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Juli 2018

ELB-Strategie 8: Lebensraum gestalten und Mobilität effizient bewältigen

Der Kanton Aargau wächst im schweizweiten Vergleich überdurchschnittlich. Daraus ergeben sich Herausforderungen in den Bereichen Siedlungsplanung, Mobilität und Umwelt. Regierungsrat Stephan Attiger, Vorsteher Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU), erläutert in einem Interview, mit welchen Strategien und Ideen der Aargauer Regierungsrat diese Herausforderungen meistern will – damit das Kantonsgebiet für die Menschen im Aargau ein attraktiver Wohn- und Lebensraum und Werkplatz bleibt.

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© Beni Basler / Foto Basler Aarau

Portrait Regierugnsrat Stephan Attiger

Im Entwicklungsleitbild 2017–2026 ist die Strategie des Regierungsrats zu den Themen Bevölkerungswachstum, Siedlungsentwicklung und Mobilität mit "Lebensraum gestalten und Mobilität effizient bewältigen" überschrieben. Was sind im Moment die grössten Herausforderungen in diesem Bereich?

Stephan Attiger: Die Herausforderungen sind eine direkte Folge aus dem im Schweizer Vergleich überdurchschnittlichen Wachstum unseres Kantons. In den letzten Jahren ist die Aargauer Bevölkerung um rund 6‘000 Personen pro Jahr angewachsen, und dieser Trend ist nach wie vor ungebrochen. Der Verkehr wächst sogar noch stärker als die Bevölkerung: Beim motorisierten Individualverkehr (MIV) erwarten wir eine Zunahme der zurückgelegten Personenkilometer von etwa 20 Prozent bis 2030; im gleichen Zeitraum nehmen die Personenkilometer im öffentlichen Verkehr (öV) um rund 50 Prozent zu – auch wegen dem immer grösseren öV-Angebot für die Pendler. Dieses Wachstum zeigt: Der Aargau ist ein attraktiver Wohn- und Wirtschaftsstandort.

Es ist doch positiv, dass der Aargau ein attraktiver Wohn-und Wirtschaftsraum ist?

Es ist aber nur eine Seite der Medaille, denn es stellt uns auch vor Herausforderungen. Die Menschen brauchen Raum zum Leben, zum Arbeiten und für die Freizeit. Doch der Raum ist beschränkt und entsprechend müssen wir verantwortungsvoll mit ihm umgehen. Das heisst, die verschiedenen Ansprüche an den Raum müssen aufeinander abgestimmt werden: Im Kanton braucht es Raum für Siedlungen, Verkehrsinfrastrukturen, Wirtschaft, Natur, Naherholung und so weiter. Die Basis, um diese Herausforderungen zu meistern, haben wir mit der Revision des kantonalen Richtplans mit Raumkonzept und Siedlungsstrategie gelegt, der im März 2015 vom Grossen Rat einstimmig angenommen wurde. (siehe unten)

Der revidierte Richtplan ist kürzlich vom Bundesrat genehmigt worden.

Genau. Nun braucht es eine konsequente Umsetzung, wobei den Gemeinden und Regionalplanungsverbänden eine entscheidende Rolle zukommt. Besonders mit den Gestaltungsplänen werden die Weichen für eine qualitätsvolle Siedlungsentwicklung gestellt. Von grosser Bedeutung sind zudem ein gutes öV-Angebot sowie verschiedene kantonale Strassenprojekte, da die Erreichbarkeit mit dem öV und dem MIV einen entscheidenden Standortfaktor bildet. An Bedeutung gewinnt auch der Fuss- und Radverkehr, weil wir vor allem in den Städten und Agglomerationen platzmässig sehr eingeschränkt sind.

Auch die Lage im Dreieck zwischen Bern, Zürich und Basel bringt Herausforderungen.

Wir müssen Abstand nehmen von der rein regionalen oder kantonalen Betrachtung. Wichtig für die Zukunft ist der funktionale Raum, kantonale und kommunale Grenzen spielen immer mehr eine untergeordnete Rolle.

