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Stuttgart 2013

Einführung in die Themen der Demokratiekonferenz

Einführungsthema: Repräsentativ, direkt oder beides und warum? Die Entwicklung der Demokratien in Deutschland und der Schweiz

In Deutschland wie in der Schweiz hat das politische System die Aufgabe, allgemein gültige, von Wirtschaft und Gesellschaft akzeptierte Sachentscheidungen zu produzieren. Um politische Entscheidungen fällen und umsetzen zu können, benötigt die Politik gerade in föderalen Systemen eine hohe Akzeptanz und Legitimität. Das Ziel ist in beiden Ländern dasselbe, die eingesetzten legitimitätsbringenden Verfahren - der Einbezug von Bürgerinnen und Bürgern - haben sich aber historisch unterschiedlich ausgebildet.

In Deutschland hat man aufgrund negativer Erfahrungen in der Weimarer Republik zunächst Abstand genommen von direkt-demokratischen Verfahren – bis heute enthält die Verfassung der Bundesrepublik kaum direkt-demokratische Elemente. In den Länderverfassungen, z.B. in Baden-Württemberg, gab es dagegen durchaus direkt-demokratische Elemente. Seit den 1990er Jahren hat sich die direkte Demokratie auf kommunaler und Landesebene stark verbreitet und auch die Nutzung dieser Instrumente durch die Bevölkerung hat stark zugenommen. Die Hürden für Initiativen und Abstimmungen sind jedoch in manchen Landesverfassungen recht hoch. Eine Weiterentwicklung in Richtung geringerer Hürden scheint daher angezeigt.

In der Schweiz hingegen ist die direkte Demokratie von unten her gewachsen und über erste Erfahrungen in den Kantonen und Gemeinden schliesslich auf der Bundesebene verankert worden. Zur Zeit der Staatsgründung 1848 gab es lediglich das obligatorische Referendum für Verfassungsänderungen. Das Referendums- und Initiativrecht per Unterschriftensammlung mit bindender Volksabstimmung kamen erst später dazu. Einerseits hat die direkte Demokratie das politische System durchdrungen und nachhaltig geprägt, andererseits sind mit steigender Dichte des Menschen- und Völkerrechts zunehmend Probleme mit der Umsetzung von Volksentscheiden entstanden. Die direkte Demokratie muss sich auch in der Schweiz weiterentwickeln und steht vor neuen Herausforderungen.

Warum das eine tun und das andere nicht lassen?

Warum das eine tun und das andere nicht lassen? Direkte Demokratie und informelle Beteiligung

Deutschland und die Schweiz sind im Kern repräsentative Demokratien, in denen die parlamentarischen Entscheidungsverfahren ergänzt werden durch direkt-demokratische Schachentscheidungen einerseits und durch informelle Verfahren der Bürgerbeteiligung ohne Entscheidungsrecht andererseits. Das Gewicht der verschiedenen Verfahren ist jedoch in beiden Ländern recht unterschiedlich.

In der Schweiz geben verbindliche Volksentscheide Parlament und Regierung auf allen Staatsebenen immer wieder – manchmal auch unerwünscht oder überraschend – die politischen Leitplanken vor. Die Instrumente des direkten Volksentscheides in Sachfragen (Referendum und Initiative) beinhalten oft auch explizit finanzhoheitliche Vorlagen wie Budget, Steuersatz sowie einmalige und wiederkehrende Staatsausgaben ab einer bestimmten Höhe. Sie bringen ein Element mit ins Spiel, das bei politischen Eliten Unsicherheit und Spannungen – um nicht zu sagen: Stress – erzeugt. Entsprechend müssen sie ihre Verhaltensweise anpassen.

In Deutschland finden wir im Vergleich weniger Volksentscheide. Auch wenn sie auf kommunaler Ebene erheblich zugenommen haben, sind sie auf Landesebene noch selten. In den vergangen Dekaden hat sich jedoch eine Kultur der informellem partizipativen Verfahren herausgebildet, die dem parlamentarischen und administrativen Prozessen vorgeschaltet sind. Sie dienen dazu Präferenzen der Bevölkerung in die Entscheidung einfließen zu lassen oder auch manifeste Konflikte zu regeln. Ziel ist es, im dialogischen Verfahren zu einem Konsens zu kommen.

