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Ausgrabung in Villigen − oder: Ein Superfood und seine Folgen

Blick auf die Grabungsfläche. Der Hausgrundriss ist mit Holzpfosten markiert.
Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Eine Notgrabung im Vorfeld eines Überbauungsprojekts in Villigen brachte die Überreste eines grossen Hauses aus der Bronzezeit zum Vorschein. Es ist eines der grössten Gebäude dieser Zeit im Aargau.

Das tägliche Brot der Archäologie sind – neben seltenen Funden wie Goldschätzen und Gräbern – ganz einfach Erdverfärbungen und Tonscherben. Auch diese können aber Erstaunliches berichten. Die Kantonsarchäologie Aargau hat im August 2022 in Villigen die Aushubarbeiten für eine Grossüberbauung begleitet. Zwischen Obsteinenweg und Remigerstrasse entsteht ein neues Quartier.

Da seit 50 Jahren bekannt war, dass hier bereits vor 3500 Jahren ein Dorf der Bronzezeit gelegen hatte, wurde zunächst der Oberboden mit grossen Baggern vorsichtig abgetragen. Schon bald stiessen die Archäologen mitten auf der Fläche auf dunkle Verfärbungen im hellen Mergel. Die anfängliche Freude über vermeintlich gut erhaltene Hausgrundrisse verflog aber schnell: In Wirklichkeit handelte es sich um Pfostenlöcher, in denen bis vor wenigen Jahren die Zaunpfähle für Pferdekoppeln gestanden hatten. Daher war man zunächst skeptisch, als am nördlichen Rand des Grundstücks ebenfalls dunkle runde Verfärbungen im Mergel auftauchten. Diese hier waren aber grösser und unten häufig mit grossen Bollensteinen ausgelegt. Ausserdem konnten die Ausgräber Spuren von 30 bis 35 Zentimeter dicken Pfosten erkennen – viel zu massiv für eine Pferdekoppel.

Das grösste Haus der Bronzezeit im Aargau

Die tragenden Pfosten des bronzezeitlichen Bauernhauses in Villigen-Obsteinen wurden für das Foto mit Stamm-Abschnitten markiert. Im Hintergrund rechts die Ruine Besserstein. Foto Kantonsarchäologie, © Kanton Aargau

Nach und nach wurden weitere Pfostenlöcher entdeckt und schliesslich wurde ein Grundriss erkennbar. Insgesamt 16 mächtige Pfostenlöcher zeigen an, dass hier ein grosses Bauernhaus gestanden hatte. Es war rund 14 Meter lang und 7 Meter breit. Wahrscheinlich hatte es ein Walmdach und war mit Stroh gedeckt. Der Gesamteindruck war also ähnlich wie etwa bei den Strohdachhäusern von Muhen oder Kölliken.

In den Pfostenlöchern und im Bereich des Hauses entdeckten die Ausgräber einige Tonscherben von zerbrochenen Koch- und Vorratstöpfen. Ihre Formen sind typisch für die Bronzezeit, genauer für das 14. Jahrhundert v. Chr. Das Haus datiert also in die Zeit vor knapp 3400 Jahren. Mit seinem Ausmass ist das in Villigen entdeckte Haus das grösste dieser Epoche im Aargau und eines der grössten in der Schweiz.

Ein fundamentaler Wandel

Zusammen mit vielen weiteren Fundstellen zeigen die Entdeckungen von Villigen, dass es im Schweizer Mittelland und Jura nach 1500 v. Chr. zu einer starken Bevölkerungszunahme und einem landwirtschaftlichen Boom kam. Wie fundamental dieser Wandel war, lässt die Zahl der bekannten Fundstellen erahnen: In über 40 Aargauer Gemeinden wurden Spuren aus der Zeit zwischen 1500 und 1250 v. Chr. entdeckt, teilweise liegen sogar mehrere Fundstellen in einer Gemeinde. Dagegen liegen aus den vorangehenden 250 Jahren nur aus vier Gemeinden archäologische Überreste vor.

Vor 3500 Jahren war die Ernährung in der heutigen Schweiz noch sehr von dem abhängig, was der Wald an Nüssen und Früchten lieferte. In der mittleren Bronzezeit wurde es nach 1500 v. Chr. möglich, regelmässig landwirtschaftliche Überschüsse zu erwirtschaften. Ein Grund dafür war, dass jetzt auch Ackerbohnen und Hirse angebaut wurden. Die anspruchslose Hirse braucht nur 80 bis 120 Tage um auszureifen und liefert zuverlässiger Erträge als Weizen und Gerste. Hirse und Bohnen brachten eine vorher unbekannte Sicherheit in die Ernährungssituation und noch über 1000 Jahre später beschreiben die Römer die Gallier als Bohnen- und Hirsebrei-Esser.

Ein kleines Getreidekorn mit grosser Wirkung

Rispenhirse: Über 3000 Jahre lang lieferte sie den täglichen Brei. Illustration Kantonsarchäologie

Später haftete dem Brei und der Hirse der Geruch der Armut an. Brot war etwas Besseres, doch erst im 19. Jahrhundert begann man in der Schweiz, sein täglich Brot zu essen. Bis dahin war Hirse- oder Haferbrei zusammen mit Kraut, Rüben, Früchten und Milch die Alltagsnahrung.

Die Hirse war Teil einer landwirtschaftlichen Revolution. Mit ihr kam auch der neben dem Haus stehende Speicherbau. Die bis ins 19. Jahrhundert übliche Kombination aus Bauernhaus und Speicher, zu besichtigen in Kölliken oder Muhen, ist also wie der tägliche Brei rund 3500 Jahre alt.