Zentren Bern, Zürich und Basel können ohne Arbeitskräfte aus dem Aargau ihre Wirtschaftsleistungen nicht erbringen

Die Zentren Bern, Zürich und Basel können ohne Arbeitskräfte aus dem Aargau ihre Wirtschaftsleistungen nicht erbringen. Unsere KMU sind wichtige Zulieferbetriebe, und der Aargau leistet einen entscheidenden Beitrag zur logistischen Versorgung der Zentren. Diese Verbindungen zeigen sich auch an den riesigen Pendlerströmen, die sich jeden Tag und in beide Richtungen über die Kantonsgrenzen bewegen.

Was tut der Kanton konkret, um die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung zu steuern?

Wir nehmen die Abstimmung von Siedlung, Verkehr und Freiraum sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung sehr ernst. Wir haben auf der Schiene wie auf der Strasse zum Teil die Kapazitätsgrenzen erreicht. Beim öV kämpfen wir darum, dass wir möglichst viele gute Anschlüsse ans übergeordnete Bahnnetz erhalten und den Pendlerverkehr in die Zentren Zürich, Bern und Basel gewährleisten können. Beim MIV ist vor allem die Ost-West Achse oft überlastet – auf der A1 haben wir im Jahr nur noch wenige Tage ohne Stau. Das führt zu immer mehr Ausweichverkehr auf den Kantonsstrassen. Diese sind dafür aber nicht konzipiert, sie kommen ebenfalls ans Limit. Statt alle Knoten auszubauen, wollen wir die A1 auf sechs Spuren ausbauen und die Kantonsstrassen möglichst optimal anbinden.

Kommt da nicht die Umwelt zu kurz? Im Namen Ihres Departements Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) steht sie auch an letzter Stelle…

Auf keinen Fall. Im BVU sind alle Bereiche oder Abteilungen gleich wichtig. Es hat sogar bedeutende Themenbereiche, die nicht in der Departementsbezeichung vorkommen, wie etwa die Energie.

Aber es gibt doch auch Interessenkonflikte, etwa zwischen Verkehr und Umwelt?

Natürlich, das liegt in der Natur der Sache – und es macht unsere Aufgabe besonders spannend. Wir wollen aber zwischen den verschiedenen Interessen Brücken bauen, die richtige Balance finden zwischen den Ansprüchen und Bedürfnissen von Mensch und Umwelt, zwischen den Ebenen der Nachhaltigkeit, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft.

Im Grundsatz geht es darum, den Blick fürs Ganze zu wahren

Das steht unter anderem auch in unserer neuen Mobilitätsstrategie mobilitätAARGAU, die Ende 2016 vom im Grossen Rat ohne Gegenstimme beschlossen wurde: Wir wollen unsere Verkehrsinfrastrukturen ökologisch und ökonomisch ausgewogen bauen, betreiben und erhalten. Und das Verkehrsangebot muss mit dem Raumkonzept Aargau abgestimmt sein. In den Zentren und urbanen Entwicklungsräumen sollen die Mobilitätsbedürfnisse flächeneffizient abgewickelt werden. Im Grundsatz geht es darum, den Blick fürs Ganze zu wahren und Zusammenhänge zwischen den einzelnen "Disziplinen" zu erkennen – und das möglichst vorausschauend.

Also agieren statt reagieren?

