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Analyse und Standortbestimmung

Aktuelle Entwicklungen, Chancen und Herausforderungen

Der Kulturbereich wird von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen und Rahmenbedingungen beeinflusst. Daraus ergeben sich Chancen und Herausforderungen, die für die kulturpolitische Ausrichtung relevant sind und diese beeinflussen.

Im Rahmen der Erarbeitung des Kulturkonzepts wurden die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Einflussfaktoren, die aktuellen Entwicklungen sowie die daraus erwachsenden Chancen und Herausforderungen in einer breit geführten Diskussion mit Kulturakteurinnen und -akteuren, Vertreterinnen und Vertretern aus Kulturinstitutionen und -verbänden sowie aus Gesellschaft und Politik analysiert. Die Schlussfolgerungen und Erkenntnisse dieser Analyse bilden eine wichtige Grundlage für die im Kulturkonzept 2023–2028 dargelegten kulturpolitischen Ziele und den daraus abgeleiteten Massnahmen.

Demografischer Wandel

Bevölkerungszunahme und ein wachsender Anteil älterer Menschen prägen die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur im Aargau. Bei gegenwärtig rund 700'000 Einwohnerinnen und Einwohnern nimmt die Aargauer Bevölkerung um jährlich über 8'000 Personen zu. Die Bevölkerungszunahme ist hauptsächlich auf Zuwanderung aus anderen Kantonen und aus dem Ausland zurückzuführen. Im Aargau wohnhafte Menschen berufen sich zunehmend auf unterschiedliche Herkunft und Traditionen und haben einen unterschiedlichen kulturellen und muttersprachlichen Hintergrund.

Herausforderungen und Chancen für die Kulturpolitik

Herausforderungen

  • Nicht alle Bevölkerungsgruppen identifizieren sich mit dem kulturellen Angebot, weil vielen Personen der Zugang dazu fehlt. Gründe dafür sind beispielsweise sprachliche Hürden oder ungenügende Zugangsmöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigung.
  • Aufgrund der immer vielfältigeren Bevölkerung formieren sich Parallelgesellschaften. Dazu gehören auch unterschiedliche Kulturszenen, die häufig unverbunden nebeneinander existieren. Sie nutzen die traditionelle Kulturförderung kaum, oder werden von dieser nur rudimentär oder gar nicht berücksichtigt.
  • Es findet eine zunehmende Segmentierung und Polarisierung der Bevölkerung statt. Die Definition von Gemeinschaft ändert sich. Zudem nimmt der gesellschaftliche Zusammenhalt ab.
  • Infolge der Bevölkerungszunahme, höherer Raumansprüche und zunehmender Mobilität ist die Bautätigkeit im Aargau seit Jahren intensiv. Siedlungsgebiete werden systematisch verdichtet und letzte freie Flächen in den Siedlungskernen werden überbaut. Der Verlust an historischer Bausubstanz in den Dörfern und Städten und das in den Siedlungsgebieten besonders wertvolle archäologische Bodenarchiv stellen die Denkmalpflege und Archäologie vor grosse Herausforderungen.

Chancen

  • Zielgruppenspezifische Angebote können die ganze Breite der Aargauer Bevölkerung besser ins Kulturleben einbeziehen.
  • Das Aufeinandertreffen und die Begegnung unterschiedlicher kultureller Erfahrungsräume haben das Potenzial, dem Kulturleben neue Impulse zu geben.
  • Ein vermehrter Austausch zwischen Kulturschaffenden und der Bevölkerung kann der Segmentierung und Polarisierung entgegenwirken.

Gesellschaftliche Entwicklung

Das Konsumverhalten hat sich in den letzten Jahren weiter individualisiert und die Konsumansprüche sind heute auf eine permanente und möglichst kostengünstige Verfügbarkeit von Angeboten und Produkten ausgerichtet. Dies gilt insbesondere auch für den digitalen Bereich. Die Digitalisierung des Alltags schreitet weiter voran, zusätzlich befeuert durch die Coronavirus-Krise, die auch im Kulturbereich zu einem eigentlichen Digitalisierungsschub geführt hat. Die individuellen Interessen der oder des Einzelnen bekommen gegenüber den Interessen der Allgemeinheit zunehmend Vorrang. Die Bereitschaft, Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft einzugehen, nimmt tendenziell ab. Die physische und digitale Mobilität ist hoch, wodurch bei vielen Menschen die Verbundenheit mit dem Wohnort und der Wohnregion abnimmt. Gleichzeitig ist im Sinne eines Gegentrends aber auch ein erhöhtes Interesse am Lokalen und Regionalen feststellbar, was durch die Coronavirus-Krise zusätzlich verstärkt wurde. Ebenfalls durch die Pandemie befeuert wurde die Diskussion um den Stellenwert, die Rolle und die Systemrelevanz der Kultur für die Gesellschaft.

