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PSI: Nützliches für Spintronik

Gigantische Spin-Aufspaltung an der Oberfläche von Strontiumtitanat: Der Bedarf an immer schnelleren und effizienteren Bauteilen für die Elektronik wächst rasant. Dafür braucht es neue Materialien mit neuen Eigenschaften. Hierbei spielen Oxide, insbesondere auf Basis von Strontiumtitanat (SrTiO3) eine wichtige Rolle. Diese Materialien sind eigentlich Isolatoren. Kürzlich wurde jedoch entdeckt, dass sich an der Oberfläche von Strontiumtitanat eine dünne metallische Schicht ausbildet, in der elektrischer Strom fliessen kann.

Die Forscher Milan Radovic und Nicolas Plumb spiegeln sich im Elektronendetektor der SIS-Strahllinie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des Paul Scherrer Instituts. (Foto: Paul Scherrer Institut / Markus Fischer)

Im Rahmen einer Forschungskooperation unter Leitung des Paul Scherrer Instituts PSI haben Forschende nun gezeigt, dass es dort zwei Arten von Elektronen gibt: solche mit 2-D-Charakter, die sich in zwei Dimensionen parallel zur Oberfläche bewegen, und solche mit 3-D-Charakter, die etwas weiter in das Material eindringen. Für die 2-D-Elektronen gibt es wiederum zwei Bewegungsmöglichkeiten oder Sub-Bänder. Überraschend für die Forschenden war die grosse Energie, die man aufwenden muss, um die Elektronen von einem Band in das andere zu bewegen. Diese Eigenschaft macht Strontiumtitanat zu einem wichtigen Ausgangsmaterial für den Einsatz in der Spintronik. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Physical Review Letters beziehungsweise heute in Nature Materials veröffentlicht.

Die herkömmliche Elektronik basiert auf Halbleitermaterialien wie Silizium, Germanium oder Gallium-Arsenid. Sie kommen jedoch zunehmend an ihre Leistungsgrenzen. Ein wichtiger Ansatz, um elektronische Bauteile immer schneller und effizienter zu machen, ist die sogenannte Spintronik. Sie nutzt neben der Ladung auch den Spin von Elektronen für die Weiterleitung und Speicherung von Information. Der Spin kann als eine Rotation des Elektrons um die eigene Achse betrachtet werden. Mit ihr ist ein Magnetfeld verbunden. Je nach Drehsinn zeigt der Nordpol der winzigen Magnete in eine andere Richtung. Gegenläufige Spins eignen sich so zur Darstellung zweier eindeutig unterscheidbarer Zustände «0» und «1», ein Prinzip, das heute schon bei der Datenspeicherung genutzt wird.

Der Isolator, der Strom leitet

Für dieses neue Elektronik-Konzept sind neue Materialien nötig. Als interessante Alternative zu den bewährten Halbleitern haben Wissenschaftler seit einigen Jahren Oxide wie Strontiumtitanat (SrTiO3) im Visier. Diese Verbindungen haben sehr komplexe Strukturen, versprechen im Gegenzug aber vielfältige neue Eigenschaften. «Oxide sind eigentlich Isolatoren. Aber schon 2004 hat man herausgefunden, dass in solchen Materialien ein Strom aus Elektronen fliessen kann, wenn man verschiedene Oxide übereinander schichtet. Der Strom fliesst dann an der Grenzfläche der Schichten – obwohl es in Oxiden eigentlich keinen Stromfluss geben sollte», erläutert Milan Radovic, Wissenschaftler am Paul Scherrer Institut PSI. 2011 wurde beobachtet, dass sich sogar an der puren Oberfläche von Strontiumtitanat eine sehr dünne leitende Schicht ausbildet, ein sogenanntes zweidimensionales Elektronengas (2DEG). Dort können sich Elektronen wie Teilchen eines Gases quasi frei bewegen.

Mehrspurige Elektronenautobahn

Nun haben Radovic und sein Kollege Nicolas Plumb in einer internationalen Forschungskollaboration die Eigenschaften der Elektronen dieses zweidimensionalen Elektronengases vermessen. Sie liefern damit die bislang detaillierteste Beschreibung der Oberflächen-Elektronen von Strontiumtitanat. Charakteristisch ist eine sogenannte Bandstruktur, die man sich ähnlich vorstellen kann wie eine mehrspurige Autobahn: Auf jeder Spur besitzen die Elektronen bestimmte Eigenschaften, zum Beispiel eine bestimmte Spin-Richtung oder bestimmte Energien.