Ein gutes Beispiel ist die Limmattalbahn in einer der am stärksten wachsenden Regionen im Kanton Aargau. Um das erwartete Bevölkerungswachstum bis ins Jahr 2040 bewältigen zu können und die im Richtplan festgelegten Entwicklungsschwerpunkte von kantonaler Bedeutung zu erschliessen, soll die Mobilität mit der Limmattalbahn sichergestellt werden. Ein weiteres Beispiel ist das regionale Gesamtverkehrskonzept Ostaargau (OASE), das zusammen mit den betroffenen Regionen und Gemeinden neue Lösungen für die Entlastung der Zentren Brugg und Baden sowie die Anbindung des Unteren Aaretals erarbeitet. Diese Ziele können wir nur erreichen, wenn wir neben einem modernen Verkehrsmanagement Massnahmen für alle Verkehrsträger umsetzen – also für den MIV, den öV sowie für den Fuss- und Radverkehr. Dabei ist möglichst schonend mit den natürlichen Ressourcen umzugehen.

… die aber immer knapper werden.

Das erwähnte Bevölkerungswachstum hat zur Folge, dass auch die Siedlungsfläche mit Wohn-, Gewerbe- und Verkehrsinfrastrukturen immer grösser wird – zu Ungunsten der Landschaft. Der Boden ist zum knappen Gut geworden. Umso mehr ist es wichtig, dass wir zu den natürlichen Ressourcen – Wald, Gewässer, Landschaft – Sorge tragen und sie schonend nutzen.

Das ist nur mit Investitionen möglich. Aber gerade im Umweltbereich wird gespart.

Wie in allen anderen Bereichen auch. Die Finanzlage des Kantons ist angespannt und wird es in den nächsten Jahren voraussichtlich auch bleiben. Die knappen finanziellen Mittel zwingen uns, klare Ziele festzulegen und Prioritäten zu setzen. Nicht nur für den Umweltbereich gilt: Es ist nicht mehr überall alles möglich. Mit unserem Richtplan sowie unseren Strategien in den Bereichen Mobilität und Umwelt sind wir für die Zukunft gut aufgestellt (siehe unten).

Der Kanton investiert also weiterhin in die Umwelt?

Selbstverständlich, denn die Umwelt ist uns wichtig. Davon profitieren auch die Menschen im Aargau, denn eine intakte Umwelt ist auch ein Wohnstandortfaktor. Investieren heisst aber auch vorwärts schauen. Auch hier ein Beispiel: Zusammen mit Akteuren aus der Abfall- und Ressourcenwirtschaft hat der Kanton Aargau kürzlich den Ressourcen-Trialog initiiert und moderiert. Das Resultat kann sich sehen lassen und ist nicht selbstverständlich: Elf Akteure aus Politik, Behörden, Wirtschaft und Gesellschaft haben sich in elf Leitsätzen auf die künftige und nachhaltige Ausrichtung der Schweizer Abfall- und Ressourcenwirtschaft geeinigt.

Zurück zum Menschen: Dieser hat immer weniger Freizeit und Freiräume.

Auch das ist ein Trend. Die Natur als Raum für Erholung und für Freizeitaktivitäten geniesst gemäss Umfragen einen hohen, zunehmenden Stellenwert. Sie steigert die Lebensqualität und ist damit auch ein wichtiger Standortfaktor. Wie gesagt: Attraktive Erholungs- und Freizeiträume

Attraktive Erholungs- und Freizeiträume machen den Aargau als Wohnkanton attraktiver

machen den Aargau als Wohnkanton attraktiver. Das kommt letztlich auch der Wirtschaft zugute, die auf genügend und gut qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen ist.

Ist die vermehrte Nutzung von Natur und Landschaft ein Problem?

Sie ist sicher eine grosse Herausforderung für die Umwelt- und Waldpolitik. Das Ziel ist, die teilweise entgegengesetzten Interessen und Bedürfnisse aller Nutzer unter einen Hut zu bringen: die Menschen, die Ruhe, Erholung, ein Naturerlebnis oder Bewegung suchen; die Forst- und Holzwirtschaft, die den Wald nachhaltig und naturnah bewirtschaftet; die Landwirtschaft, für die der Boden die Existenzgrundlage bildet; die Jäger, die nicht nur einem Hobby frönen, sondern auch einen wertvollen gesetzlichen Hege- und Pflegeauftrag erfüllen.