Herausforderungen und Chancen für die Kulturpolitik

Herausforderungen

  • Das individualisierte Konsumverhalten und der Anspruch auf permanente Verfügbarkeit von Angeboten und Produkten stellt Kulturveranstalterinnen und -veranstalter vor Herausforderungen bezüglich der Ausgestaltung ihrer Programme und Angebote.
  • Die Individualisierung und die abnehmende Verbundenheit vieler Menschen mit ihrem Wohn- und Lebensraum führen zu einer zunehmenden Unverbindlichkeit und Anonymität. Zudem nimmt die Bereitschaft für langjähriges Engagement ab. Beides wirkt sich negativ auf die Vereinstätigkeit und die Ehrenamtlichkeit aus.
  • Die Kultur verlagert sich zunehmend in den digitalen Raum. Für einen Teil des Publikums könnte dadurch physische Präsenz zur Hürde werden, was wiederum zu weniger Publikum vor Ort führen könnte. Gleichzeitig sind die Kulturakteurinnen und -akteure gefordert, sich den digitalen Raum zu erschliessen, was mit hohen Investitionen in Infrastruktur und Know-How sowie mit laufenden Kosten für deren Bewirtschaftung verbunden ist.
  • Beim Publikum besteht zunehmend der Anspruch, dass digitale Angebote kostengünstig oder gar kostenlos zur Verfügung stehen, was die Kulturakteurinnen und -akteure vor wirtschaftliche Herausforderungen stellt.
  • Durch die zunehmende Digitalisierung wird das Urheberrecht zunehmend geschwächt und Kulturschaffende erleiden finanzielle Einbussen.
  • Im aktuellen gesellschaftlichen Umfeld läuft die Kultur Gefahr, auf Aspekte wie Zerstreuung und Unterhaltung reduziert zu werden. Die umfassende, wertbildende und kohäsive Funktion und Bedeutung der Kultur für unsere Gesellschaft trat im Kontext der Coronavirus-Krise zwar wieder stärker in den Vordergrund, ist der breiten Bevölkerung aber zu wenig bewusst.

Chancen

  • Durch den teilhabeorientierten Einbezug des kulturinteressierten Publikums können Kulturakteurinnen und -akteure ihre Aktivitäten und Angebote bedarfsgerecht ausrichten.
  • Die zunehmende Individualisierung weckt bei vielen Menschen das Bedürfnis nach Orientierung und führt zu einem wachsenden Interesse an Geschichte, Herkunft und Tradition.
  • Das steigende Interesse am Lokalen und Regionalen sowie der Trend zu aktivem Freizeitverhalten können zur Stärkung der Teilhabe am Kulturleben und der Freiwilligenarbeit im Kulturbereich genutzt werden. Vereine können durch eine entsprechende Neuausrichtung von diesem Trend profitieren.
  • Die positiven Auswirkungen der Digitalisierung können durch die Weiterentwicklung von Kommunikationsmitteln und Plattformen begünstigt werden.
  • Der digitale Zugang zu Sammlungen und Exponaten von Museen, Archiven und Bibliotheken und die Entwicklung der Kommunikations- und Informationstechnologien ermöglichen heutztage ein unmittelbares und niederschwelliges Erlebnis des kulturellen Erbes in einer nie dagewesenen Attraktivität.
  • Begegnungen mit originalen Kunstwerken und Kulturschätzen, der Besuch von Aufführungen und der persönliche Dialog mit Kulturschaffenden und -vermittelnden lassen sich durch digitale Angebote nicht ersetzen und gewinnen im Kontext der Digitalisierung an Wertschätzung.

