INV-MEN943 Fabrikkomplex Herkules, 1849-1895 (Dossier (Bauinventar))

Archive plan context


Identifikation

Signatur:INV-MEN943
Signatur Archivplan:MEN943
Titel:Fabrikkomplex Herkules
Ansichtsbild:
1/2
Bildlegende:Ansicht von Osten (2012)
Bezirk:Kulm
Gemeinde:Menziken
Adresse:Herkulesstrasse 8
Versicherungs-Nr.:178
Parzellen-Nr.:255
Koordinate E:2656545
Koordinate N:1232631
Situationsplan (AGIS):http://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/html/agisviewer.htm?config=agis_geoportal_fs.json&thema=185&scale=5000&basemap=base_landeskarten_sw&x=2656545&y=1232631

Chronologie

Entstehungszeitraum:1849 - 1895
Grundlage Datierung:Brandkataster; Literatur

Typologie

Objektart (Einzelobj./Teil Baugr./Baugr.):Baugruppe
Weitere Teile der Baugruppe:MEN942
Nutzung (Stufe 1):Gewerbe-, Industrie- und Dienstleistungsbauten
Nutzungstyp (Stufe 2):Fabrikgebäude, Manufakturgebäude

Schutz / Status

Status Bauinventar:Neuaufnahme Bauinventar 2012

Dokumentation

Würdigung:Die Herkulesstrasse prägender, um einen Innenhof mit Hochkamin von 1885 angeordneter Fabrikkomplex mit Tuchfärberei, Tröckneturm und Produktionshalle, der mit der Fabrikantenvilla (Bauinventarobjekt MEN942) auf der gegenüberliegenden Strassenseite ein Ensemble bildet. Der seit der Firmengründung als „Appretur und Tuchfärberei“ im Jahr 1849 stetig erweiterte und angepasste Baubestand ist geprägt vom erfinderischen Unternehmertum des Menzikers Carl Weber-Landolt, der um 1900 als Maschineningenieur und Autopionier mit seiner „Herkules AG“ kurze Zeit internationale Beachtung fand. Dam kleinen Industriekomplex kommt als erstem Hochkaminstandort im Oberwynental, besonders aber als ehemaliger Schweizer Automobilproduktionsstätte eine hohe industriegeschichtliche Bedeutung zu, welche auch im Namen „Herkulesstrasse“ ihren Niederschlag fand.
Bau- und Nutzungsgeschichte:Der entlang der Herkulesstrasse gebaute, seit 1899 unter der Versicherungsnummer 178 zusammengefasste Teil der Fabrikanlage, setzt sich laut Brandkataster aus sechs Gebäuden aus der Zeit zwischen 1849-1895 zusammen:
Gottlieb Heinrich Weber-Fischer, Sohn eines Schneidermeisters, gliederte dem geerbten Landwirtschaftsbetrieb eine "Appretur und Tuchfärberei" an. Zu diesem Zweck liess er 1849 eine "Scheune nebst zweistöckigem Anbau mit gewölbter Färberei, Tröckenstube, Zettelstube, Appretirzimmer" (A) sowie 1851 einen "vierstöckigen Tröckenthurm mit zwei einstöckigen Anbauten" (B) errichten. Es folgten 1854 ein Holzschopf (C, Standort unklar), 1886 ein Magazingebäude (D, Standort unklar) und 1887 eine 20 Meter lange zweigeschossige "Werkstätte & Appretur von Stein und Eisen" (E, vermutlich in die spätere Bauetappe F einbezogen, siehe Beschreibung).
In diesem Jahr übernahmen die Söhne Karl Heinrich Weber-Landolt (später Carl Weber-Landolt) und sein Bruder Emil Weber-Wirz das Geschäft. Carl Weber-Landolt (1856-1942), gelernter Maschineningenieur, hatte bereits ab 1881 Verantwortung in der elterlichen Tuchfärberei übernommen und war von 1891 an alleiniger Inhaber der Fabrik. Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung (Abwanderung der Textilindustrie an grössere Gewässer, Verschwinden der lokalen Heimweberei, anwachsender Energiebedarf) wurde der Betrieb auf andere Erzeugnisse umgestellt und die Tuchfärberei noch vor 1890 aufgegeben. Carl Weber-Landolt hatte - als erster in der ganzen Schweiz - bereits ab den frühen 1880er Jahren damit begonnen, den Zigarrenfabriken der Region die als Nebenprodukt anfallende Tabaklauge abzukaufen und daraus Extrakte für Kautabake und Schädlingsbekämpfungsmittel herzustellen. 1887 gründete er die "Kentucky-Extraktenfabrik" und liess dafür 1885 den ersten Hochkamin im Oberwynental errichten. Gleichzeitig richtete er schon 1884/85 eine mechanische Werkstätte ein und wandte sich mit grossem Erfolg der Entwicklung von Verbrennungsmotoren und Heizungsanlagen zu. Er gewann an internationalen Ausstellung mehrfach Auszeichnungen und lieferte bis nach Deutschland, Frankreich und Norwegen.