Mikroskop für Elektronenzustände

Um die Form der Bandstruktur und die Eigenschaften der Elektronen an der Oberfläche zu bestimmen, ist die Photoemissions-Spektroskopie eine geeignete Methode. Dabei wird Licht mit einer sehr genau definierten Wellenlänge auf die Probe gestrahlt. Durch die Energie des Lichts werden die Elektronen zum Verlassen des Festkörpers anregt. Wenn man die Energie und Flugrichtung der Elektronen, die aus dem Material herausfliegen, misst, kann man bestimmen, wie sie sich verhalten haben als sie noch in der Probe waren. «Nur weil wir an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS Synchrotron-Licht zur Verfügung haben, das eine sehr hohe Intensität und Qualität hat und dessen Wellenlänge man kontinuierlich variieren kann, können wir die Strukturen so gut sichtbar machen, die das Verhalten der Elektronen bestimmen», betont Radovic. «Zusammen mit den hervorragenden Analyse-Instrumenten haben wir damit quasi ein Mikroskop für die Zustände der Elektronen.»

Die PSI-Forschenden und ihre Kollegen haben im ersten Teil ihrer Untersuchungen gezeigt, dass es Elektronen mit 2-D- und solche mit 3-D-Charakter gibt. Die 2-D-Elektronen bewegen sich in zwei Dimensionen parallel zur Oberfläche und nur in der obersten Lage des Materials. Die 3-D-Elektronen können sich – allerdings auch oberflächennah – in allen drei Dimensionen bewegen.

Spurwechsel erfordert viel Energie

Um den Spin der 2-D-Elektronen genauer zu untersuchen, wurden an der SLS (Strahllinie X09 LA) spin- und winkelaufgelöste Photoemissions-Messungen durchgeführt (SARPES). Dadurch gelang es Milan Radovic und Nicolas Plumb in Kooperation mit Kollegen der ETH Lausanne EPFL und der Université Paris-Sud bemerkenswerte neue Eigenschaften der 2-D-Elektronen zu entdecken: Diese befinden sich in zwei Sub-Bändern. In beiden Bändern sind die Elektronenspins grösstenteils parallel zur Oberfläche ausgerichtet. In dem einen Band dreht sich ihre Orientierung aber im Uhrzeigersinn, in dem anderen dagegen. Diese helikale Spinstruktur entsprach den Erwartungen der Forschenden. Überrascht waren sie allerdings davon, zwei getrennte Sub-Bänder mit entgegengesetzt orientierten Spins zu finden und vor allem, dass man eine vergleichsweise grosse Energie von 100 Milli-Elektronenvolt aufbringen muss, um Elektronen den Übergang von einem Band in das andere – oder von einer Spur der Autobahn auf die andere – zu ermöglichen. Die Forschenden sprechen von einer grossen Bandlücke. Diese ist etwa zehnmal so gross wie in bisher bekannten Systemen. «Dass der Effekt so gross ist, ist sehr günstig für Anwendungen in der Spintronik, wo es wichtig ist, die beiden Spin-Orientierungen zu trennen», betont Radovic. «Beispielsweise, wenn man spintronische Nano-Bauteile wie Schalter oder Transistoren entwickeln will.» Ob der Effekt allerdings unter möglichen Praxisbedingungen in dem Ausmass erhalten werden kann, in dem er hier unter den Bedingungen des Ultrahochvakuums beobachtet wurde, müssen künftige Untersuchungen zeigen.

Im Moment planen die Forschenden Experimente, um die genaue Ursache für die gigantische Spin-Aufspaltung zu finden. Der klassische und gut bekannte Rashba-Effekt kann zwar die Band-Aufspaltung und die Chiralität der Spins erklären, berücksichtigt aber nicht die Band-Lücke. Hierfür kommen verschiedene Effekte in Frage. Zum einen eine gewisse Unebenheit der Oberfläche, die zu sehr grossen intrinsischen elektrischen Feldern führt. Zum anderen müssen magnetische Effekte berücksichtigt werden: «Es muss eine zusätzliche magnetische Ordnung an der Oberfläche geben», ist Radovic überzeugt. Aktuell laufen Experimente, um das besser zu verstehen. Die jetzt veröffentlichten Resultate zeigen, dass Elektronen, die an der Oberfläche von Oxiden in einer dünnen metallischen Schicht eingesperrt sind, komplexe Eigenschaften besitzen. Diese sind sowohl in theoretischer Hinsicht eine Herausforderung als auch vielversprechend für technologische Anwendungen.

Text: Uta Deffke, PSI

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