Nachhaltigkeit

Die zunehmende Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema Nachhaltigkeit wirkt sich auch auf die Ansprüche gegenüber dem Kulturbereich aus. Dazu gehört beispielsweise der schonende Umgang mit sozialen, ökologischen, ökonomischen, finanziellen und materiellen Ressourcen. Gleichzeitig wird sich der Kultursektor selbst zunehmend bewusst, dass er in Sachen Nachhaltigkeit grossen Handlungsbedarf hat. Die Coronavirus-Krise zeigte die Anfälligkeit, respektive die fehlende Nachhaltigkeit der ökonomischen Grundlagen des Kultursektors schonungslos auf.

Herausforderungen und Chancen für die Kulturpolitik

Herausforderungen

  • Der Erhalt von längerfristigen Strukturen ist im Kulturbereich nicht gesichert. Kulturinstitutionen verfügen nicht über finanzielle Reserven, um finanzielle Engpässe zu überbrücken.
  • Die wirtschaftliche und soziale Absicherung vieler Kulturschaffenden ist unzureichend. Ein wichtiger Teil dieses Problems sind die weit verbreiteten niedrigen Honorare für Kulturschaffende.
  • Klimawandel und Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels können das Kulturerbe beeinträchtigen, respektive zu Zielkonflikten führen.

Chancen

  • Aus Gründen der Nachhaltigkeit reduzieren viele Menschen ihre Mobilität. Davon können insbesondere kleine lokale und regionale Angebote profitieren, indem sie neues, beziehungsweise zusätzliches Publikum gewinnen.
  • Das Interesse des Publikums wird durch das zunehmende ökologische Bewusstsein beeinflusst. So kann beispielsweise die Gefahr, die der Klimawandel für den Erhalt des Kulturerbes darstellt, als neues Thema in die Vermittlung des Kulturerbes aufgenommen und zur Sensibilisierung genutzt werden.
  • Bildungs- und Beratungsangebote für Kulturinstitutionen, Vereine und Kulturschaffende können zur Diskussion von Nachhaltigkeitsaspekten beitragen. Deren Berücksichtigung und Thematisierung können zu einem Reputationsgewinn für die entsprechenden Kulturinstitutionen, Kulturschaffenden und Kulturveranstaltenden führen.

Kommerzialisierung

Die Ökonomisierung des Kulturbereichs führt dazu, dass insbesondere öffentlich finanzierte Kulturaktivitäten weniger anhand von inhaltlichen qualitativen Werten, sondern vermehrt anhand von messbaren quantitativen Zahlen, wie beispielsweise "Anzahl Veranstaltungen, Medienausleihen, Anzahl Besucherinnen und Besucher" bewertet werden. Damit einher geht die Erwartung, dass Kultur einen quantifizierbaren und messbaren Nutzen erbringen muss. Verstärkt wird dieser Trend durch die zunehmende Konkurrenz von kommerziellen Angeboten und die im Vergleich zu anderen Kantonen knappen Subventionen seitens der öffentlichen Hand. Zudem ist das private Mäzenatentum im Aargau schwach ausgebildet, und die Dichte an Förderstiftungen ist tief. Die private Kulturförderung konzentriert sich auf publikums- und öffentlichkeitswirksame Kulturaktivitäten. Für das nicht etablierte Kunstschaffen und für experimentelle Projekte sind kaum private Fördermittel vorhanden.

Herausforderungen und Chancen für die Kulturpolitik

Herausforderungen

  • Die Kommerzialisierung und Fokussierung auf publikums- und öffentlichkeitswirksame Kulturaktivitäten birgt das Risiko, dass die Inhalte der Kulturangebote banalisiert werden; dies gefährdet deren Qualität.
  • Aufgrund der Ökonomisierung des Kulturbereichs und der stagnierenden Kulturfördergelder werden die Mittel zunehmend durch etablierte Kulturinstitutionen gebunden. Dadurch ist die Förderung des freien Kulturschaffens und experimenteller Projekte eingeschränkt. Dies akzentuiert sich in einer schwierigen finanziellen Situation und einer schlechten sozialen Absicherung vieler Kulturschaffenden, was wiederum deren Kreativität und die kulturelle Vielfalt gefährdet.

Chancen

  • Durch Kooperationen lassen sich die Kräfte in der Angebotsgestaltung, im Fundraising und im Kulturmarketing wirkungsvoll bündeln.
  • Durch eine bessere Abstimmung und Koordination mit anderen Akteurinnen und Akteuren der Kulturförderung (Gemeinden, Stiftungen etc.) können die Stossrichtungen und Förderstrategien besser ausgerichtet werden und so die kulturelle Vielfalt gestärkt werden.