Ab 1890 beschäftigte sich Carl Weber-Landolt mit dem Automobilbau. In diese Phase fällt der durch eine Folge von neun parallelen Satteldächern gekennzeichnete Teil der Fabrik, nämlich ein "Maschinen-Kessel- & Extrakt-Gebäude von Stein, Rieg & Holz mit eingebautem Kamin" (F). Im selben Jahr waren laut Brandkataster zwei andere Gebäude "abgetragen" worden, die "Kentuki-Extractenfabrik" und ein "Maschinen- und Kesselhaus" mit Dampfkessel und Kamin von 1885. Dabei war wohl kaum der 10-jährige Kamin abgebrochen worden. Viel wahrscheinlicher ist, dass man den 1885 gebauten Hochkamin stehen liess und in die 1895 erneuerte Anlage integrierte.
Gemäss einer Werbeschrift standen im Jahr 1905 vier verschiedene Lastwagentypen und vier Personenwagenmodelle zur Auswahl. Herkules-Autos galten als langlebig, bedienungsfreundlich und kostengünstig. Trotzdem musste Carl Weber-Landolt unter dem Druck der ausländischen Konkurrenz diesen Fabrikationszweig 1910 wieder einstellen und konzentrierte sich fortan auf die Gewinnung von Nikotin, Sulfaten und Düngemitteln aus Tabaklauge. Weber-Landolt war Mitglied verschiedener Kommissionen und 1922-32 Präsident des Verwaltungsrates der Aluminium AG Menziken und Gontenschwil.
Sein Sohn Karl Weber-Weber leitete das Unternehmen von 1926 bis 1944, dann wurde es zu gleichen Teilen von der Erbengemeinschaft Carl Weber-Landolt sowie den Zigarrenfabriken Weber Söhne in Menziken, Hediger Söhne in Reinach und Villiger Söhne in Pfeffikon übernommen. 1969 wurden der chemische Betrieb ausgelagert und 1974 wurden die verkauften Produktionsanlagen auf die Kunststoff- und Verpackungsindustrie umgestellt [1]. Seit einigen Jahren befindet sich auf dem Areal eine Autoersatzteilhandlung.
Beschreibung:Der gegenüber dem Fabrikantenwohnhaus (Bauinventarobjekt MEN942) direkt an der leicht ansteigenden Herkulesstrasse erbaute Fabrikkomplex von 1849-95 gliedert sich in sechs verschiedene Baukörper, die sich hintereinander staffeln und aneinanderreihen (nicht übereinstimmend mit den im Brandkataster aufgelisteten Fabrikteilen):
Das untere Ende der gassenbildenden Bebauung bildet im Osten ein quer zur Strasse gerichteter, eingeschossiger Bau von 1851 mit zwei parallelen Satteldächern und zwei traufseitig angelegten, nebeneinander liegenden Hauseingängen auf der Westseite. Die äussere der beiden Türen zeigt ein Türblatt mit Fenstergittern und Aufdopplung im Geschmack des späten 19. Jh. sowie ein Vordach aus dem frühen 20. Jh.. Von diesem Bau gibt es eine innere Verbindung zu den anderen Gebäuden. Der Bruchsteinsockel weist mit schlitzartigen Lüftungsöffnungen auf einen Keller hin (Inneres nicht gesehen).
Dahinter erhebt sich der gleichzeitig errichtete ehemalige Tröckneturm, der über quadratischem Grundriss in verputztem Fachwerk aufgeführt ist und ein schwach geneigtes Pyramidendach aufweist. Zwischen den vier Geschossen sind Balkenlagen mit einfachen Bretterböden eingelassen, die innere Erschliessung erfolgt über schmale einläufige Treppen entlang der Nordfassade.