Wohl verstanden: Auch in der Schweiz gab und gibt es runde Tische, Bürgerforen und Mediationen, aber der Akzept liegt klar auf dem Volksentscheid. Auch in Deutschland kommen Volksentscheide in Kommunen und den Ländern zum Einsatz, sind aber weniger häufig. Beide Verfahrenstypen haben unterschiedliche Eigenschaften, Vor- und Nachteile. Diskutiert werden soll, ob und wie die Verfahren der direkten Demokratie und der informellen Bürgerbeteiligung kombiniert werden können, wie sie sich ergänzen können und wann sie als Alternativen zu sehen sind.

Wer macht (nicht) mit und warum?

Wer macht (nicht) mit und warum? Teilhabe der Bürger an partizipativen Instrumenten

Alle Formen der politischen Partizipation haben auch damit zu kämpfen, dass sie in der deutschen und Schweizer Demokratie auf Freiwilligkeit basieren. Politische Beteiligung ist aufwändig für den Einzelnen – dies ist neben einer oft konstatierten „Politikverdrossenheit“ der Bürger mit ein Grund für niedrige oder sinkende Beteiligungsraten. Dies gilt für Wahlen im repräsentativen System ebenso wie für direkte Abstimmungen und für dialogische Verfahren, wobei der Aufwand für die Beteiligung bei den Wahlen am geringsten, bei direkter Demokratie schon höher und bei den informellen Verfahren am höchsten ist.

Diesen Aufwand können und wollen die Bürger oft nicht erbringen. Die Bereitschaft hängt dabei ab von vielen verschiedenen Voraussetzungen: Wie viel Zeit können Bürger erübrigen? Über welche Bildungsvoraussetzungen verfügen sie? Wie stark sind sie von den anstehenden Entscheidungen betroffen? Welchen Einfluss versprechen sie sich? Es ist bekannt, dass niedrigere soziale Schichten sich weniger an die Wahlen und direkten Abstimmungen beteiligen und dass dieses Phänomen sich bei den informellen Beteiligungsverfahren eher verstärkt. Auch Frauen beteiligen sich weniger politisch als Männer.

Wie sachlich kann Demokratie sein?

Wie sachlich kann Demokratie sein? Zwischen Sachinformation, Polemik und Populismus

Eine der Grundfunktionen politischen Entscheidens ist die Vermittlung zwischen widersprüchlichen, aber legitimen Interessen und wertbehafteten Überzeugungen und Einstellungen. Beides, gegensätzliche Interessen und widersprüchliche Werte, führen bei konkreten Konflikten und anstehenden Sachentscheidungen häufig zu einer Emotionalisierung oder Ideologisierung der Debatte. Wie gut geeignet sind direkte Demokratie und informelle Bürgerbeteiligung mit diesem Aspekt politischen Entscheidens umzugehen?

Die dialogischen Verfahren treten mit dem Versprechen an, zur Entemotionalisierung von Konflikten und zur Versachlichung der politischen Debatte beizutragen. Mediation und andere konsensorientierte Verfahren gehen auf das Harvard-Konzept des Verhandelns zurück, zu dessen wesentlichen Komponenten der Umgang mit Emotionen und das Heranziehen sachlicher Bewertungsmaßstäbe zur Beilegung von Konflikten ist. Deliberative und diskursive Verfahren definieren sich dadurch, dass nur der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ und verallgemeinerbare Werte zum Tragen kommen sollen. Gelingt es in der Praxis der informellen Bürgerbeteiligung, diesen Anspruch einzulösen? Wird nur sachlich diskutiert und werden Sachargumente von Gegner einer Politik akzeptiert?

Eine klassische Kritik an der direkten Demokratie besagt, dass den Bürgern die fachliche Kompetenz zum Fällen der politischen Entscheidungen fehle und dass sie durch mächtige Interessengruppen und Demagogen manipuliert werden können. Welche Erfahrungen gibt es dazu in der Schweiz und was kann solchen Tendenzen entgegengesetzt werden? Mit welchen Informationsstrategien können Polemik und Populismus vermieden werden? Wie kann eine Regierung im Abstimmungsbüchlein und der Kampagne informieren? Kann sie glaubhaft neutral auftreten, obwohl sie „Partei“ ist, in dem Sinn, dass sie für eine Seite in der Abstimmung steht?