / Maurer Kdm AG II 1953, S. 89, Anm. 1.
[3] Zu den beiden Gebäuden vgl. Stettler / Maurer Kdm AG II 1953, S. 89-96.
[4] Wasserrechte nach Badertscher.
[5] Neuenschwander 1994, S. 245; zum allgemeinen Niedergang der Lenzburger Baumwollmanufaktur ebd., S. 165-174.
[6] Abgeb. bei Badertscher 1997, S. 52.
[7] Standort nach dem Plan des erweiterten Burgernziels von 1744, abgeb. bei Neuenschwander 1984, S. 45.
[8] Datierung nach Wirz 1933, S. 80. .
[9] Neuenschwander 1984, S. 307.
[10] Staatsarchiv Aargau, ZwA 1940.0007/4463, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1829-1850; CA.0001/0413-0417, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1850-1938.
[11] Elise Albrecht-Irmiger, Ansicht des Bleicherains mit dem ehem. Hünerwadel- und nachmaligen Müllerhaus und weiteren Gebäuden, um 1840, abgeb. in Alte Ansichten von Lenzburg 1992, S. 120.
Literatur:- Alte Ansichten von Lenzburg. Gemälde und Grafiken von 1470-1900, hrsg. von der Ortsbürgerkommission der Stadt Lenzburg und der Stiftung pro Museum Burghalde, Aarau 1992, S. 61, 120 (histor. Ansichten).
- Kurt Badertscher, Mühlen am Aabach, in: Lenzburger Neujahrsblätter 1997, S. 24-66, hier 51-53.
- Gruss aus Lenzburg. Vergangene Zeiten in Ansichtskarten, hrsg. von der Ortsbürgerkommission der Stadt Lenzburg und der Stiftung pro Museum Burghalde, Aarau 1996, S. 65.
- Liebes altes Lenzburg, Fotos von anno dazumal, hrsg. von der Ortsbürger-Kommission Lenzburg und der Stiftung Pro Museum Burghalde Lenzburg, Lenzburg 1986, S. 27f. (histor. Aufnahmen).
- Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. Von der Mitte des 16. zum Ende des 18. Jahrhunderts. Auf dem Weg vom Mittelalter zur Neuzeit, Aarau 1984 (auch erschienen als: Argovia, Bd. 96), S. 45, 247-249, 307.
- Heidi Neuenschwander, Geschichte der Stadt Lenzburg. 19. und 20. Jahrhundert [Geschichte der Stadt Lenzburg, Bd. III], Aarau 1994 (auch erschienen als: Argovia, Bd. 106/1), S. 245.
- Wasserwerke am Aabach, in: Industriearchäologie, 1997, Nr. 1, S. 5-7 (Übersichtsplan u. Fotos).
- Susanna Wirz: Von der „alten Bleiche“, in: Lenzburger Neujahrsblätter, 1933, S: 80-83.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, ZwA 1940.0007/4463, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1829-1850; CA.0001/0413-0417, Brandkataster Gemeinde Lenzburg, 1850-1938.
- VAMUS, Datenbank Industriekultur: http://www.vamus.ch/industriekultur/index.cfm, Art. ‚Hünerwadel Bleicherei‘ (Zugriff 11.8.2017).
- VAMUS, Datenbank Industriekultur: http://www.vamus.ch/industriekultur/index.cfm, Art. ‚Bleicherei Carl Pfister ‘ (Zugriff 11.8.2017).
 

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