Nach Westen schliesst mit der ehemaligen Scheune von 1849 der älteste aller Fabrikbauten an. Der grossvolumige, traufständige Baukörper trägt auf liegendem Stuhl ein ungebrochenes Satteldach, die Mauern sind aus Bruchsteinen gefügt (im Kniestock Fachwerk mit Backsteinfüllungen). Das im späten 19. Jh. überformte Erdgeschoss mit den Produktionsräumen öffnet sich mit breitrechteckigen Fensteröffnungen, mehreren Ausgängen sowie einer Ausfahrt unter eisernen Sturzbalken auf die Strasse. Im Obergeschoss sind sechs unregelmässig verteilte Rechteckfenster eingelassen. Dahinter befinden sich Büros und Lagerräume.
Die obere Hälfte des Fabrikkomplexes bildet ein langer, zweigeschossiger, hart an die Strasse gebauter Bau mit einer Reihe von neun giebelständigen Satteldächern, die das Sheddach späterer Industriebauten formal vorwegnehmen. Das Licht wird noch über die Giebelfront in die Fabrikräume geführt, wozu im gleichen Rhythmus
breite, segmentbogenförmig abschliessende Fenster und Durchgänge im Erdgeschoss und rechteckige Fenster im Obergeschoss eingelassen sind. Im Innern ist die Konstruktion aus Eisenstützen und -trägern sichtbar. Die westlichen vier Abschnitte sind als grosser Raum mit rundum führender Galerie bis unters Dach offen, das unter der vergipsten Oberfläche Sicht auf die verwendeten Schilfmatten gibt. Die östlichen fünf Segmente sind durch eine von Eisenträgern gestützte Betondecke in zwei Geschosse unterteilt. Das Obergeschoss zeigt eine dichte Abstützung der Dachkonstruktion durch Holzständer, das als Garage genutzte Erdgeschoss ist teilweise in einzelne Räume unterteilt.
Fugen im Mauerwerk und eine Zeichnung aus den 1890er Jahren legen nahe, dass der Gebäudetrakt anfänglich nur fünf Satteldächer umfasste und erst mit dem Umbau 1895 verlängert wurde. Möglicherweise ging der Bau von 1887 (E) in der Erweiterung von 1895 (F) auf.
Im Hof dahinter befindet sich der runde, aus Backsteinen gefügte Hochkamin, dessen nach Südwesten gerichtete Öffnung über dem Boden von einem vorkragenden Rundbogen gerahmt wird. Er wird im oberen Teil von drei Metallringen umschlossen und weitet sich zur Austrittöffnung hin in fünf Absätzen.
Direkt an den Hochkamin angebaut (die Verbindung zum Kamin vermauert), steht ein in den Boden eingetiefter, eingeschossig zutage tretender Mauerbau. Ehemals war ein Zwischenboden eingezogen, gestaffelte Fenster verraten die Lage des früheren Treppenhauses. Die Länge des Baus entspricht mit 12 Metern derjenigen des im Brandlagerbuch verzeichneten Magazins, lässt sich aber nicht eindeutig diesem zuordnen.
Anmerkungen:[1] Fischer 1958, S. 823-824. - Lanz 1996, S. 73-85. - Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0252-0255: Brandkataster Gemeinde Menziken 1850-1938.
Erwähnung in anderen Inventaren:- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), regionale Bedeutung.
- Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS), Einzelelement, Erhaltungsziel A.
Literatur:- Ernst Fischer, Weber-Landolt, Carl, in: Biographisches Lexikon des Aargaus, 1803-1957. (Argovia. Jahresschrift der Historischen Gesellschaft des Kantons Aargau 68/69), hg. von der Historischen Gesellschaft des Kantons Aargau, Aarau 1958, S. 823-824.
- Ernst Lanz, Carl Weber-Landolt, der Aargauer Autopionier, in: Jahresschrift der Historischen Vereinigung Wynental 1995/96, Menziken 1996, S. 73-85.
Quellen:- Staatsarchiv Aargau, CA.0001/0252-0255: Brandkataster Gemeinde Menziken 1850-1938.
Reproduktionsbestimmungen:© Kantonale Denkmalpflege Aargau
 

URL for this unit of description

URL:http://www.ag.ch/denkmalpflege/suche/detail.aspx?ID=118991
 

Social Media

Share
 
Home|Login|de en fr it
Online queries in archival fonds